Pläne für die A3 - Der unerwünschte Ausbau

Die A3 zwischen Leverkusen-Opladen und dem Kreuz Hilden soll achtspurig ausgebaut werden. Aber die Wirtschaft und die Kommunen bevorzugen eine andere Lösung, um die Kapazität zu erweitern. Sie hoffen vor allem auf mehr Tempo.

Der geplante achtspurige Ausbau der A3 zwischen dem Autobahnkreuz Hilden und Leverkusen-Opladen ist für Thomas Wängler ein Beispiel für das, was schiefläuft in Deutschland. „Hier sieht man ganz deutlich, dass wir uns sehr schwertun, pragmatische Lösungen umzusetzen. Stattdessen beharrt man auf Vorschriften, ohne zu prüfen, ob die noch zeitgemäß oder sinnvoll sind.“ Wängler ist IHK-Geschäftsführer des Bereichs Standortpolitik, Verkehr und Öffentlichkeitsarbeit. Er ist schon lange mit dem geplanten Ausbau der A3, die auch Solingen berührt, beschäftigt und setzt sich für eine alternative Lösung für die zeitweiligen Engpässe ein.

Die A3 zwischen Hilden und Opladen soll ausgebaut werden. Acht Spuren sind vorgesehen. Die 15 Kilometer lange Strecke steht im Bundesverkehrswegeplan von 2016 mit der höchsten Dringlichkeitsstufe: Vordringlicher Bedarf – Engpassbeseitigung. Bei der Anfang 2023 formulierten Priorisierung der Verkehrsprojekte vom Bundesverkehrsministerium stand sie mit auf der Liste. Die Kosten für den Ausbau liegen laut Bundesverkehrsministerium bei aktuell geschätzten 285 Millionen Euro. Zuletzt hatte das Solinger Tageblatt im Interview mit dem FDP-Staatssekretär Oliver Luksic sogar von „weit über 300 Millionen Euro“ gesprochen. Laut aktueller Anfrage beim Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) würde die Dauer des Ausbaus fünf Jahre betragen. Luksic hat im ST-Interview allerdings gesagt, dass es aktuell keine Prognose für einen Baustart gebe.

Die Strecke wird täglich von rund 120.000 Fahrzeugen befahren, mit einem Schwerlastanteil von rund zehn Prozent. Laut einer offiziellen Verkehrsuntersuchung, die 2018 vorgelegt wurde, sollen es – wenn man den Abschnitt nicht ausbaut – nur wenig mehr werden: bis 2030 zwei Prozent mehr Pkw und fünf Prozent mehr Lkw. In einer Machbarkeitsstudie zur temporären Seitenstreifenfreigabe von 2022 werden diese Zahlen erneut verwendet und ergänzend festgestellt, dass „Kapazitätsengpässe vorwiegend in Berufsverkehrsspitzen auftreten“.

An anderen Abschnitten der A3 – oder auch der A5 – hat man für diese Spitzenzeiten eine Lösung: Wenn es viel Verkehr gibt auf der A3 zwischen Hilden und Mettmann, dann wird der Standstreifen freigegeben. Das gilt seit 2018. Seit 2022 gibt es das auch zwischen Mettmann und Breitscheid. Ebenso ist das möglich in vielen Streckenabschnitten in Hessen. Es gibt elektronische Wechselanzeigen, mit denen der Streifen freigegeben wird bei Bedarf. Und eine Verkehrsüberwachung mit Kameras. Das BMDV verweist darauf, dass das nur Übergangslösungen seien bis zu einem Komplettausbau der Strecken. Temporäre Seitenstreifenfreigaben (TSF) werden in Deutschland in der Regel nicht dauerhaft installiert. Auch zwischen Hilden und Opladen soll es so kommen. Laut einem WDR-Bericht von Ende Juli ist das bestätigt worden.

Wängler hofft sehr, dass die TSF tatsächlich auch südlich von Hilden eingerichtet wird, vor allem aber, dass das zeitnah passiert. Denn dann könnte man auch die in die Jahre gekommenen Brücken, die teils aus den 1930er Jahren stammen, schnell sanieren. Dass die TSF aber nur eine Zwischenlösung sein soll, hält Wängler nicht mehr für zeitgemäß. Denn eine TSF würde die zeitlich begrenzten Verkehrsengpässe im Berufsverkehr vergleichsweise schnell beheben und könnte auch für das prognostizierte Verkehrswachstum ausreichende Kapazitätsreserven bereitstellen. Ein Komplettausbau sei dann nicht mehr nötig. Das würde viel Geld sparen, Flächen schonen und jahrelange Planungs- und Genehmigungsprozesse mit unklarem Ausgang verzichtbar machen.

