Betriebskitas - Wettbewerbsvorteil Betreuung
Einige bergische Unternehmen bieten Kitaplätze für die Kinder der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an. Denn in den drei Städten fehlt es an Betreuungsplätzen. Wir haben nach ihren Erfahrungen gefragt.
Ob „Eulen-Kinder“ oder „Affen-Kinder“, ob „Waldgruppe“ oder „Dschungel-Team“ – im „Twinny Land“ geht es tierisch zu. Vor rund 13 Jahren war das Solinger Unternehmen Zwilling mit dem Angebot einer eigenen Kinderbetreuung gestartet – als eines der ersten in der Region. Offenbar eine gute Entscheidung: „Wir sind sehr zufrieden“, sagt Nina Tubic, die bei dem Schneidwarenspezialisten das Thema Personal auf globaler Ebene verantwortet. Rund 80 Kinder besuchen derzeit die Betriebskita, die offen für alle kleinen Solinger ist. Drei Gruppen sind in einem Extra-Gebäude am Zwillingsweg untergebracht. Eine vierte Gruppe, die wegen der hohen Nachfrage nötig geworden war, befindet sich direkt in der Firmenimmobilie. „Dort, wo ganz früher mal die Betriebskrankenkasse zu finden war“, erklärt Nina Tubic. Das Außengelände werde aber von allen gemeinsam genutzt. Fünf Minuten Fußweg entfernt ist der Standort der Großtagespflege „Twinny Minis“. In zwei Gruppen werden hier etwa 18 U3-Jährige betreut. Dieses Angebot richtet sich exklusiv an Zwilling-Mitarbeiter, rund 750 sind es insgesamt am Standort Solingen. „Gerade die Plätze für die Jüngsten sind bekanntermaßen unheimlich begehrt“, so die Personalmanagerin. Doch bislang habe man noch keine Anfrage ablehnen müssen.
Nina Tubic hebt vor allem die Nähe zur Arbeitsstätte als Pluspunkt hervor: „Jede Mutter und jeder Vater kennt das: Wenn per Telefon ein Wehwehchen gemeldet wird, möchte man sich gerne selbst vergewissern, ob ein Arztbesuch erforderlich ist – oder ob ein kurzes Drücken von Mama oder Papa reicht.“ Dafür müssen die Zwilling-Eltern eben nicht durch die halbe Stadt fahren. Für die Mitarbeiter-Akquise sei das Betreuungsangebot nach wie vor ein nicht zu unterschätzender Vorteil. „Allerdings merken wir ihn nicht mehr so stark wie noch vor zehn Jahren.“ Denn inzwischen hätten diverse Unternehmen nachgezogen – entweder in Form von finanziellen Zuschüssen oder mit eigenen Kitas.
Mehrere Unternehmen im Bergischen Städtedreieck organisieren die Betreuung inzwischen in Eigenregie. Dafür greifen sie, wie auch Zwilling, auf die professionelle Unterstützung der Kita Concept GmbH in Wuppertal zurück. Sie fungiert als Träger und stellt damit das Personal und kümmert sich ums pädagogische Konzept. Inzwischen betreibt das 2006 gegründete Unternehmen mehr als 30 Kitas, die meisten davon in NRW. Aber auch in Hessen (etwa für die Deutsche Bahn) und Niedersachsen (unter anderem für Volkswagen) ist man tätig. Zwar befinden sich auch „normale“ Stadtteil-Einrichtungen in Trägerschaft der Wuppertaler, ein Großteil der aktuellen Kitas wird aber im unternehmensnahen Zusammenhang betrieben. Sicher ist: Es wird weiterhin große Nachfrage geben, nicht nur im betrieblichen Kontext.
