Geflüchtete in Arbeit - Wegbereiter

Viele Aufträge, wenig Personal: Auch Unternehmen im Bergischen geraten zunehmend in Not. Arbeits- und Fachkräfte aus dem Ausland sind ein Potenzial, das bisher nur punktuell ausgeschöpft wird. Doch es bewegt sich einiges.

Anna Tolstykh wollte nie woanders leben. Die Ukraine ist ihre Heimat, dort leitete sie seit vielen Jahren ihre eigene Werbeagentur, dort fand ihr Leben statt. Bis zum russischen Angriffskrieg. Vorher war sie gereist, geschäftlich, zum Vergnügen, immer mit Rückreiseticket. Im März 2022 flüchtete sie nach Deutschland. Mit ihrer Tochter landete sie in Köln, knüpfte schnell Kontakt zu einer ukrainischen Community, erhielt nach zwei Tagen Schlange stehen eine Aufenthaltserlaubnis. Ihre Landsfrauen hatten ihr Tipps gegeben, die sie durch das deutsche Bürokratiesystem leiteten.

Die Suche nach einem Wohnsitz erforderte mehr Geduld. Erst nach Wochen kam sie über einen privaten Kontakt zu einer permanenten Bleibe. Und dann? „Meine erste Priorität war es, mein Deutsch zu reaktivieren“, erzählt Tolstykh. Ihr Studium war 24 Jahre her. Jeden Tag büffelte sie mindestens vier Stunden, schrieb Bewerbungen. 300 insgesamt. Einen Job vermittelte ihr allerdings erneut ein Privatkontakt.

„Der Hinweis kam aus meinem Netzwerk“, berichtet Michael Chrystal, Geschäftsführer der Forum Group mit Sitz in Solingen. „Es gebe da eine Eventmanagerin aus der Ukraine.“ Er lud sie ein, merkte sofort: Mit ihrem Know-how hatte sie genau die benötigten Skills. „Wir wurden uns rasch handelseinig.“ Weil Schnelligkeit seine Branche kennzeichne. Und weil er schon lange händeringend Fachkräfte suchte. „Die Pandemie hat unseren Markt leer gefegt. Ich war offen für alles. Dass Anna so kompetent ist, war pures Glück für mich.“

Die Anstellung klappte reibungslos, seine neue Mitarbeiterin hatte sämtliche notwendigen Unterlagen parat. „Sie brauchte keine Hilfe, ist stets proaktiv, bildet sich selbstständig weiter.“ Mit den Kunden kommuniziert sie auf Englisch – sein Unternehmen ist international aufgestellt, der Sektor englischsprachig. „Ein Glücksfall“, sagt Chrystal wieder. „Ich musste kein Risiko eingehen, wäre aber dazu bereit. Das gehört zum Unternehmertum.“

Carsten Heiermann, Geschäftsführer der Clean-E Solartechnik GmbH in Remscheid, spricht mit Blick auf seine fast 30 Mitarbeiter ebenso von Zufall. Sie stammen aus mehr als zehn unterschiedlichen Nationen, einige von ihnen sind Geflüchtete aus Afghanistan, Syrien und dem Irak. „Ohne sie ginge es im Betrieb nicht voran“, sagt Heiermann. Vor zwei Jahren startete er sein Business: Photovoltaikanlagenbau. Die Personalsuche lief schleppend, bis eine Bekannte vermittelte. „Sie hilft beruflich unter anderem Geflüchteten und Langzeitarbeitslosen, in Arbeit zu kommen.“ Ähnlich wie Agenturchef Michael Chrystal merkte Heiermann im persönlichen Kontakt, wie fähig seine Kandidaten waren. „Ich ließ sie probearbeiten. Bei einem Bewerber zum Beispiel war sofort klar: Das ist ein hoch qualifizierter Elektriker.“

Doch Heiermann stellte auch ungelernte Kräfte ein: „Sehr gute Handwerker, sehr wertvolle Mitarbeiter.“ Auch wenn nicht immer alle formellen Anforderungen erfüllt, nicht immer alle Dokumente vorhanden seien. „Darüber sehe ich hinweg. Ich zögere nur, wenn die deutschen Sprachkenntnisse fehlen. Denn meine Leute müssen mit Kunden kommunizieren und interne Dokumente verstehen können.“ Weil er bald ins Wärmepumpengeschäft einsteigt und sein Unternehmen umso schneller wachsen muss, stellt er monatlich bis zu zwei neue Personen ein. Inzwischen nutzt er dafür ein eigenes Mitarbeiter-werben-Mitarbeiter-Programm.

