Nachfolge - Wenn Mitarbeiter übernehmen

Die langfristige Sicherung der Unternehmensführung gehört zu den wichtigsten Themen der Wirtschaft. Nicht immer findet sich eine Lösung in der Familie – doch es gibt ja auch die unternehmensinterne Möglichkeit.

Mit nicht einmal 40 Jahren verfügt Christian Kern heute über unternehmerische Erfahrungen, für die andere ein ganzes Berufsleben brauchen – oder sie niemals machen. Seine Geschichte beginnt mit einer Ausbildung zum IT-Systemelektroniker bei Siemens. Im Anschluss fängt er 2005 bei einem Solinger Telekommunikationsspezialisten als einer von vier Mitarbeitern an. Der junge Mann fällt auf durch Ehrgeiz, Kompetenz und Unternehmergeist. Schon nach wenigen Jahren lässt der Gründer und Inhaber durchblicken, dass er sich den Techniker eines Tages durchaus als Nachfolger vorstellen könnte. „Das war aber noch nichts Konkretes“, betont Christian Kern. Ab 2012 absolviert er ein dreieinhalbjähriges BWL-Abendstudium, finanziert vom Arbeitgeber.

2015 wird es dann ernst. „Es gab zwei Optionen für eine Fortführung des Unternehmens: Verkauf an einen Marktbegleiter oder eine Nachfolge durch Mitarbeiter“, so Christian Kern. Die zweite Variante sollte es werden. Chef und Angestellter setzen sich zusammen und planen die Zukunft. „Geplant war eine Einarbeitung von zehn Jahren. Das wäre die ideale Übergabe gewesen“, so der 38-Jährige. Doch ein Schicksalsschlag macht die Pläne zunichte. Der Unternehmensgründer erkrankt schwer und stirbt. „Ich bin daraufhin sofort in die Geschäftsführer-Position gerutscht“, sagt der Nachfolger. Für ihn sei es ein „Wurf ins kalte Wasser“ gewesen. Zwar habe er sich schon gut ausgekannt im Unternehmen, „doch viele Hintergründe, zum Beispiel steuerlicher Natur, fehlten mir damals noch“. Auch der Kauf wird, in Absprache mit den Erben, deutlich vorgezogen: „Mit 33 Jahren war ich Eigentümer; vorgesehen gewesen war der Kauf mit 40.“

Trotzdem: Im Rückblick kann sich Christian Kern an keine echten Zweifel erinnern: „Der Markt war gut, die Mitarbeiter waren spitze – ich wollte es unbedingt machen.“ Nach Gesprächen mit einigen Banken ist er in der Lage, die Kaufsumme aufzubringen. Der Wert des Unternehmens liegt vor allem im Kundenstamm. Der Jungunternehmer krempelt die Ärmel hoch. „Häufig habe ich bis zu 16 Stunden gearbeitet, auch samstags.“ Er habe die Firma zwar nicht komplett auf den Kopf gestellt, aber doch viele zentrale Dinge geändert. Sein Motto lautet: „Raus aus dem alten Trott!“ Binnen eines Jahres steigt der Umsatz von 1,4 auf 3,8 Millionen Euro, was allerdings auch mit den Corona-Folgen zu tun hat: Das Unternehmen verkauft unter anderem Headsets, die durch den Homeoffice-Boom reißenden Absatz finden.

Zwei Jahre lang geht es so erfolgreich weiter. Dann zieht der Nachfolger die Reißleine. Zwar habe er sehr gut verdient, aber keine Zeit gefunden, die Früchte der Arbeit zu genießen. „Schon zwei Tage Urlaub waren für mich unvorstellbar.“ Im Frühjahr 2021 verkauft er an einen Mitbewerber, der die GmbH als solche erhält. Heute ist Christian Kern, Sprecher der Wirtschaftsjunioren Solingen, ein „normaler Angestellter“. Als Senior Consultant ist er für das Käufer-Unternehmen tätig. Damit ist er zufrieden. Die Option, gewisse Anteile am Unternehmen zu halten, waren ihm damals zwar offeriert worden. Doch Christian Kern lehnte ab.

