- Geben und nehmen

Die Tafel Wuppertal ist deutschlandweit die viertgrößte ihrer Art. Das ist mitnichten ein Grund zum Jubeln, findet Peter Vorsteher, der seit April 2021 als erster Vorsitzender arbeitet.

Donnerstag, 13 Uhr. Es ist viel los in Wuppertal-Barmen. Von allen Seiten strömen Menschen aller Altersgruppen in Richtung des riesigen Gebäudekomplexes am Kleinen Werth. 10.000 Quadratmeter Grundfläche. Der Laden brummt – würde man sagen, wenn es sich um ein reines Wirtschaftsunternehmen handelt. Viele Kunden, das bedeutet viel Umsatz. Doch die Menschen stehen hier nicht, um das neueste iPhone zu ergattern, sondern weil sie keine andere Wahl haben. Die Scharen an hilfsbedürftigen Menschen, die sich bei der Tafel regelmäßig mit dem Notwendigsten versorgen, machen eher nachdenklich. Hier gibt es keine fetten Boni in der Chefetage, keine Expansionspläne, keinen Börsengang. Hier überlegt man, wie man die explodierenden Kosten decken kann. Denn die scheinen nach oben hin keine Grenzen zu kennen.

Das tägliche Geschäft der Tafel Wuppertal ist Sisyphusarbeit und sie wird immer anspruchsvoller – aber auch professioneller. Dafür ist unter anderem Peter Vorsteher verantwortlich. Der ehemalige Kommunalpolitiker ist seit April 2021 erster Vorsitzender des Sozialunternehmens. „Es ist nie genug“, so Vorsteher, der aufgrund seiner langjährigen Tätigkeit in öffentlichen Ämtern über ein ausgesprochen weit verzweigtes Netzwerk verfügt. Das kommt nun der Tafel zugute. Anders geht es auch nicht. „Wir haben jetzt schon die Statistik des vergangenen Jahres in vielen Bereichen überholt“, sagt er. Ein Beispiel: 2022 hat die Tafel durchschnittlich 370 Essen pro Tag ausgegeben, 2023 sind es bereits jetzt 430. „Und das Jahr hat noch zwei Monate“, sagt Peter Vorsteher.

Nie genug. Diese Worte haben im Bereich der Armenversorgung eine traurige Dimension. Der Mangel ist Alltag für immer mehr Menschen in Wuppertal, im Bergischen, in ganz Deutschland. Peter Vorsteher kann die Problembereiche ziemlich genau benennen: „Die armen Familien wohnen auf der Talachse. Je höher man rechts und links der Wupper nach oben steigt, desto größer das Haushaltseinkommen.“ Und weil es in den wirtschaftlich schwachen Vierteln in der Regel auch die günstigen Wohnungen gibt, ändert sich nichts. Ein Teufelskreis.

Peter Vorsteher und Geschäftsführer Zülfü Polat, der seit über elf Jahren bei der Tafel aktiv ist, sind dauerhaft im Einsatz, um „ihr Unternehmen“ zukunftssicher aufzustellen und die Versorgung weiterzuführen. „Eigentlich dürfte es uns gar nicht geben“, sagt Peter Vorsteher. Eigentlich. Aber die Dinge liegen nun mal anders. Und so nutzt das Tafel-Team, das seit dem Neustart an vielen Stellen mit erfahrenen Unternehmern besetzt ist, persönliche Netzwerke, um Sponsoren zu gewinnen, um Finanzmittel zu sichern und um dem Negativtrend in Sachen Armut etwas entgegenzusetzen. Einer der vielen Ansätze ist es, die Entscheider aus den lokalen Unternehmen zu einem sogenannten Social Day in der Tafel einzuladen. „Es ist etwas anderes, wenn man den Andrang an der Lebensmittelausgabe oder in der Essensverteilung selbst mitbekommt“, so Vorsteher. Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat der ehrenamtliche Einsatz darüber hinaus noch einen weiteren Nutzen. Stichwort: Teambuilding. Wer sich und seine Belegschaft mal für einen Tag in der Tafel engagieren möchte, könne einfach eine formlose Anfrage schicken, sagt Zülfü Polat, der die hilfesuchenden Menschen schlicht als „unsere Gäste“ bezeichnet.