„Meine Fachkräfte finden künftige Kollegen in ihrer Community. Sie sind die besten Botschafter. Hinsichtlich Arbeitsmoral, Einsatzwille und Fachlichkeit machen wir super Erfahrungen.“ Zugewanderte seien keine Notnägel, sondern in der Regel fähige Menschen. „Deshalb wünsche ich mir für sie mehr Anerkennung. Der Fachkräftemangel ist längst ein Arbeitskräftemangel. Wie sollen wir ohne Integration der aus unterschiedlichsten Gründen Zugewanderten die Energiewende hinbekommen?“

Ganz zu schweigen von der fortschreitenden Digitalisierung, dem steigenden Betreuungs- und Pflegebedarf. Statistiken zufolge schwinden bis 2035 rund sieben Millionen potenzielle Erwerbstätige. Doch gerade jetzt brauchen wir Fachkräfte dringender denn je. Experten errechnen zugunsten einer Wohlstandssicherung einen Bedarf von rund 1,5 Millionen Zugewanderten. Dass eine Million davon wieder abwandert, berücksichtigt die Bilanz.

Deutschland ist schlecht darin, Zugewanderte aufzunehmen. Diese empfinden Einheimische als überdurchschnittlich unfreundlich, vermissen eine Willkommenskultur, haben große Schwierigkeiten, lokale Freunde zu finden. Das zeigt der jüngste Expat Insider Survey von InterNations, dem größten Netzwerk für Auswanderer weltweit. 32 Prozent fühlen sich demnach hierzulande nicht zuhause. Im globalen Mittel sind es nur 20 Prozent. Bei den Themen digitales Leben, Verwaltung, Wohnen und Sprache belegt Deutschland sogar den letzten von 53 Plätzen. Im Herbst berichtete das Magazin Spiegel im Zuge einer Befragung seitens der Bundesagentur für Arbeit: Ein Viertel der Zugewanderten habe Deutschland verlassen, weil ihre Berufsabschlüsse nicht anerkannt worden seien. Nur jeder Zweite fand sich ohne Unterstützung in der Bürokratie zurecht. 51 Prozent erfuhren Diskriminierung. Die Menschen wandern ab. Dubai, Kanada, USA. Argumente: leichterer Einstieg in das Land, weniger komplexe Einwanderungssysteme, mehr Hilfestellung, bessere Arbeitsbedingungen.

Die gute Nachricht: Zugewanderte haben im Bergischen Städtedreieck einige Anlaufstellen. Im Bayer Starthilfe-Programm beispielsweise werden ein Jahr lang junge Erwachsene mit Schulabschluss gefördert, die im ersten Anlauf keinen Ausbildungsplatz erhalten haben, und so auf eine Ausbildung in einem naturwissenschaftlichen oder technischen Beruf vorbereitet. Acht von zehn übernimmt der Pharmakonzern im Anschluss als Azubis. Das Förderprogramm gibt es in dieser Form seit 1988, 2017 kam ein Kontingent für Geflüchtete hinzu.

„Wir geben den Menschen Orientierung, schulen sie zum Beispiel in interkulturellem Verhalten, vermitteln Werte wie Verbindlichkeit. Basics der Ausbildungsfähigkeit“, berichtet Nicole Fiedler, Vocational and Educational Training, zuständig für Starthilfe und Azubi-Recruiting. „Nach einem Jahr haben die Teilnehmenden – in Wuppertal sind es 16, weitere gibt es in Dormagen und Leverkusen – einen besseren Eindruck, welcher Beruf für sie interessant ist und wie ihre Chancen stehen, in eine Ausbildung zu kommen“, ergänzt ihr Bereichskollege Jan Wagner. Die Bausteine variieren nach Bedarf.