Sein Fall ist – bis zum Weiterverkauf – ein Beispiel für sogenannte familienexterne Übergaben. Diese machen nach Angaben des Instituts für Mittelstandsforschung (IfM) Bonn zwar weniger als 30 Prozent aller Nachfolgeregelungen aus. Doch in Anbetracht der Gesamtzahl hat auch dieser Prozentsatz reichlich Relevanz. Für insgesamt rund 190.000 Unternehmen in Deutschland steht nach den Anfang 2022 veröffentlichten Schätzungen des IfM Bonn bis einschließlich 2026 eine Nachfolge an, weil die Eigentümer aufgrund von Alter, Krankheit oder Tod aus der Geschäftsführung ausscheiden. Das sind rund 38.000 Übergaben jährlich. Fast die Hälfte der Übernahmen werden im Bereich der unternehmensnahen Dienstleistungen stattfinden und über ein Viertel im produzierenden Gewerbe. Dagegen dürfte es, so das IfM, bei Unternehmen, die personenbezogene Dienstleistungen anbieten (etwa Gastgewerbe, Gesundheits- und Sozialwesen und Unterhaltung) sowie im Handel deutlich seltener zu einer Übernahme kommen. Für NRW werden statistisch 54 Übergaben pro 1.000 Unternehmen im genannten Zeitraum erwartet. Für Deutschland insgesamt geben die Wissenschaftler 52 Übergaben an.

Steht aus der Familie niemand zur Verfügung, rückt der Unternehmensverkauf an Mitarbeiter in den Fokus. Für den – auch nachhaltigen – Erfolg eines solchen Schrittes betonen Experten immer wieder zwei wesentliche Faktoren: Zeit und Sorgfalt. Tim Breidenbach, Geschäftsführer des gleichnamigen Spezialisten für Schweißtechnik und Arbeitsschutz in Solingen, hat sich diesen Rat ganz offensichtlich zu Herzen genommen: „Da ich im Kollegenkreis einige Male erlebt habe, dass viele ältere Inhaber nicht rechtzeitig den Absprung schaffen, habe ich mir fest vorgenommen, im Alter von 50 Jahren einen klaren Übergabe-Plan zu haben.“

Mit Fabian Düllberg, Leiter des Bereichs Schweißtechnik, ist ein Nachfolger aus den eigenen Reihen gefunden. Sein Einstieg war keine Entscheidung von heute auf morgen, eher ein schleichender Prozess. „Ich habe in der Firma als Sachbearbeiter angefangen und mir war klar, dass meine persönliche Entwicklung nicht stagnieren soll“, sagt er. „Nach einigen Jahren in der Sachbearbeitung und einem betriebswirtschaftlichen Studium haben wir uns vor etwa zehn Jahren das erste Mal zusammengesetzt und geschaut, welche weitere Entwicklung für mich in der Firma möglich ist.“ Dieses Gespräch findet seitdem jedes Jahr statt. „Tim und ich haben im Laufe der Zeit festgestellt, dass wir uns sehr gut ergänzen und miteinander arbeiten können. So ist in den vergangenen drei bis vier Jahren auch der Gedanke meines Einstiegs gereift“, so der Nachfolger.

Geplant ist, die Firma in zwei Schritten zu übergeben. Zum kommenden Jahresanfang wird Fabian Düllberg zunächst 20 Prozent übernehmen. Zehn Jahre später sollen dann die restlichen 80 Prozent folgen. „Wir haben uns sehr viel Mühe gegeben, eine faire und für Fabian machbare Lösung zu finden“, sagt Tim Breidenbach. Dafür habe man die Werte der jeweiligen Anteile – auch des Löwenanteils 2034 – bereits fixiert. „Fabian soll ja nicht dafür bestraft werden, dass er sich aktiv an der positiven Entwicklung des Unternehmens beteiligt.“

Fabian Düllberg reizt nach eigener Aussage vor allem die Chance, den Erfolg des Unternehmens in absehbarer Zeit auch in der Hauptverantwortung weiterzuführen. Dabei sind ihm die zahlreichen Herausforderungen durchaus bewusst. „Aus den letzten Jahren wissen wir alle, dass alles, was von außen auf uns zukommt, kaum mehr planbar ist.“ Intern dagegen sei schon jetzt klar, dass man in den nächsten Jahren einen Umbruch in der Belegschaft meistern müsse: „Über die Hälfte unserer Mitarbeiter ist über 50 Jahre alt. Hier wird die große Aufgabe sein, das Team und die Firma zukunftssicher aufzustellen.“

Der designierte Nachfolger rechnet es seinem Vorgänger hoch an, „dass er nicht mit dem Gedanken spielt, die Firma höchstbietend an den nächsten Konzern zu verkaufen. Wir sind ein Familienunternehmen mit fast 50-jähriger Geschichte und setzen extrem viel Energie in Service, Nähe und den persönlichen Kontakt.“ 2007 hatte Tim Breidenbach das Unternehmen selbst durch Kauf von seinem Vater übernommen. „Der Prozess war sicher für mich sehr hilfreich, da ich beide Seiten kenne – die des Käufers und die des Verkäufers“, sagt er. Bei der angepeilten endgültigen Übernahme wird der heutige Geschäftsführer 60 Jahre alt sein. „Ob ich noch ein paar Jährchen in Teilzeit mitarbeite, muss dann Fabian entscheiden.“

