„Walking in Remscheid“ - Blicke zurück in Kindheiten

Henning Denkler ist Remscheider „durch und durch“. Und so sehr ist er dieser Stadt verbunden, dass er vor drei Jahren zu der Idee kam, alle 780 Straßen einmal durchwandern zu wollen. Seine Fotoausrüstung und viele Gedanken sind dabei.

Name

Henning Denkler

Beruf

Inhaber der Regenbogen-Apotheke im Kaufland

Im Bergischen seit …

Ich bin 1974 in Lennep geboren.

Wie kamen Sie auf das Projekt „Walking in Remscheid“?

Ich habe immer schon gerne Menschen beobachtet und mich gefragt, wie es ihnen geht. Und wenn ich durch Orte fuhr, habe ich mir vorgestellt, wie hier wohl die Kindheit stattgefunden hat: Könnte nicht da vorne an der Garagenecke der erste Kuss stattgefunden haben? Ich habe also Straßen mit den Augen eines Kindes betrachtet. Hinzu kam, dass mein Freund Ralf Otterbach behauptet hat, er würde jeden Straßennamen in Remscheid kennen. Aus alldem ist dann die Idee entstanden, dass ich einmal in alle 780 Straßen Remscheids laufen möchte und dann natürlich auch die entsprechenden Straßennamen kenne. Inzwischen habe ich wohl so rund 80 Straßen geschafft. Daran arbeite ich seit Oktober 2020 mit langer Coronapause. Eine Einzelwanderung dauert tatsächlich zwischen zwei und fünf Stunden, je nach Plan. Manche Märsche führen mich durch sehr viele, kleine Straßen, wo es viel zu fotografieren gibt Da dauert es dann länger. Anschließend schreibe ich dazu Text, die ich dann mit den Fotos auf meiner Homepage veröffentliche.

Warum geht es Ihnen dabei um die Kindheit?

Da muss ich ein wenig ausholen: Ich hatte das Glück, eine wunderschöne Kindheit zu haben. Ich weiß, dass ich in der sechsten Klasse ungefähr ein Bewusstsein dafür entwickelte, wie schön meine Kindheit tatsächlich war. Aus verschiedenen Gründen musste ich mit 20 Jahren in die Eifel umziehen. Ich fühlte mich sehr entwurzelt. Ich hatte alles, was ich liebte, verloren. Sicher ist die Eifel schön, aber ich bin zu sehr Großstädter, als dass ich dort heimisch werden konnte.

Was gefällt Ihnen denn an der Großstadt?

Ach, es sind diese kurzen Entfernungen, das kulturelle Angebot, der Lebenshorizont und das Bildungsniveau der Menschen hier. Es gibt viele Gründe. Ich halte mich einfach gerne hier auf.

Welches Ziel hat „Walking in Remscheid“?

Ich glaube, dass wir das bewusste Erleben der Umwelt verlernt haben. Wenn ich zum Beispiel im Auto nachts an der roten Ampel stehe, kurble ich manchmal die Scheibe runter und nehme so Geräusche wahr, die ich sonst nicht höre. Ich möchte mir gleichzeitig versteckte Ecken in Remscheid anschauen. Wie war es früher wohl dort? Welche Kindheit hat hier wohl stattgefunden?

Es ist ein Blick in die Vergangenheit – warum?

Naja, es ist schon eine Flucht aus dem Jetzt in die Vergangenheit – das stimmt. Ich stöbre gerne in dieser „guten, alten Zeit“, in der ja nur die Erinnerung so positiv ist. Es wirkt immer wie eine Zeit der Sorglosigkeit, eine Zeit, in der es einem noch gut ging. Wenn ich an meine eigene Kindheit denke, ist sie eben sehr glücklich und behütet. Wenn ich nun durch die Straßen laufe und mir eine Kindheit vorstelle, borge ich mir dieses Gefühl der behüteten Kindheit gewissermaßen aus. Ich denke an die Vorfreude, die man als Kind gespürt hat, an die Geheimnisse und Geschichten. Ich würde sagen, es ist eine melancholische Nostalgie.

Warum ist Ihnen diese Flucht wichtig?

Es gibt ja vieles, was in der aktuellen Zeit schwierig und negativ ist. Mit dem Alter wird man auch dünnhäutiger. Es gibt Dinge, politische Ereignisse, Krisen, die einem das schöne Leben kaputt machen. Insofern ist „Walking in Remscheid“ eine Kompensation in Zeiten, in denen es besser war.

Ist da nicht die Gefahr groß, sich in der Vergangenheit zu verlieren?

Ich komme ja immer wieder gerne zurück nach Hause. Ich führe ein glückliches Leben mit meiner Frau, unserer zweijährigen Tochter, meinem Beruf und tollen Freunden. Ich richte den Blick bewusst auch wieder nach vorne. Es ist so, als würde ich in einem Fotoalbum blättern, das ich dann aber auch wieder ins Regal stelle.

Was könnte Menschen an „Walking in Remscheid“ interessieren?

Menschen interessieren sich für das, was andere machen. Gleichzeitig finden sie es spannend, von Straßen zu lesen, die sie kennen, in denen sie vielleicht selbst mal gelebt haben. Der Funke springt einfach über. Wer meine Texte liest und die Fotos betrachtet, erinnert sich vielleicht auf einmal an seine eigene Kindheit.

Was machen Sie, wenn Sie wirklich alle Straßen „erlaufen“ haben?

Ich habe mir kein Endziel gesetzt. „It ain’t over til it’s over.“ Ich mache mir keinen Druck. Für die Zeit danach übrigens habe ich noch keine Idee. Allerdings arbeite ich auch an meinem Pilotenschein und das, zusammen mit Fotografie, wäre dann ja wieder ein Projekt wert: Remscheid von oben.

Was gefällt Ihnen im Bergischen besonders gut?

Das Bergische – was ist das? Alles sieht hier anders aus – Schloss Burg, die Hänge von Wuppertal, es gibt hier so viele Unterschiede. Das Bergische – das ist mir zu allgemein.

Was ist Ihr Geheimtipp im Bergischen?

Ich lade Menschen dazu ein, die Seele Remscheids zu erleben: Wer am Honsberg ganz an die Spitze läuft, wandert durch einen Ortsteil, der zeigt, was Remscheid ausmacht - wie zum Beispiel die Gründerzeithäuser, Hochbunker, Leerstand und eine Kleingartenanlage. Es geht dann durch den Wald zum Ortsteil Ehringhausen bis zur Hasenclever Straße, in der einmal viele Industrielle gelebt haben.

Text: Eva Rüther

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