Additive Fertigung - Schicht für Schicht
Im Städtedreieck wird intensiv zum Thema 3D-Druck geforscht. Der konkrete Nutzen dieser wissenschaftlichen Arbeit für die bergischen Unternehmen ist groß.
Gute 3D-Drucker zur Anwendung in der Industrie gibt es heute schon für rund 5.000 Euro. Für exklusive Modelle bezahlen Unternehmen auch schon mal über 100.000 Euro. Sie können die Fertigung von Endteilen und die Herstellung von Prototypen für eine Vielzahl von Anwendungen für die additive Fertigung in unterschiedlichen Industrien optimieren. Die meisten der Drucker zeichnen sich durch eine hohe Geschwindigkeit, Präzision und Vielseitigkeit aus.
Das Problem: Mancher Unternehmer, der sich ein solches teures Gerät gekauft hat, ist schnell am Ende mit seinem Latein. Und sucht „jemanden, der sich damit auskennt“. Hier kommt Evgeniy Khavkin ins Spiel, Technologiemanager bei Solingen Business und Leiter des Tech Campus, der auf dem Gelände des Solinger Gründer- und Technologiezentrums angesiedelt ist. Seit 2018 unterstützt er das Team der Solinger Wirtschaftsförderung und berät die zahlreichen Mitglieder des „3D-Netzwerks“, Deutschlands größtem unabhängigen Anwendernetzwerk für 3D-Technologien. Innerhalb dieses Netzwerks findet ein reger Austausch von Erfahrungen statt, und es werden gemeinsam neue Technologien entwickelt. Er vernetzt Lieferanten und Technologiepartner und unterstützt bei Bedarf auch selbst operativ mit dem breiten Portfolio des Tech Campus.
„Die Idee ist“, erklärt Evgeniy Khavkin, „dass sich Unternehmen und Organisationen gegenseitig ihr Konstruktions-CAD-Know-how, ihre 3D-Technologie-Expertise, 3D-Technologie-Kapazitäten und auch Druckmaterialien zur Verfügung stellen, um die eigenen Kapazitäten auszulasten, Kosten zu senken, Risiken zu vermeiden und die Chancen der Additiven Fertigung möglichst gewinnbringend zu nutzen.“
Die Workshops, die der Experte regelmäßig auch selbst anbietet, werden gut nachgefragt. Im Fokus seines Betätigungsgebiets steht die Weiterentwicklung von 3D-Druckverfahren: „Wir verfügen im Tech Campus neben mehreren kleineren und einem großen 3D-Drucker ebenso über Werkbänke, Werkzeuge und Maschinen. Vor allem stehen wir aber im ständigen Austausch mit Softwareentwicklern, um auf dem neusten Stand der Technik zu sein.“ Ziel sei es, so Evgeniy Khavkin, die technologische Anlaufstelle im Bergischen Land für Unternehmen und Gründer zu sein, die 3D-Druck anwenden möchten. 3D-Druck, das sei eine Technologie, die neue Dimensionen eröffne, so der Experte, und fügt hinzu: „Gerade in einer Zeit, in der tradierte Lieferketten infrage gestellt werden und viele Branchen nach effektiven Alternativen oder Erweiterungen ihrer bisherigen Produktionsverfahren suchen, sollten die Möglichkeiten, die die 3D-Technologie bietet, nicht außer Acht gelassen werden.“ Gearbeitet wird dabei oft mit einem thermoplastischen Kunststoff, der die Entwicklung von Modellen in der Metallverarbeitung ermöglicht.
Als außeruniversitäre, gemeinnützige Forschungsinstitution wurde auch die Forschungsgemeinschaft Werkzeuge und Werkstoffe (FGW) in Remscheid gegründet. Den Verantwortlichen geht es darum, als F&E-Dienstleister Innovationen für die mittelständisch geprägte Werkzeugindustrie, metallbearbeitende Betriebe, aber auch die Kunststoffindustrie und andere Branchen auszubauen.
Geforscht wird zu vier Schwerpunktbereichen: Werkzeuge, Werkstoffe, Künstliche Intelligenz sowie Transformation und Innovation. In bisher mehr als 300 abgeschlossenen Forschungsvorhaben wurden viele anwendungsbezogene, vorwettbewerbliche Lösungen entwickelt. Für den Bereich Transformation und Innovation ist Dr. Robin Roj verantwortlich. Er und sein Team erforschen unterschiedliche metall- und kunststoffbasierte 3D-Druck-Verfahren und deren technische Anwendung. Etwa Laser Powder Bed Fusion (LPBF), bei dem Metallpulver aufgeschmolzen wird, um zum Beispiel Wolfscheiben oder Schmiedegesenke mit Kühlkanälen als Demonstratoren zu erhalten. Oft geht es dabei um eine möglichst hohe Präzision, Formfreiheit und Verschleißbeständigkeit, aber auch um Kosteneinsparung und neue nachhaltigere Werkstoffe. Der Bauraum der hier bereitstehenden Labormaschine für den Metall-3D-Druck kann auf bis zu 800 Grad erhitzt werden. Auftraggeber für die FGW sind auch Unternehmen aus dem Städtedreieck. Vor Kurzem ist der Remscheider
Regenschirm-Spezialist Fare an Robin Roj mit dem Wunsch herangetreten, speziell für die Fertigung der Griffe für die noch zu produzierenden Schirme auf kurzem, schnellem Weg additiv gefertigte Spritzgusswerkzeuge aus Kunststoff herzustellen, um so Griffprototypen zu produzieren, die bereits in einer frühen Phase möglichst nahe an der finalen Großserienfertigung liegen.