Er ist nicht allein mit der Einschätzung. Die Vollversammlung der Bergischen IHK hat sich im März 2022 fast einstimmig für eine Priorisierung der TSF oder 3+1-Lösung ausgesprochen. Die Unternehmen wurden im Jahr zuvor befragt – 38 Prozent der Teilnehmer forderten den Komplettausbau, 39 Prozent die temporäre Nutzung der Standstreifen und 23 Prozent waren für überhaupt keine Änderung. Die Bergische IHK hat Ende 2022 und Anfang 2023 zusammen mit der IHK Düsseldorf Verkehrsminister Volker Wissing angeschrieben, um auf die Vorteile der langfristigen 3+1-Lösung hinzuweisen und darauf hinzuwirken. Ein Gesprächsangebot wurde ausgeschlagen.

Wängler sagt, dass alle Vorteile einer TSF beim BMDV bekannt sein müssten – immerhin gebe es die Machbarkeitsstudie von 2022 mit dem Titel: „Temporäre Seitenstreifenfreigabe als Vorgriff zum 8-streifigen Ausbau der A3 zwischen der AS Lev.-Opladen und dem AK Hilden“. Laut der Studie würde die Einrichtung der TSF 59 Millionen Euro kosten – inklusive der Nothaltebuchten, der Anpassung von Knotenpunkten und der Erneuerung von fünf Brücken, allerdings ohne die technischen Hilfsmittel. Für Wängler eindeutige Argumente. „Wir wollen die Kapazitätserweiterung. Dabei ist die TSF wesentlich günstiger und deutlich schneller umsetzbar. Ob der Komplettausbau jemals kommt, ist dagegen nicht sicher.“ Ebenso sei der Nutzen des Vollausbaus nur marginal: „Die TSF würde bis zu 25 Prozent mehr Verkehr aufnehmen können, der Komplettausbau circa 33 Prozent. Die Kosten stehen dazu in keinem Verhältnis.“

Das Bundesverkehrsministerium verweist darauf, dass Seitenstreifen eine große Relevanz für die Sicherheit haben. 2002 wurde das im Allgemeinen Rundschreiben Straßenbau Nr. 20/2002 festgehalten. Auf eine aktuelle Anfrage hin meldet das Ministerium, dass im Falle einer temporären Freigabe des Seitenstreifens eine Verbesserung der Verkehrssicherheit erreicht werde. Aber mit einem Vollausbau würde „die Verkehrssicherheit deutlich stärker erhöht und der Verkehrsfluss besser optimiert.“ Das müsse auch bei der Berechnung der Kosten einbezogen werden. „Neben der Kapazitätserweiterung sind auch die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs zu berücksichtigen. Hierzu trägt ein Seitenstreifen (etwa für Pannenfahrzeuge, Rettungsdienste, Streckenunterhaltung) maßgeblich bei.“ Ein Vergleich der 59 Millionen Euro zu den geschätzten Kosten für den Gesamtausbau von rund 300 Millionen sei daher nicht korrekt.

Die Frage der Sicherheit scheint aber nicht so einfach am Seitenstreifen festzumachen zu sein. Die Pressestelle der Polizei Düsseldorf, deren Autobahnpolizei die Abschnitte der A3 zwischen Hilden und Mettmann sowie Mettmann und Breitscheid betreut, sagt auf Anfrage, es habe keine negativen Erfahrungen mit der TSF gegeben – auch wenn es keine repräsentativen Zahlen gebe. Einsatzfahrzeuge würden ohnehin durch die Rettungsgassen fahren und wegen der Kameraüberwachung könne die Seitenstreifenfreigabe auch jederzeit schnell aufgehoben werden, so eine Sprecherin. Wängler hält das Festhalten am dauerhaften freien Seitenstreifen und dem Allgemeinen Rundschreiben von 2002 für überholt, denn die Technik zur Verkehrsüberwachung sei wesentlich weiter als damals – zudem würden Nothaltebuchten und andere Sicherheitsvorkehrungen mit eingeplant. „Und wir haben Jahrzehnte Erfahrung mit anderen TSF – bei denen ein Komplettausbau bisher auch nicht erfolgt ist.“ Das Ministerium gibt aber zu bedenken, dass man den technischen Fortschritt nicht isoliert betrachten könne – auch der Personaleinsatz der Verkehrsüberwachung sei einzubeziehen. Für Wängler ist eine Neu-Einschätzung der Seitenstreifenfrage und damit eine Anpassung der entsprechenden Regelungen aus dem Jahr 2002 dringend erforderlich.