Neben Geflüchteten gehören auch Menschen zur Zielgruppe, die bisher keinen geradlinigen Lebenslauf hatten, Orientierung suchen oder eine Einschränkung haben. Sozialkompetenz, Kommunikations-Skills, Auftreten beim Vorstellungsgespräch, Deutsch – alles potenzielle Schulungselemente. „Die Berufsschule erfordert zwingend B2-Niveau“, sagt Fiedler. „Wir achten darauf, dass sich die Fähigkeiten der Teilnehmenden verbessern, dass sie eventuell in Abendkurse gehen. Die Agentur für Arbeit fördert diese.“ Die Unterstützung beim Einstieg ins Berufsleben zeige sicher gesellschaftliches Engagement, aber binde vor allem eigene Fachkräfte, sagt Wagner. „Das Programm ist als Recruitingtool eine Bereicherung. Es gibt viele Erfolgsstorys. Wenn die Azubis bei uns starten, haben sie schon viel von der Unternehmenskultur kennengelernt.“

Gibt es Herausforderungen? „Traumata“, sagt Fiedler. „Manche Menschen fliehen im Schlauchboot von Zuhause, über mehrere Länder, ohne Eltern, Geld, Habseligkeiten.“ Beim Umgang damit könne gegebenenfalls der unternehmenseigene psychosoziale Dienst helfen. „Auch Menschen, deren Heimatländer gegeneinander Krieg führen, müssen manchmal lernen, miteinander umzugehen.“ Das alles sei machbar. „Die Starthilfe-Teilnehmenden sind so motiviert – die wollen das einfach.“

Ziel sei, langfristige Perspektiven zu schaffen, schließt Wagner. Als Konzern habe Bayer dafür Mittel und Personal, anders als viele kleinere Unternehmen. Trotzdem rät Wagner: „Mutig sein, Chancen geben, geduldig sein, wenn es nicht im ersten Anlauf klappt. Eventuell die eigenen Ansprüche überdenken. Es lohnt sich. Wer unter schwierigen Umständen gefördert wurde, ist um ein Vielfaches besser als jemand mit einem einfachen Weg.“

Laut Bundesinnenministerium leben hierzulande etwa zwölf Millionen Menschen mit ausländischer Staatsbürgerschaft, 5,3 Millionen davon seit mindestens zehn Jahren. Von den im Jahr 2021 Eingebürgerten besitzen fast 70 Prozent mindestens eine weitere Staatsbürgerschaft. Ende August billigte das Bundeskabinett ein neues Einbürgerungsgesetz, um Deutschland für Fachkräfte attraktiver zu machen, Ankommen und Fußfassen zu vereinfachen. Unter anderem soll die Einbürgerungsfrist nur noch fünf statt acht, in besonderen Fällen sogar nur drei Jahre dauern. Statt schriftlicher Deutsch- und Einbürgerungstests soll ein mündlicher Sprachkenntnisnachweis reichen.

Schon jetzt ist erwiesen, dass gerade kleine und mittlere Betriebe bislang erfolgreich auf das Angebot internationaler Fachkräfte zurückgegriffen haben, um der angespannten Arbeitslage zu begegnen. Doch es gibt Herausforderungen, allen voran der bürokratische Aufwand bei der Einstellung Geflüchteter sowie bei der Feststellung des rechtlichen Status‘ von bis auf Weiteres nicht anerkannten Schutzsuchenden. Das verunsichert. Und die Ausländerbehörden sind bundesweit überlastet.

