Zukunftsfähige Unternehmen schaffen - Visionen und Leitbilder
Fachkräftemangel, Zukunftsfähigkeit, mobiles Arbeiten – die Themen für Unternehmen haben sich in den letzten Jahren verändert. Damit KMU effektiver arbeiten können, braucht es neue Geschäftsmodelle und Strukturen.
„Es kann heute nicht mehr nur um das Produkt oder die Leistungen einer Organisation gehen. Es geht um eine neue, interne Struktur, für die sich die Mitarbeitenden im Unternehmen verantwortlich fühlen“, so beschreibt Oliver Haarmann die Grundvoraussetzung für ein zukunftsfähiges Unternehmen. Er ist Inhaber von Oh! Design und Beratung in Remscheid. Zuerst müsse sich ein Unternehmen überlegen, wo es zum Beispiel in fünf Jahren mit welcher Verantwortung und Sinnstiftung stehen möchte. „Dazu ist es notwendig, mit allen im Unternehmen eine nachvollziehbare Vision und ein Leitbild zu entwickeln. Ohne diese Orientierung geht es nicht. Nur so kann sich eine echte Identität entwickeln. Es ist ein Prozess, auf dessen Weg alle, und wirklich alle, Mitarbeitenden involviert werden.“
Er ist aufgrund seiner Erfahrung der Überzeugung, dass im Prozess des Wandels von Arbeitsweisen und Unternehmen die Mitarbeitenden einer Firma heute wichtiger sind als die Geschäftsführung. Damit ist gemeint, dass sich die Geschäftsführung für eine zielführende Entwicklung der Mitarbeitenden zurücknehmen kann und sie jetzt mehr als zuvor echter Unterstützer dieser wird. Natürlich gehören auch die Kunden, die Mitbewerber und der Markt dazu, um als Unternehmen erfolgreich zu sein. Doch letztlich ist die Bindung der Mitarbeitenden eine der tragenden Säulen: „Wer sich mit dem Unternehmen identifiziert und von der Geschäftsführung eingeladen ist, Prozesse konstruktiv mitzugestalten, wird letztlich ein erfolgreicheres und zukunftsfähiges Unternehmen gewinnen.“
So kann auch der Fachkräfte-Mangel angegangen werden. Junge Leute schauen sich heute nicht zunächst das Produkt des Unternehmens an, sondern: Mit wem werde ich hier zusammenarbeiten? Wie sehen die möglichen Kollegen aus? Welche Werte werden in der Mitarbeiterschaft gelebt? Wer ins Team passt, die Werte eines Unternehmens mitträgt, wird letztlich recrutiert und auch dem Unternehmen lange erhalten bleiben.
Oliver Haarmann berät KMU in diesem Prozess mit Hilfe eigener Methoden sowie mit praxisorientierten Workshops, die gemeinsam mit allen Mitarbeitenden stattfinden. Dazu hat er 2016 eine eigene Transformations-Roadmap entwickelt, ein zielführendes System, mit dessen Anwendung er gemeinsam mit den Teams der Unternehmen Veränderungsprozesse strukturiert und begleitet.
Konkretes Beispiel dafür ist das 179 Jahre alte Unternehmen P.F. Freund & Cie. GmbH aus Wuppertal. Denn schon 2017 nahm Geschäftsführer Daniel Schreiber Kontakt zu Oh! Design auf – mit dem Ziel, die Strukturen und Arbeitsweisen der Werkzeugfabrik zukunftsfähig zu gestalten. Mit 45 Mitarbeitenden gehört Freund klassisch zu den KMU. „Wir sind ein Industrieunternehmen mit langer Tradition. Nun waren wir an einem Punkt angekommen, an dem wir etwas verändern wollten und mussten. Wir stellten uns die Frage, wie wir uns eigentlich unsere Zukunft vorstellen“, so beschreibt es Daniel Schreiber. „Unsere Stresskurve ging immer weiter nach oben, das Wohlbefinden nach unten.“
Gemeinsam mit Oliver Haarmann wurde zunächst dieser Ist-Zustand des Unternehmens analysiert. Dies sieht seine Transformations-Roadmap nämlich als ersten, wichtigen Schritt vor: Bei der Beurteilung der Firmen geht es um Kundenwert, Segmentierung und natürlich dessen Bedürfnisse. Analysiert wurden auch die Wettbewerber mit aktueller Positionierung und neuen Marktteilnehmern.