„Die Unternehmen haben den hohen Stellenwert der Kinderbetreuung für ihr Personalmarketing erkannt“, sagt Geschäftsleiter Markus Götte. „Es ist nicht mehr allein das Entgelt, das zählt.“ Auch wenn viele den Begriff inzwischen nicht mehr hören könnten – „an der berühmten Work-Life-Balance ist viel Wahres dran“. Ab 300 bis 400 Mitarbeitern, grob über den Daumen gepeilt, könne sich eine eigene Kita lohnen. „Doch es gibt keine Standard-Antwort, jeder Fall ist anders“, betont Markus Götte. Und mitunter stellen sich interessierte Unternehmen das Ganze auch zu leicht vor: „Allein die räumlichen Anforderungen sind enorm – von der Gestaltung der Fluchtwege bis zu den sanitären Anlagen.“ Kita Concept versteht sich daher auch als Consulting-Unternehmen, das zu gesetzlichen Vorgaben und Fördermitteln berät und Kostenschätzungen ermöglicht. Von den etwa 450 Mitarbeitern sind rund 50 sowohl auf diesem Feld als auch in weiteren administrativen Bereichen tätig. Die anderen bilden die Kita-Teams.
Eine große Herausforderung besteht laut Markus Götte aktuell in der Tariferhöhung im Erziehungsbereich. „80 Prozent der Betriebskosten sind Personalkosten“, sagt der Geschäftsleiter. Doch natürlich wolle man die Kolleginnen und Kollegen gerecht entlohnen. „Sie werden mehr denn je gebraucht. Kita-Plätze sind bundesweit Mangelware. Und daran wird sich auch so schnell nichts ändern.“
Auch im Städtedreieck ist der Bedarf alles andere als gedeckt. In Wuppertal gibt es ein Defizit im Umfang von zirka 1.500 Plätzen. Für Kinder im Alter von bis zu drei Jahren stehen laut Stadtverwaltung knapp 2.540 Plätze und für Kinder im Alter von drei Jahren bis zur Einschulung etwas mehr als 10.800 Plätze zur Verfügung. Neben diesen etwa 13.350 Plätzen in Tageseinrichtungen gibt es zirka 2.000 Plätze in der Kindertagespflege, bei Tagesmüttern und -vätern, für Kinder bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres.
Die Gründe für das Defizit sind nach Angaben von Michael Neumann, Leiter Stadtbetrieb Tageseinrichtungen für Kinder, vielfältig. „Die Nachfrage nach Betreuungsplätzen ist kontinuierlich gestiegen, immer mehr Eltern möchten ihre Kinder immer früher zur Betreuung in die Kita geben“, sagt er. Hinzu kämen eine geringfügig gestiegene Geburtenrate sowie eine starke Zuwanderung aus Ländern innerhalb der EU und durch die Fluchtbewegung ab 2015. „Die Stadt Wuppertal und auch die Freien Träger der Jugendhilfe sind darum bemüht, den Ausbau von Betreuungsplätzen fortzusetzen.“ Dazu gehört der Neubau von Tageseinrichtungen für Kinder. „Es gibt zahlreiche Ideen und Planungsvorhaben, die Umsetzung wird jedoch zunehmend schwieriger“, so Neumann. „Die stark gestiegenen Bau- und Kapitalkosten machen den Bau und Betrieb für Investoren wenig lukrativ, denn die Mietförderung bleibt aktuell hinter der Kostenentwicklung zurück. Zusätzlich ist es seit einigen Jahren schwierig, geeignetes und entsprechend qualifiziertes Fachpersonal zu finden.“
In Remscheid stehen laut Kita-Bedarfsplanung aktuell 3.311 Plätze für Ü3-Kinder und 813 für U3-Kinder zur Verfügung. Mit Stand 3. August 2023 fragten Eltern von 839 Kindern einen Betreuungsplatz an. Sie haben noch keinen entsprechenden Betreuungsplatz, obwohl ein rechtlicher Anspruch besteht. Im Zuge der sukzessiven Inbetriebnahme der neuen Kindertageseinrichtungen Tannenhof II und Weltkinder-Kita sollen 180 weitere Kinder betreut werden können. Bei der Stadt geht man daher davon aus, dass im Kindergartenjahr 2023/24 letztlich 659 Kindern kein Platzangebot gemacht werden kann. Das Gesamtziel des Kita-Ausbaus beträgt in Remscheid 1.857 neue Plätze. Davon sind 26 Prozent bereits in Betrieb, hinzu kommen zehn Prozent durch Tannenhof II und Weltkinder-Kita. Weitere 23 Prozent sind mit einer Inbetriebnahme für Ende 2024 projektiert. Für 41 Prozent laufen derzeit die Planungen.