Für Suna Lenz, Leiterin des Ressorts Zuwanderung und Integration in Wuppertal, und ihre Stellvertreterin Arlin Cakal-Rasch, ist das einmal mehr Anlass, Synergien zu bilden – aus dem Haus der Integration in Wuppertal-Barmen heraus, der zentralen Anlaufstelle für alle Fragen zu Zuwanderung und Integration. Fast 300 Mitarbeitende umfasst das Ressort Zuwanderung und Integration, das aus der Ausländerbehörde, dem Kommunalen Integrationszentrum und dem Fachbereich Unterbringung und Versorgung Geflüchteter besteht. „Wir kümmern uns um das Ankommen der Menschen bis hin zur gesellschaftlichen Teilhabe für sie“, sagt Cakal-Rasch.

Und alles dazwischen: Aufenthalt, Sozialleistungen, Bildung, Arbeitsmarkt. Dabei verzahnen insbesondere die Ausländerbehörde und das Kommunale Integrationszentrum ihre Arbeit in der neu gegründeten „Servicestelle Arbeits- und Fachkräfte im Ressort Zuwanderung und Integration“ und bündeln ihre Kompetenzen sowie Kapazitäten – bisher ist das einzigartig in NRW.

Die Servicestelle soll auf zwei arbeitsmarktpolitisch relevanten Feldern Angebote machen, wie Lenz schildert: „Erstens die bereits in Deutschland lebenden Zugewanderten bei der Arbeitsmarktintegration unterstützen und zweitens neben der Bearbeitung von Einzelanfragen und -anträgen die Wuppertaler Firmen bei der Umsetzung des ab nächstem Jahr geltenden Fachkräftezuwanderungsgesetzes beraten und begleiten.“ In der Servicestelle unterstützen die Mitarbeitenden Zugewanderte zum Beispiel bei der Suche nach passenden Arbeits- und Ausbildungsstellen, idealerweise bei lokalen Arbeitgebern. „Das umfasst auch konkrete Hilfe beim Lernen der Sprache, beim Bewerbungsprozess und bei Fragen zum Aufenthaltsstatus“, sagt Lenz.

Seit kurzem kooperiert die Servicestelle mit den Wuppertaler Stadtwerken. Ziel: mehr eigene Fach- und Nachwuchskräfte gewinnen. Sehr oft begegnen dem Team der Servicestelle Lenz zufolge Menschen, die hoch motiviert und qualifiziert, manchmal aber auch noch unzureichend ausgebildet sind, aus prekären Lebensverhältnissen stammen, einen ungeklärten Aufenthaltsstatus besitzen. All das erfordere einen durchdachten Zugang. „Wir zielen darauf ab, mit flankierenden Unterstützungsmaßnahmen eine Grundlage für die Integration in den Arbeitsmarkt zu schaffen.“

Eine weitere Aufgabe des Teams ist, Akteuren wie Arbeitgebern und ihren Verbänden, Vereinen, Ehrenamtlichen oder freien Trägern in Zuwanderungs- und Integrationsfragen zur Seite zu stehen und Arbeitgeber, die Geflüchtete oder Fachkräfte aus dem Ausland einstellen wollen, zu beraten sowie gemeinsam die behördlichen Schritte vorzubereiten. Und mitunter Lösungen für Betriebe zu finden, die zum Beispiel keine Kapazitäten haben, während der Arbeitszeit auf ihre Mitarbeitenden zu verzichten, damit diese etwa einen Sprachkurs machen können. Da vermittle man Abendkurse.

„Unternehmen sind heute aufgrund des Fachkräftemangels offener für Zugewanderte als früher“, sagt Lenz. Vermitteln sei das eine, sagt Cakal-Rasch. Aber beide Seiten sollten auch zufrieden sein und sich mit der Situation wohlfühlen. „Das haben wir systematisiert und stabilisiert.“ Für den Pflegebereich beispielsweise habe das Team ein Projekt mit sieben Bausteinen entwickelt, das unter anderem Praktika und einen berufsbezogenen Sprachkurs umfasst. Derzeit entstehe ein Mentoringprogramm.