Lutz Albrecht, Produkt-Spezialist bei Fare, schätzt an der Zusammenarbeit mit der FGW dann auch gerade die kurzen Wege: „Die Ideen, die wir bei uns am Computer entwickeln, können wir in der vertrauensvollen Zusammenarbeit mit der FGW innerhalb kürzester Zeit realisieren und dann auch ausprobieren, einfach anfassen. Die Erforschung der Produkteigenschaften von Prototypen vereinfacht sich für uns dadurch massiv.“ Genauso arbeiten Roj und sein Team auch mit anderen Unternehmen aus dem Bergischen Hand in Hand. „Wir beobachten gerade eine verstärkte Nachfrage von Schlüsseltechnologien wie der Additiven Fertigung. Gern stehen wir da mit unserem Know-how zur Seite, auch unter Anwendung von künstlicher Intelligenz und innovativen Technologien aus dem Bereich der Nachhaltigkeit, und unterstützen die Unternehmen, wenn gewünscht, bei der Beantragung von Fördergeldern“, so der Fachbereichsleiter.
Auch bei den Forschungsaufträgen von Prof. Arne Röttger und seinem Team geht es in erster Linie um die Entwicklung von unterschiedlichen Werkstoffen. „Wir versuchen, den Zusammenhang zwischen Gefüge und Eigenschaften von Werkstoffen zu verstehen, die über die Schmelz- und Pulvermetallurgie sowie über die additive Fertigung erzeugt wurden“, erklärt der Maschinenbauer. Innerhalb der Fakultät Maschinenbau und Sicherheitstechnik der Bergischen Universität Wuppertal hat er den Lehrstuhl für Neue Fertigungstechnologien und Werkstoffe mit Sitz im Solinger Forum Produktdesign inne. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Entwicklung metallischer Werkstoffe, metallisch-keramischer Verbundwerkstoffe und Werkstoffverbunde unter Einbeziehung von relevanten Fertigungsverfahren.
„Die dabei betrachteten Werkstoffe reichen von hochlegierten Stählen über Werkzeugstähle, Gusswerkstoffe und Hartlegierungen auf Nickel-, Kobalt- und Eisen-Basis bis hin zu Funktionswerkstoffen, wie sie als Kontaktwerkstoffe oder Hochleistungsmagnete zur Umsetzung der Energiewende Anwendung finden“, erklärt Arne Röttger. Bei der Entwicklung neuer Werkstoffkonzepte und Fertigungstechnologien stehen für ihn und sein Team vor allem Fragen der Ressourceneffizienz, der Bündelung von Wertschöpfungsketten und ein höherer Werkstoff-Ausnutzungsgrad durch verbesserte Materialeigenschaften im Vordergrund. „Das Ziel muss sein, Materialeigenschaften wie die Verschleiß- und Korrosionsbeständigkeit oder die mechanischen Eigenschaften derart zu verbessern, dass die Produktlebensdauer steigt und gleichzeitig der Materialeinsatz sowie die Materialkosten reduziert werden können“, so Arne Röttger. „Genau solche Verbesserungen führen nämlich am Ende zu mehr Nachhaltigkeit. In diesem Kontext beschäftigen wir uns auch mit den so genannten ‚zehn R‘ der Kreislaufwirtschaft wie Reduce, Recycling und Remanufacture.“
Neben der Grundlagenforschung ist ihm die Nutzung der gewonnenen Ergebnisse für die industrielle Anwendung wichtig. „Ich habe den Eindruck, dass nur wenige so ganz genau wissen, was man mit Additiver Fertigung alles machen kann“, so seine These. Dabei könne man auf diesem Weg etwa mit Rapid Tooling kostengünstig Individualbauteile und Werkzeuge erstellen, mit denen dann Produkte erzeugt werden. „Es gibt eigentlich kaum eine Branche, für die unsere Forschung nicht von Nutzen ist“, resümiert er, und lädt gerade die bergischen Unternehmen ein, mutiger zu sein und mit Problemstellungen auf ihn und sein Team zuzukommen.
So ist etwa die Solinger Firma Pfeilringwerk Produktions GmbH Nutznießer dieser Forschungstätigkeiten. Über einen Zulieferer nimmt das Unternehmen an einem Feldversuch teil, bei dem parallel Werkzeuge, die gefräst und gehärtet wurden, neben denen, die mithilfe des 3D-Drucks hergestellt wurden, zum Einsatz kommen, um hochwertige Maniküre- und Pediküre-Artikel wie Scheren, Pinzetten und Zangen zu produzieren. Seit 2018 gehört das Solinger Traditionsunternehmen zur Ravo Group, die ihren Sitz in Ningbo, China hat. Lutz Nippes ist seit 2019 als leitender Manager am Start und war gern bereit, bei diesem Forschungsprojekt mitzumachen: „Ich bin gespannt, ob man durch den Einsatz der mit 3D-Druck erstellten Werkzeuge das bestehende Verfahren verbessern kann und dies bei gleichzeitiger Kosteneinsparung.“ Auch die Erkenntnis, dass es auf diesem Weg nicht besser funktioniere, sei eine, so der Solinger Manager. Die Kernfragen für Pfeilring seien: Halten die Werkzeuge tatsächlich länger als die bisher verwendeten, wie schnell sind sie zu reproduzieren, und zu welchen Kosten? „Diese Erkenntnisse sind für uns sehr interessant und allein schon der Wissensaustausch mit den Experten bringt uns und unser Geschäft weiter“, so Lutz Nippes.
Text: Liane Rapp