In Solingen beläuft sich die Zahl der Plätze auf zirka 4.650 (Ü3) und 1.150 (U3). In der Tagespflege sind es, so die Stadt, noch einmal 650 bis 700. Aktuell fehlen rund 950 Plätze. Doch man arbeite daran. „Aktuell werden so viele Kita-Plätze geschaffen wie nie zuvor“, heißt es aus dem Rathaus. Im vergangenen Jahr waren es rund 320. Im laufenden Jahr wurden bis Ende August 95 geschaffen. 385 könnten es in diesem Jahr insgesamt werden. Die Stadt hat unter anderem eine „Task Force“ mit allen beteiligten Dienststellen eingerichtet. Ziel ist es nach eigenen Angaben, durch kleine Wege und zügigen Austausch Ideen, Investorenanfragen oder Verfahren noch schneller bearbeiten zu können.
Aus Sicht von Henner Pasch, Geschäftsführer der Solinger Fourtexx GmbH und IHK-Präsident, fehlen aber auch Betreuungsplätze an den Schulen. „Das Thema Betreuung hört doch nicht mit dem Beginn der Grundschule auf“, sagt er. Selbst nach der vierten Klasse gebe es noch Probleme. „Derzeit kommen verstärkt Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf mich zu, um ihre Stundenzahl zu reduzieren. Sie wollen nicht, dass der Elf- oder Zwölfjährige mit dem Schlüssel um den Hals nach Hause kommt und sich stundenlang vor die Konsole setzt.“ 70 Frauen und Männer gehören zum Fourtexx-Team. Der Altersschnitt ist sehr niedrig. Der HR-Software-Spezialist plant eine Verdopplung des Personals in den kommenden zwei bis drei Jahren. „Eine gute, verlässliche Kinderbetreuung ist für uns also enorm wichtig.“
Henner Pasch schwebt ein ganz eigenes Konzept vor. Seit etwa anderthalb Jahren plant er eine unternehmensinterne Einrichtung, die sich um Kinder zwischen zwölf Monaten und zwölf Jahren kümmern soll. „Natürlich mit Fachkräften aus dem Erziehungs- und Schulwesen“, betont er. „Die Kinder sollen am Vormittag und nach der Schule nicht bloß verwahrt werden.“ Das Angebot soll ohne staatliche Unterstützung funktionieren. „Ich möchte keine Förderung, keine Zuschüsse“, betont der Unternehmer. Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wäre die Unterbringung der Kinder ein Gehaltsbestandteil. „Das ist nicht zuletzt angesichts der geplanten Erhöhungen der Kita-Beiträge attraktiv.“ Zum Hintergrund: Die Stadtverwaltung plant eine Entlastung für einkommensschwache Familien. Für Gutverdiener würde es hingegen deutlich teurer werden.
Eine Immobilie hat Henner Pasch bereits ausgeguckt. Doch momentan hat er noch mit „diversen bürokratischen Hürden“ zu kämpfen. „Ein Projekt dieser Art hat noch niemand durchgezogen. Da gilt es, dicke Bretter zu bohren.“ Versuchen werde er es aber auf jeden Fall weiterhin. „Wir verkaufen Beratungszeit. Durch die Gewährleistung von Betreuung ermöglichen wir es unseren Müttern und Vätern in der Firma, mehr Umsatz zu machen. Das rechnet sich.“ Außerdem, fügt er hinzu, könne man so viele begehrte Fachkräfte gewinnen.
„Betreuungsangebote spielen eine sehr große Rolle, wenn man sich als Unternehmen im Wettbewerb um Talente und Fachkräfte differenzieren möchte“, sagt auch Samantha Stella, HR-Managerin bei der Vaillant Group. „Viele Bewerberinnen und Bewerber fragen in ihren Vorstellungsgesprächen ganz gezielt nach, was wir ihnen bieten. Die Resonanz ist immer sehr positiv, wenn sie hören, dass wir eine Kita betreiben.“ Die Kita Hoppelhasen von Kita Concept liegt in unmittelbarer Nähe zur Remscheider Unternehmenszentrale. Sie hat, anders als viele andere Einrichtungen, keine längeren Ferienzeiten.