„Wir haben die Pflegeschulen vernetzt und arbeiten begleitend mit ihnen weiter. Seit Anfang des Jahres haben wir schon 30 Menschen in Arbeits- und Ausbildungsverhältnisse in der Pflege vermittelt. Das ist eine wuchtige Zahl.“ Da die Personen meist Geduldete im Leistungsbezug seien, schaffe dieses Engagement nicht nur langfristige Perspektiven, sondern entlaste auch die kommunalen Kassen. Cakal-Rasch und Lenz appellieren an die Politik, diese Potenziale zu nutzen. Um das strategisch und umfassend leisten zu können, braucht es auch in der Servicestelle mehr Personal.

Die eigentliche Arbeitsmarktintegration von anerkannten Geflüchteten liegt beim Jobcenter. Dort zählt man gerade 48.000 Leistungsberechtigte im Bürgergeld. 13.000 von ihnen haben einen Fluchthintergrund, davon 6.700 Syrer, 4.200 Ukrainerinnen, 1.000 aus dem Irak, 500 aus Afghanistan und nochmal etwa 1.000 aus Ländern wie Iran, Eritrea oder Nigeria. Anerkannte Geflüchtete oder solche, die Schutz genießen.

2022 habe Wuppertal mehr als 6.000 Ukrainerinnen aufgenommen und dazu vorübergehend ein Servicecenter eröffnet. „Innerhalb kürzester Zeit mussten viele Themen gelöst werden, wobei Jobcenter und das städtische Ressort Zuwanderung und Migration Hand in Hand zusammengearbeitet haben“, sagt Andreas Kletzander, Vorstand für Arbeitsmarkt und Kommunikation im Wuppertaler Jobcenter. Wohnen, Kinderbetreuung, Sprachkurse, Antragsverfahren auf Transferleistungen, erste Gespräche zur beruflichen Integration, Anerkennung von Berufsabschlüssen. „Mittlerweile haben wir das wieder in den Regelbetrieb integriert, da sich die Situation stabilisiert hat.“

Die acht Jobcenter-Geschäftsstellen sind dezentral mit Stadtteilbezug organisiert. Neuzugewanderte mit Anspruch auf Bürgergeld kommen in die „Zebera“ im Haus der Integration. „Diese Menschen haben andere Erfordernisse als die, die schon länger da sind“, sagt Kletzander. Eine positive Dynamik sieht er im Rückgang syrischer Leistungsbeziehender. Mit Blick auf Bildung gebe es in Syrien ein starkes Stadt-Land-Gefälle. Die Arbeitsmarktintegration könne zwischen einigen Monaten und sieben Jahren dauern. Viele Syrer bezögen trotz Teil- oder Vollzeitarbeit Leistung, um ihre oft großen Familien zu ernähren.

Der Erfolg bei der Integration in eine Beschäftigung hänge auch immer von funktionierender Kinderbetreuung ab, sagt Kletzander. „Es gibt generell zu wenig Plätze, zu wenig Fachkräfte. Zugewanderte haben den zusätzlichen Nachteil, dass sie die hiesigen Strukturen nicht kennen.“ Von den rund 9.000 Alleinerziehenden in Wuppertal seien die meisten weiblich, jede Zweite im Leistungsbezug. „Das zeigt, wie benachteiligt diese Personengruppe wegen der mangelnden Kinderbetreuung ist.“

Um den diversen Ansprüchen bei der Integration zu genügen, brauche es Systemverständnis – auch mit Blick auf mögliche kulturelle Konflikte und Traumata – sowie umfassende Beratung von Dritten, um die Menschen so nahe wie möglich an eine Chancengleichheit zu bringen. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie habe bei Zugewanderten bisweilen noch einen höheren Stellenwert als bei Menschen, die hier geboren wurden – da schlummere Potenzial.

„Geflüchtete haben einen besonders hohen Druck, via Arbeit ihren Lebensunterhalt zu sichern. Müssen dafür noch die Sprachkompetenzen ausgebaut werden, ist das eine zusätzliche Herausforderung nach Feierabend“, sagt Jutta Zimmermann, Abteilungsleitung Migrationsdienste bei der Diakonie Wuppertal – Soziale Teilhabe gGmbH. Die Diakonie ist eine von acht regionalen Partnern im Beratungs- und Vermittlungsnetzwerk „bergisch StArK – Stabilisierung, Arbeit, Kompetenz“. Es hilft Geflüchteten ab 15 Jahren im Städtedreieck Wuppertal, Solingen und Remscheid, Arbeit oder eine Ausbildung zu finden. Außerdem beraten die Netzwerkpartner Arbeitgeber, die Geflüchtete rekrutieren wollen, und bieten Schulungen für Behörden und weitere Institutionen an.

