Verlassene Betonbauten - Der Bunkerkönig von Wuppertal
Klaus Stein liebt die alten Schutzräume zwischen Vohwinkel und Langerfeld – und will die Erinnerung daran wachhalten.
Von den Kindern, die nebenan auf dem Bolzplatz spielen, ist drinnen, im „Klotz", nichts zu hören. Wie auch, bei mehr als zwei Meter dicken Betonwänden, die einen von der Außenwelt abschirmen. Der Hochbunker an der Schusterstraße liegt seit Jahrzehnten im Dornröschenschlaf. Ein Mahnmal aus der Zeit, als die Bomben auf Wuppertal fielen. 3.000 Menschen fanden dort Platz, erzählt Klaus Stein. Zahlen, Fakten, historische Anekdoten – der 65-Jährige hat alles parat.
Seinen Spitznamen „Bunker-Klaus" hat sich der Wuppertaler redlich verdient. Bunker, Stollen, Schächte – von Vohwinkel bis Langerfeld, die Unterwelt ist seine. „Ich verbringe mehr Zeit unter der Erde als oben", sagt er und lacht. Bei einer seiner Touren in seinem „Stammobjekt“ am Paradeberg habe ihn ein Kind gefragt: „Wohnst du auch da unten?" Wobei: Im Bunker an der Schusterstraße ist er ja strenggenommen oberirdisch unterwegs. Doch wer mit Stein einmal dort eine Besichtigung hat, merkt davon nicht viel - es könnten auch 50 Meter unter der Wupper sein.
Dunkel ist es. Natürlich. Nur der Schein der Taschenlampe schafft ein bisschen Licht. Es riecht etwas feucht. Fast traumwandlerisch sicher bewegt sich Stein durch die Gänge, während der Besucher lieber genauer hinschaut, wo er gerade den nächsten Schritt hinsetzt. Er sei eben gerne dort unterwegs, sagt der Hobbyforscher. Die ganze Historie interessiere ihn einfach, stundenlang könne er erzählen. Wer ihn so hört, glaubt das sofort. Und staunt, wenn Stein daran erinnert, dass er früher an Klaustrophobie litt und deshalb testweise vor einigen Jahren die ersten Stollen durchkämmte. „Ich glaube, jetzt bin ich therapiert.“ Dann lacht er wieder und geht weiter.
Ein bisschen treibt einen ja auch die Faszination an, sich mit Stein weiter durch die Finsternis vorzutasten. Es macht Spaß. Doch wie muss es für Diejenigen gewesen sein, die sich im Zweiten Weltkrieg gezwungenermaßen dorthin flüchteten? In der Angst um ihr Leben. Es ist ein mulmiges Gefühl, während Stein über sein Tablet eine Tonspur ablaufen lässt, die sonst bei seinen Bunkertouren am Paradeberg läuft. „Wie einst Lilli Marleen" hallt durch die Gänge und zerreißt die Stille. Dazu erzählt eine Stimme vom Band von den Angriffen im Zweiten Weltkrieg. Zählt auf, wie viele Bomben die Stadt trafen, wie viele Wuppertaler Leben und Heim verloren. An dieser Stelle, mitten im Bunker, wirkt das besonders bedrückend.
Wie die Menschen die Angriffe wohl damals erlebten? Und die Zeit danach? Denn auch nach dem Krieg war der Bunker noch einige Jahre in Betrieb – „als Notunterkunft für die Ausgebombten", erklärt Stein. Eine Liste aus dem Wuppertaler Stadtarchiv zeigt: Bis 1956 waren an der Schusterstraße und in den anderen Bunkern etwa am Platz der Republik und am Rott noch Menschen untergebracht, insgesamt mehr als 1.000.
Über die Verhältnisse, wie die damals im Bunker lebten, nein hausen mussten, hat Stein auch recherchiert. Ein Schreiben des „Bundes der Fliegergeschädigten“ von 1948 etwa schildert drastisch, wie es war. „Die Verhältnisse spotten aller Beschreibung“, heißt es über den Bunker Schusterstraße. Von „katastrophalen hygienischen Verhältnissen“ etwa ist die Rede, „bleichen und hohläugigen Menschen“, die den Besuchern entgegentraten, „Elendslöchern“, die sie bewohnen. Der Bericht an das damalige Sozialministerium NRW endet mit dem Appell: „Es ist aber die höchste Zeit, dass man sich dieser Menschen einmal annimmt.“ Wie man heute weiß, dauerte es aber noch einige Jahre, bis auch die letzten die Bunker verlassen konnte.