Geschlossen ist die Kita ausschließlich zwischen Weihnachten und Neujahr. Ansonsten ist von montags bis freitags von 7 Uhr bis 17 Uhr geöffnet. „Das ist für berufstätige Eltern ideal“, sagt Samantha Stella. Insgesamt bietet die Kita Plätze für 33 Kinder. Momentan arbeiten Eltern von 25 Kita-Kindern bei der Vaillant Group. Die anderen Kinder kommen aus den umliegenden Remscheider Stadtteilen. „Aktuell sind alle Plätze ausgebucht und es gibt eine längere Warteliste.“
Die „Schmersal Minis“, der Betriebskindergarten des Wuppertaler Schaltgeräteherstellers, kümmern sich um 15 Jungen und Mädchen im Alter von 0 bis 6 Jahren. Fünf Plätze sind für Unter-Dreijährige reserviert. Die Öffnungszeiten sind von 6 Uhr bis 16 Uhr. „Da auch mein Sohn in unseren Betriebskindergarten geht, weiß ich die große Flexibilität sehr zu schätzen“, erzählt Personalleiter Marcel Lehner. „Das heißt, ich muss nicht feste Betreuungszeiten einhalten, sondern kann meinen Sohn – je nach Bedarf – bis 9 Uhr bringen oder früher abholen. Alle Absprachen können hier mit den Erzieherinnen auf dem kurzen Dienstweg geklärt werden.“
Irmela Schmersal, Ehefrau des Senior-Geschäftsführers Heinz Schmersal, unterstütze den Kindergarten als „Vorleseoma“ und sei eine gern gesehene Begleiterin bei Ausflügen in den Zoo, zur Junior Uni oder auf den Bauernhof. „Einmal in der Woche kommt die Bergische Musikschule zu Besuch und die älteren Kinder erhalten Reitunterricht, der von Schmersal finanziert wird. Zusätzlich besuchen die Kinder regelmäßig die Ausbildungswerkstatt und bauen, werkeln und basteln mit den Auszubildenden“, sagt Marcel Lehner. Sein Team merke es in jedem Bewerbungsgespräch: „Es macht unsere Attraktivität als Unternehmen aus, dass wir international ausgerichtet sind – aber eben auch ein Familienunternehmen. Und als solches bieten wir den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein umfassendes Angebot an sozialen Leistungen.“
„Wir als Familienunternehmen möchten dazu beitragen, dass Eltern ihren Alltag besser meistern, Kind und Karriere miteinander vereinbaren können“, sagt auch Bettina Jakobi, Geschäftsführerin Personal beim Einkaufsbüro Deutscher Eisenhändler (EDE) in Wuppertal. Direkt gegenüber der Verwaltung befindet sich das Gebäude, das in drei Gruppen 48 Kinder betreut, davon sind 34 Kinder von Mitarbeitenden im Unternehmen.
Vor rund zehn Jahren war Baubeginn. Zuvor hatte das EDE eine interne Befragung durchgeführt. Mehr als 300 Beschäftigte beteiligten sich. „Das Stimmungsbild war eindeutig“, so Bettina Jakobi. Groß war vor allem der Wunsch nach einem Angebot für die jüngsten Kinder. Und: umfangreiche Öffnungszeiten. Die „EDEfanten“ sind zwischen 7 und 17 Uhr geöffnet. Ferien gibt es nur rund um die Festtage im Dezember. Zu den EDE-Eltern gehört Aydilek Aytekin. „Nachdem zuerst mein ältester Sohn in die Betriebskita kam, ist nun seit 2020 auch mein jüngster dort.“ Sie schätze die Flexibilität „in jeglicher Hinsicht“: Falls etwas sei, könne sie jederzeit rübergehen, um die Kids abzuholen: „Für mich als Pendlerin ist das enorm wichtig“, sagt die Diplom-Informatikerin.
Text: Daniel Boss