Zimmermann: „Es gibt viele Hemmnisse, was die Beschäftigungsaufnahme angeht. Auch diese helfen wir, abzubauen.“ Im Rahmen des Programms „WIR– Netzwerke integrieren Geflüchtete in den regionalen Arbeitsmarkt“ fördern sowohl das Bundesministerium für Arbeit und Soziales als auch die Europäische Union das Projekt „bergisch StArK“ über den Europäischen Sozialfonds Plus. Zimmermann: „Das Programm des ESF entwickelt sich ständig weiter. Dass Jugendliche mit Arbeitsmarktzugang teilnehmen können, ist ganz neu, zudem gibt es neue Schwerpunkte wie geflüchtete Frauen, Geflüchtete mit geistigen oder körperlichen Einschränkungen und jetzt auch ein digitales Themenfeld.“

Integration ins Arbeitsleben ist das eine, der Kosmos drumherum das andere. Die Wuppertaler Workstadt GmbH sieht sich als Verteil- und Vernetzungsstation, eine Brücke zwischen beiden Welten. „Wir öffnen den Zugang zum ganz normalen Leben“, sagt Geschäftsführerin Esther Königes. Denn fänden Fachkräfte privat keinen Anschluss, etwa in Vereinen, im Rahmen einer Kinderbetreuung und ähnlichem, sei das für viele ein triftiger Abwanderungsgrund. „Unternehmen können das nicht leisten, denn es geht ja auch um den privaten Rahmen, der per Definition selbstbestimmt sein soll. Aber was, wenn man nicht weiß, wo man ankommen kann?“

Die Workstadt-Community verbinde Menschen untereinander, verweise auf bestehende oder schaffe neue Lösungen. „Wir haben uns schon dafür eingesetzt, dass die VHS einen englischsprachigen Yogakurs eingerichtet hat. Wir versuchen, Unternehmen für ihre eigene kulturelle Öffnung zu befähigen. Dazu gehört Sprache genauso wie die Fähigkeit, offen auf Menschen aus dem Ausland zuzugehen. Wir befähigen zum einen die internationalen Fachkräfte, zum anderen die Unternehmen, zueinander zu kommen.“

Oft sei der Wille zur Rekrutierung Zugewanderter da, aber die Scheu groß, sagt Königes. Dabei seien viele Arbeitgeber anschlussfähiger als intern vermutet. „Sicher gibt es schon Mitarbeitende, die Fremdsprachen sprechen, sicher hat der Standort viele Vorteile, etwa den Anschluss an viele Autobahnen und Flughäfen. Ich empfehle, genau hinzusehen.“ Die eigenen Englischkenntnisse aufzufrischen, hält Königes ebenfalls für essenziell. Nicht immer müsse das Management vorangehen. Es könne die „Internationalisierung“ auch delegieren, etwa an junge Führungskräfte. Deren Motivation und, idealerweise, Auslandserfahrungen schafften eine gute Grundlage für wichtige Empathie gegenüber Zugewanderten. Herausforderungen würden eher als Chancen, Kollegen aus anderen Ländern als Bereicherungen wahrgenommen. „Wir brauchen Veränderungsbereitschaft. Internationale Teams kommen nachweislich viel schneller zu Lösungen. Die Erwartung ist häufig, dass sich Fachkräfte selbst integrieren – es ist jedoch ungemein wichtig, ein gemeinsames Verständnis zu entwickeln, dass alle aufeinander zugehen müssen. Bewegen wir uns nicht, sind wir bald nicht mehr wettbewerbsfähig.“

Text: Tonia Sorrentino

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