„Vor allem aber definierten wir zunächst unser Leitbild, unsere Vision und Handlungsfelder, um diese Vision zu realisieren, und: Wie wollen wir miteinander umgehen?“, sagt Daniel Schreiber. In der Ist-Analyse werden auch Potenziale, Grenzen und mögliche künftige Entwicklungen herausgearbeitet. Unternehmensfähigkeiten und Erfolgsfaktoren wurden relativ leicht identifiziert. Im nächsten Schritt haben sich alle Mitarbeitenden unter anderem klar gemacht, welche Kunden sie überhaupt ansprechen wollen – und wen nicht. Womit kann das Unternehmen seine Kunden überhaupt begeistern? Erst, wenn solche Fragen wirklich ehrlich „auf dem Tisch“ liegen, kann es überhaupt an die Veränderung der Strukturen und Prozesse gehen.
„Die Workshops waren richtig gut; gemeinsam wurden Lösungen erarbeitet, entdeckt, welche Prozesse haken, und wie sie besser laufen können“, sagt Oliver Haarmann. Und Daniel Schreiber macht es konkret: „Wir haben einiges verändert – gerade in den Abläufen und der Digitalisierung sind wir vorangekommen. Im Sinne der Mitarbeiter-Zufriedenheit wurde das mobile Arbeiten eingeführt. Gleitzeit bieten wir schon seit vielen Jahrzehnten an.“ Schließlich haben sich auch Gesellschaftsprozesse verändert, Familienfreundlichkeit muss im Fokus stehen, damit ein Unternehmen auch für Fachkräfte interessant ist.
Ein ganz konkreter Arbeitsablauf hat sich verbessert: „Bisher war die Lieferzeit unserer Produkte zu lang. Sie betrug teilweise bis zu mehr als zwei Wochen. Warum, so fragten wir uns, soll ich im beruflichen Umfeld länger auf ein Produkt warten als ich es ja mittlerweile im Privaten tue?“, erzählt Daniel Schreiber. Im Team entstanden viele Ideen, und durch eine Vielzahl von kleinen Maßnahmen kann Freund nun eine Lieferzeit von rund zwei Tagen anbieten. „Wir haben diese Veränderung gemeinsam gemeistert.“
Auch der Recruiting-Prozess hat sich verändert: „Wir haben einen dreistufigen Recruiting-Prozess entwickelt und machen bei der Einstellung von Mitarbeitern keine Kompromisse. Der neue Kollege muss unsere Werte unterstützen, zu unserer Kultur passen und mit uns wachsen wollen, um die Ziele zu erreichen, die wir als Team gemeinsam festgelegt haben.
In den vergangenen Jahren haben uns auch wieder Menschen verlassen, die mit den Veränderungen und den neuen Anforderungen nicht zurechtgekommen sind.“ Wer eingestellt wird, kann und soll seine Meinung sagen. Er kann mitgestalten, Ideen einbringen im Sinne der Firma. Die bisherige Erfahrung ist, dass diese Mitarbeitenden dann auch länger im Unternehmen bleiben und den Erfolg wesentlich mitgestalten
Seine Meinung sagen können – dazu gehört auch Streit. Eine neue Unternehmensstruktur ist keine heile Welt. Das weiß Daniel Schreiber. Dieser Transformations-Prozess war und bleibt kein einfacher und ist auch noch lange nicht abgeschlossen. Natürlich kommen Konflikte vor. Veränderungen führen zu Unruhe. „Dann reden wir mit den Kollegen und klären die Inhalte“, sagt er. „Wir können es nicht immer allen recht machen.“
Abteilungsleiter heißen bei Freund „Bereichsleiter“: Damit möchte die Firma betonen, dass es keine „abgeteilte Abteilung“ in der Firma gibt, sondern spezialisierte Bereiche, die bereichsübergreifend zusammenarbeiten. Diese Bereichsleiter haben die Verantwortung und Weisungsbefugnis für die jeweiligen Mitarbeitenden der Bereiche. Sie verteilen die Aufgaben.
Ähnliches gilt für das Erreichen von gemeinsam entwickelten Zielen: Bis zu einem bestimmten Zeitpunkt soll zunächst das Teilziel bearbeitet werden. Das entsprechende Team bestimmt ein bis zwei Personen. Diese haben aber dann nicht immer weitere, zusätzliche Aufgaben, sondern werden „geschützt“ – sie sind von den anderen Arbeiten freigestellt, damit sie sich in Ruhe um das Erreichen der Teilziele kümmern können. „Dadurch entsteht eine Gemeinschaft, die sich gegenseitig stützt“, so beschreibt es Oliver Haarmann.