Eine Sache ist den beiden Ehrenamtlern besonders wichtig: Transparenz. „Wir haben zu allen demokratischen Parteien und zu allen relevanten Akteuren Kontakt“, sagt Peter Vorsteher. „Die Tafel ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.“ Dazu gehört auch die finanzielle Ausstattung des Wuppertaler Sozialunternehmens. Wichtige Investitionen für die Zukunft stehen schon heute fest. Das Dach muss dringend gemacht werden und eine neue Küche ist in Planung. Die Grundausstattung dafür werden die Wuppertaler Stadtwerke spenden, die für ihren Umzug bereits eine neue Küche bestellt haben. Investitionsvolumen für den Umbau der Tafel-Küche sind rund 100.000 Euro. Allein 45.000 werden für das neue Starkstromkabel benötigt, das einmal quer durch das gesamte Gebäude verlegt werden muss. Kostentreiber sei der Kupferpreis, so Vorsteher. Eine Alternative gibt es nicht, die aktuelle Stromversorgung geht heute schon manchmal wegen Überlastung in die Knie. Nie genug – das gilt vor allem für die benötigten Finanzmittel.

„Wir brauchen völlig neue Ideen für die Finanzierung“, sagt Vorsteher, der gleich im Anschluss einige seiner Pläne enthüllt. Die zwei bis vor Kurzem noch als Notunterkunft für Geflüchtete genutzten Etagen sollen demnächst vermietet werden. Eine davon an die Stadt für neue Büroräume. Für die andere möchte Vorsteher eine viergruppige Kindertagesstätte ins Leben rufen. Und dann ist da noch das völlig runtergekommene Dachgeschoss. Die toten Tauben hätten sich auf dem Boden gestapelt, als er das erste Mal mit dem Lastenaufzug in die oberste Etage gefahren ist, so Vorsteher. Inzwischen ist die Etage freigeräumt und notdürftig instandgesetzt. Bis hier eine Vermietung auch nur angedacht werden kann, wird es wohl noch dauern. Trotzdem verliert Peter Vorsteher scheinbar niemals den Mut, Neues anzustoßen. Es muss schließlich weitergehen.

Nie genug, das gilt auch für die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die bei der Tafel ihren Dienst tun, etwa 120 sind es aktuell, von insgesamt 160 Mitarbeitenden. Nur 20 sind davon festangestellt. Die Tafel Wuppertal gehört damit zu den vier größten in Deutschland. „Wir suchen immer neue Mitstreiter für alle Bereiche.“ Die Möglichkeiten des Engagements sind vielfältig. Ob als Fahrer, in der Essensausgabe, im Lebensmittelbereich, im Bücherladen, im Bereich der Haushaltsausstattung oder der Kinderbetreuung. Die Auswahl an Tätigkeiten ist groß, das Angebot an Freiwilligen eher übersichtlich. Deshalb würde Peter Vorsteher gerne selbst ausbilden. Vor allem im Bereich der Haushaltsauflösungen gebe es Möglichkeiten. Wären da nicht die bürokratischen Hürden, von denen gibt es mehr als genug. Aufhalten lässt sich der Tafel-Chef davon nicht. Besonders für die Kinder und Jugendlichen will Vorsteher künftig mehr tun. Schon heute gibt es im Rahmen der Kindertafel auch Freizeitangebote, die in Kooperation mit lokalen Anbietern realisiert werden. Zum Beispiel Hiphop-Tanzkurse, Klettern, Sport, Musik und auch Hausaufgabenhilfe. Denn Peter Vorsteher ist überzeugt: „Bildung ist die einzige Chance aus der Armut.“

In diesem Jahr spendet wppt:kommunikation 10 Prozent des Anzeigenumsatzes dieser Ausgabe an die Tafel.

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