Und die Berichte wirken ganz anders für heutige Besucher, wenn sie nicht nur hören, wie viele Menschen in den kleinen Kammern zusammengepfercht waren, sondern selbst in einem der nur zwei mal zwei Meter großen Räume stehen, wo früher zwei Dreier-Hochbetten standen.
Nach dem Auszug der letzten Bedauernswerten hatte sich offenbar nicht mehr viel in dem Bau auf dem Ölberg getan. Davon zeugen zum Beispiel die alte Lüftungsanlage, die längst von Rost zerfressen ist. Oder die alten, durchlöcherten Rohre. Im Krieg sei der Bunker doch einmal getroffen worden, weiß Stein. Das Dach wurde beschädigt. Im Laufe der Zeit entwickelte sich ein Feuchtbiotop, erzählt er. Erst der jetzige Eigentümer, der die Ölberger Landmarke vor einigen Jahren kaufte und Stein dort Besuche ermöglicht, legte ihn trocken, indem er das Dach sanierte. Viel Besuch gab es aber nicht mehr im Inneren. „Ich habe hier jedenfalls noch nie jemanden getroffen", sagt Stein augenzwinkernd. Die dicken Türen sind natürlich immer versperrt.
Viele Stunden hat „Bunker-Klaus" schon an der Schusterstraße verbracht, kennt die interessanten Ecken – und die gruseligen. Der Strahl der Taschenlampe trifft auf ein Skelett. Ein kleiner Schocker, den Stein in die Privattour eingebaut hat. „Nur ein Vogel“, beruhigt er. Der es offenbar schon länger hinter sich hat.
Während der Bunker an der Schusterstraße für Besucher eigentlich tabu ist, bietet Stein am Paradeberg, seinem „Heimbunker“, regelmäßige öffentliche Touren an. Viel Zeit und Arbeit hat er dort investiert, etwa für elektrisches Licht gesorgt. Fotos an den Wänden zeigen alte Lagepläne oder auch Ansichten anderer Schutzräume.
Seit einiger Zeit sind seine Führungen bereits Teil des offiziellen Programms von Wuppertal Touristik. „Und fast immer ausgebucht“, sagt Martin Bang, Geschäftsführer von Wuppertal Marketing. „Weil es einfach spannende Geschichten und versteckte Orte zum Entdecken sind – und Klaus Stein macht die Touren sehr, sehr authentisch“, lobt Bang.
Stein ist es wichtig, dass an diese Epoche erinnert wird. Wenn es geht, lädt er Zeitzeugen ein, lässt sie erzählen. Eindrücklich soll es sein. Die Geschichte der Orte sei es auch gewesen, die ihn dazu brachte, sich mit Bunkern und allem, was dazugehört, zu beschäftigen. Und Wuppertal, wo der ehemalige KfZ-Mechaniker seit 2014 seine Heimat hat, bietet dahingehend ein weites Betätigungsfeld. Mehr als 100 Bunker und Stollen gibt es im Stadtgebiet. Offiziell. Zählt man die kleineren, oftmals privaten Schutzräume dazu, sind es noch einige mehr. Und nur die wenigsten fallen so auf im Stadtbild wie der an der Schusterstraße oder am Rott.
Heutzutage könnten die Bunker sowieso ihre eigentliche Aufgabe nicht mehr erfüllen. „Wenn es hart auf hart kommt, werden die uns nicht mehr helfen“, ist der 65-Jährige überzeugt. Einige sind auch schon längst verschwunden, plattgemacht worden im Laufe der Jahrzehnte. Oder umgewandelt, zum Beispiel zu Wohnungen. Wie etwa der an der Schwelmer Straße, wo 2021 die ersten Mieter einzogen. Am Rott läuft aktuell der Umbau. „Das ist doch eine gute Lösung“, findet Stein. Eine Nutzung, die aber erkennen lasse, was das Gebäude früher einmal war. Ihn ärgere es, dass zum Beispiel der Bunker unter dem Neumarkt „einfach nur noch vor sich hingammelt“. Sein Traum: ein Bunkermuseum in Wuppertal. Doch bleibt er realistisch. Das finanziell zu stemmen, „wird vermutlich niemand übernehmen“.
Vielleicht ja mit Geld aus dem Bernsteinzimmerfund? Stein grinst. Natürlich kennt auch er die Legende, dass die legendäre, millionenschwere Kostbarkeit, dessen Spuren sich in den Endwirren des Zweiten Weltkriegs verlieren, angeblich in Wuppertal versteckt worden sein soll. Schließlich war er schon selbst mit Hobby-Schatzsuchern in diversen Stollen unterwegs. „Aber natürlich haben die nichts gefunden. Und ich bin ziemlich sicher: Das Bernsteinzimmer ist längst zerstört worden.“
Text: Manuel Praest