Deshalb wird bei Freund auch teamübergreifend gearbeitet. Wenn es Probleme in einem Bereich gibt, wird in einem Fachbereich nach Unterstützung, nach Ideen gefragt. Einen Betriebsrat gibt es übrigens nicht mehr; hier haben sich die sogenannten „Kulturhelden“ gegründet: Aus jedem Fachbereich gibt es Personen, die sich darum kümmern, die Unternehmenskultur und die entsprechenden Werte aktiv und bewusst zu erhalten. „All das, diese Transformation lebt vom offenen Visier, von Austausch und Offenheit“, betont Daniel Schreiber engagiert. „Ich bin überzeugt davon, dass wir als Team die Erneuerung weiter voranbringen und so die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens sicherstellen.“
Das Unternehmen Freund gehört übrigens auch zu den Kooperationspartnern des Forschungsprojekts „AgilOLab“, Agile Organisation für digitales Lernen und Arbeiten in produzierenden Unternehmen aus der Region Bergisches Land. Auch hier geht es darum, Strategien und Konzepte zur innovativen Geschäftsmodellen zu entwickeln:
Das Projekt wird im Rahmen der Programme „Zukunft der Wertschöpfung – Forschung zu Produktion, Dienstleistung und Arbeit“ und „Innovation & Strukturwandel“ durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung, BMBF, gefördert. Teilnehmende Unternehmen erhalten einen Anteil der Fördermittel. Entstanden ist dieses Projekt zu Beginn der Corona-Pandemie. „Es stellte sich die Frage, wie wir KMU im Bergischen besser aufstellen können – außer durch die Möglichkeit Homeoffice“, erklärt Antje Ballentin-Schniering, wissenschaftliche Mitarbeiterin der für das Forschungsprojekt verantwortlichen FGW, Forschungsgemeinschaft Werkzeuge und Werkstoffe, die Vorüberlegungen. „Unser Ziel ist es, KMU ein integratives Konzept zur agilen Gestaltung ihrer Arbeits- und Organisationsstrukturen mit Hilfe von Lösungsvorschlägen zu bieten.“ Geschäftsmodelle sollen so modernisiert und strategische Innovationen im Unternehmen gefördert werden.
Das Projekt läuft über einen Zeitraum von drei Jahren. Zunächst wird auch hier eine Ist- und Trendanalyse der KMU herausgearbeitet. So entwickelt sich der Handlungsrahmen, und die Anforderungen des „AgilOLab“ für die einzelnen betrieblichen Anwendungsfälle werden spezifiziert. „Wir begleiten die Unternehmen systematisch und verschlanken Arbeitsprozesse. Das ist zum Beispiel bei der Firma Arntz in Remscheid so: Sie hat sich für die Umsetzung des `Firmenwikis´ über Microsoft Office / Sharepoint entschieden. Der große Vorteil dieser Software ist, dass alle Mitarbeitenden mit einem E-Mail-Account bereits über einen Zugang verfügen und somit mit der Handhabung vertraut sind“, so beschreibt es Dominik Lenz. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der FGW und bezogen auf „AgilOLab“ Projektkoordinator und damit erster Ansprechpartner für die Unternehmen sowie alle anderen Projektpartner.
Produkte sollen verbessert werden, aber gerade im Hinblick auf den globalen Wettbewerb ist es schwer, sich durchzusetzen. „Es gibt eben nicht mehr nur die Region, in der Wettbewerb stattfindet“, sagt er. „Deshalb müssen wir Angebote schaffen, durch die sich das Unternehmen abhebt.“ Möglich ist das beispielsweise durch Apps, die Daten zu bestimmten Themen übersichtlich darstellen können. Auch die Anschaffung von entsprechender Hardware wie Laptops und Tablets gehört dazu. Auch hier betont Dominik Lenz, wie wichtig die Mitarbeiter-Bindung ist. „Wir müssen dafür Sorge tragen, dass sich die Mitarbeitenden mit dem Unternehmen identifizieren und sich dadurch verantwortlich fühlen.“ Zukunftsfähigkeit heißt also: Das Unternehmen braucht Visionen und einen ganz wichtigen Unterbau, ohne den es nicht erfolgreich sein und bleiben kann: die Mitarbeitenden.
Text: Eva Rüther