Das fordert auch die Stadt Solingen. Aus ihrer Sicht sollte das Allgemeine Rundschreiben Straßenbau 20/2002 auf den Prüfstand gestellt werden, das die Nutzung der Seitenstreifen einschränkt. Und der Plan für den Ausbau der A3 auf acht Spuren in der Folge ebenso. Die Verwaltung denkt grundsätzlich eher in die Richtung, sich für weniger Verkehr und weniger Ausbau einzusetzen: Fahrstreifenreduktion, Nutzung von Seitenstreifen, intelligente Verkehrssteuerung.

Solingen arbeitet mit den Städten Langenfeld, Hilden und Leverkusen sowie dem Kreis Mettmann daran, die TSF als dauerhafte Lösung zu erreichen. Andreas Budde, Beigeordneter für Planung, Bauen, Verkehr, Umwelt: „Es sollte sechs Fahrstreifen geben, dazu sollte bei entsprechender Verkehrsbelastung temporär der Seitenstreifen freigegeben werden. So könnte eine verkehrliche Verbesserung erzielt werden, der Flächenverbrauch gegenüber einem achtstreifigen Vollausbau reduziert werden.“

Für Solingen ist der Flächenverbrauch ein besonders drängendes Thema, der Vollausbau „würde massiv in das naturgeschützte Gebiet der Ohligser Heide eingreifen“, so Stadtsprecher Thomas Kraft. Zudem sei nicht gesichert, ob die Flächen wirklich gebraucht würden. Es bestehe vielmehr die Gefahr, dass erst der Ausbau dafür sorgt, dass mehr Verkehr entsteht. Mit Folgen für das Klima, aber eben auch mit der Folge höherer Lärmbelastung für die Anwohner.

Dass es 2023 überhaupt eine Priorisierung der Verkehrsvorhaben und eine Planungsbeschleunigung gegeben hat, sieht Andreas Budde hingegen positiv: „Jedoch wäre es Solingen lieber gewesen, wenn neue Rahmenbedingungen mit in die Bewertung eingegangen und der Vollausbau der A3 nicht mit dabei gewesen wären. Hier hätte man sich natürlich mehr Unterstützung aus dem Landtag gewünscht.“

Oliver Krischer, Minister für Umwelt, Naturschutz und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen, hatte die Priorisierungsliste von Volker Wissing abgesegnet – unter großer Kritik. Aber wer im politischen Raum nach dem Ausbau der A3 fragt, bekommt zu hören, dass man inzwischen hoffe, dass die TSF als dauerhafte Übergangslösung bleibe – dass der Komplettausbau einfach nicht mehr folge. Die Zwischenlösung sei häufig in Wirklichkeit die dauerhafte Lösung. Dabei bleibt das Damoklesschwert des Komplettausbaus über der Region. Denn die Unternehmen befürchten teilweise Probleme durch eine lange Baustellenzeit und einen späten Beginn – egal welcher Maßnahme. Für die Unternehmen in der Region sind Tempo und wenig Belastung aber wichtige Faktoren. Michael Hanstein, Spedition- und Logistikleiter bei der Firma Thomas Sluis aus Schwelm und Wuppertal, befürchtet vor allem, dass ein Komplettausbau den Verkehr über längere Zeit massiv stört und hohe Kosten verursacht. „Die Kapazitäten situationsbezogen und flexibel anzupassen, das wäre aus unserer Sicht eine attraktive Lösung“, spricht er sich für die TSF aus.

Volkmar Winkler von der Spedition Lückerath sieht das genauso: „Wir brauchen schon eine Erweiterung, aber eine unnötig lange Belastung durch eine langfristige Großbaustelle – das wäre eine Katastrophe. Mit einer Kapazitätserweiterung über die TSF könnten wir gut arbeiten.“ Bei aller zeitlichen Unsicherheit weist er aber darauf hin, dass an der A3 bitte keine Baustelle begonnen werden soll, bis nicht die Rahmedetalbrücke in Lüdenscheid neu gebaut worden ist: „Der Ausfall der A45 macht Druck auf die A3, der darf nicht noch durch neue Baustellen verstärkt werden.“

Dirk Rüttgers von der Spedition Rüttgers aus Solingen ist ebenfalls nicht für den Komplettausbau: „Was das an Zeit und Geld kosten würde. Wir haben andere Probleme in NRW.“ Gleichzeitig sei aber die Kapazitätserweiterung dringend nötig: „Im Stau zu stehen verursacht Kosten und vor allem Probleme im Ablauf. Alles ist auf die Minute genau abgestimmt. Wenn morgens 30 Minuten fehlen, dann hat das Einfluss auf alle anderen Teile der Lieferketten.“ Auch darum ist er für die pragmatischere Lösung der Seitenstreifenfreigabe – denn die würde in den Stoßzeiten den Stau auflösen, den es außerhalb des Berufsverkehrs kaum gebe.

Text: Eike Rüdebusch

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