„An das Bisherige anzuknüpfen, ohne alles gleich auf den Kopf zu stellen, ermöglicht es, von einer oft soliden Basis das Geschäft weiterzuführen und Veränderungen in wohl dosiertem Maße anzugehen“, nennt Lena Schneider-Ott einen der Vorteile einer Mitarbeiter-Nachfolge. Zusammen mit ihrem Vater Klaus führt sie die Wuppertaler Focus Team KG für Unternehmens-, Organisations- und Personalentwicklung. „Da unsere Arbeit oft auch eine sehr personenbezogene Komponente umfasst, unsere Geschäftsbeziehungen dazu zumeist auf eine lange Historie zurückgehen, sind solche persönlich und auch emotional angelegten Themen insbesondere im Mittelstand und hier im Familienunternehmen ein Thema. Wir reden hier nicht selten über Lebenswerke“, so die Beraterin.

Eine Vielzahl von Faktoren – vom mangelnden Interesse bis zum Führungs- und Fachkräftemangel – mache die Nachfolge-Not insgesamt groß. Hinzu kommt eine nicht selten zu späte Auseinandersetzung mit der Herausforderung Nachfolge. „Wir erleben bei unseren Kunden, dass dies leider zu lange eine viel zu geringe Rolle spielt. Da wir eher im Hier und Jetzt leben und meist auch unmittelbare Herausforderungen zu lösen haben, kommt die langfristige Planung häufig zu kurz“, berichtet Klaus Schneider-Ott. Es werde häufig „gehofft“, dass sich die Nachfolge schon ergeben werde – „was natürlich so gut wie nie passiert“.

Und selbst wenn potenzielle Kandidaten gefunden sind, gibt es diverse Hürden zu überwinden. Zu den höchsten zähle die Finanzierung, so Klaus Schneider-Ott. „Um hierfür ein praktikables Konzept zu finden, müssen in der Regel neben den bisherigen und künftigen Inhabern auch die Banken mitspielen.“ Zudem gehe es nicht ohne Zugeständnisse von beiden Seiten. Nach Ansicht von Lena und Klaus Schneider-Ott haben Mitarbeitende zwar aus verständlichen Gründen das Interesse, dass das Unternehmen weitergeführt wird. „Sie schrecken aber nicht selten vor dem Schritt in die Selbstständigkeit mit der Übernahme von so großer Verantwortung zurück.“ Ihnen bei gegebener Kompetenz den Weg zu glätten, sie auf diesem Weg zu begleiten und Hindernisse auszuräumen, sei daher eine wichtige Voraussetzung für eine gelingende Übergabe.

„So ist nicht die Frage zu stellen, ob sich geeignet erscheinende Kandidaten eine Übernahme vorstellen können, sondern unter welchen Bedingungen und Voraussetzungen der Schritt in die Selbstständigkeit für sie denkbar erscheint“, meint Lena Schneider-Ott. So sei es unter anderem für interessierte Nachfolger hochattraktiv, nicht sofort allein auf eigenen Beinen stehen zu müssen, sondern in verträglichem Maße in eine veränderte Situation hineinwachsen zu können.

So ähnlich sehen es auch Sarah und Dylan Knörr, beide 37. Sie sind seit vergangenem Frühjahr Gesellschafter und Geschäftsführer von Bürger Albrecht Partner. Das Ehepaar hat die Unternehmensanteile des ausgeschiedenen Mitgründers Jens Albrecht übernommen und hält damit jeweils 25 Prozent der GmbH. Mit an Bord ist weiterhin Peter Bürger (59). „Das war uns sehr wichtig. Bereits als Angestellte haben wir die Agentur schon stark geprägt und entwickelt. Wir schätzen das uns entgegengebrachte Vertrauen sehr. Immerhin blickt das Unternehmen auf über 28 erfolgreiche Jahre zurück. Die Geschäftsführung war für uns ein großer, aber auch logischer Schritt.“

Fachlich ergänzt sich das Trio gut. „Wir profitieren von Peters großer Erfahrung, er profitiert von unserer Experimentierfreude im digitalen Bereich. Zudem haben wir drei alle mehr als eine Ausbildung, was uns fachlich sehr breit aufstellt“, schildert Dylan Knörr die Win-Win-Situation für die strategische Marken-Agentur. Beide waren vorher einige Jahre als angestellte Designer für Bürger Albrecht Partner tätig gewesen. Die Arbeit sei durch die Übernahme natürlich nicht weniger geworden. „Doch wir lieben den Job und sprechen auch zuhause viel darüber“, sagt Sarah Knörr. Anfängliche Bedenken, ob das intensive gemeinsame Arbeiten nicht die Beziehung belasten würde, seien längst verschwunden. „Die private Harmonie ist auch nach der Firmenübernahme geblieben“, so Dylan Knörr.

Text: Daniel Boss

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