Kooperation - Mittelstand trifft Start-up

Wie arbeiten alteingesessene Unternehmen mit jungen Gründungen zusammen? Wir stellen einige Beispiele aus der Region vor. Dabei werden große Chancen, aber auch Herausforderungen deutlich.

Roboter, die bei der privaten Hausarbeit helfen, sind schon seit geraumer Zeit keine Science-Fiction mehr – und das nicht zuletzt dank Bergischer Innovationskraft und Ingenieurskunst. Die Paul Schulten GmbH & Co. KG arbeitet intensiv daran, die Vorzüge moderner Reinigungs-Technologien auch im gewerblichen Bereich zu nutzen. Das Remscheider Gebäudereinigungsunternehmen mit rund 2.800 Mitarbeitern will verstärkt auf saugende und schrubbende Maschinen mit intelligenter Steuerung setzen. Sie können und sollen den Menschen nicht völlig ersetzen, sondern sinnvoll unterstützen. „Grundsätzlich ist es unsere Philosophie, immer auf dem neuesten Stand der Technik zu sein“, erklärt der Technische Leiter Arne Schade. Der Fachkräftemangel ist ein weiterer wichtiger Grund, sich mit Robotik zu befassen. „Schon 2018 haben wir Kontakt zu spezialisierten Herstellern aufgenommen.“ Das Problem: „Meist war die Technik zu groß und zu teuer.“ Doch Schulten blieb am Ball und beobachtete aufmerksam den Markt.

Über die Wirtschaftsjunioren Remscheid kam der Kontakt zu Rainer E. Becker zustande, Roboter-Experte aus der Region. „Er verfügt über ein großes Fachwissen im Bereich der Robotik und über ein großes Hersteller-Netzwerk“, so Arne Schade. Seit Frühjahr 2023 besteht eine Kooperation zwischen dem Mittelständler und Becker Robotics mit Sitz in Wuppertal, das unter anderem auch Roboter-Lösungen für die Pflegebranche und die Gastronomie entwickelt. „Da wir mit unseren Produkten selbst im Jahr 2024 noch immer in einem ,Blue Ocean-Markt’ unterwegs sind, auf dem es kaum Wettbewerb oder Hindernisse gibt, die den Innovatoren im Wege stehen, passen wir vollständig in die klassische Definition eines Start-ups“, meint Rainer E. Becker. „Allerdings sind wir ein Start-up mit mehr als 15 Jahren Erfahrung.“ Der Roboter-Fachmann und das Team von Arne Schade tauschen sich nun seit Monaten regelmäßig in Meetings aus, in denen neue Technik, ihre Möglichkeiten und vor allem die konkrete Anwendbarkeit durch das Unternehmen im Fokus stehen.

Stand Ende 2023 hat Schulten 13 Roboter im Einsatz, „davon vier als Saugroboter und neun im Schrubb-Saug-Bereich“, wie Arne Schade erläutert. In jeder neuen Kalkulation wird die Möglichkeit des Roboter-Einsatzes geprüft. Sämtliche Bestandsobjekte sollen entsprechend unter die Lupe genommen werden. „Wir hoffen, bis Ende 2024 rund 40 Roboter im täglichen Einsatz zu haben.“ Mittelfristig wären auch Drohnen zur Decken- und Glasreinigung denkbar. „Da ist allerdings noch Entwicklungsarbeit nötig“, so der Technische Leiter.

„Genau solche Partnerschaften und Kooperationen sind typisch für Becker Robotics und rückblickend betrachtet ein wesentlicher Erfolgsfaktor“, sagt Rainer E. Becker. „Kognitive Robotik, die ausschließlich der Unterstützung und Assistenz von Menschen dient, ist eine hochkomplexe Kombination aus High-Tech-Komponenten, Software und künstlicher Intelligenz. Diese Kompetenz liefern wir. Die inhaltlich-fachliche Prozesskompetenz wiederum liegt bei unseren Partnern – zum Beispiel bei den Profis von Schulten, was Gebäudereinigung betrifft. Erst die Kombination ermöglicht eine Optimierung der kognitiven Robotik in der Praxis.“

Es ist interessant zu beobachten, wie alteingesessene Unternehmen sich mit jungen Gründungen zusammentun. Im Bergischen Städtedreieck gibt es dafür mehrere aktuelle Beispiele. Die Kooperation Schulten/Becker ist eine davon. Eine andere ist die Barmenia Next Strategies GmbH, über die die Barmenia in Start-ups mit dem Schwerpunkt Gesundheit investiert. Ebenfalls kooperiert haben der Wuppertaler Schaltgeräte-Anbieter Schmersal (rund 2.000 Mitarbeiter weltweit) und das Start-up Kinemo aus Wuppertal und Velbert (vier Mitarbeiter). Auch hier kam der Kontakt eher zufällig zustande: durch ein Treffen im Rahmen des Wuppertaler Wirtschaftspreises.

Kinemo ist erst seit Mitte des vergangenen Jahres am Markt. Gründer ist Sercan Atesoglu, der in seiner vorherigen Tätigkeit als Berechnungsingenieur bei einem Automobilzulieferer „umfangreiche Erfahrungen in Fehleranalyse, Fehlerfindung, Toleranzmanagement und Simulationen“ sammeln konnte, wie er erzählt. „Ich erkannte das Problem fehlender Informationen über das tatsächliche Verhalten von Bauteilen.“ Lange Fehlerfindungszeiten und entsprechend hoher Druck auf Kundenseite seien die Folgen. „Da ich am Markt keine Lösung fand, entwickelte ich selbst eine und meldete sie zum Patent an. Und ich entschied mich, diese Lösung mehreren Unternehmen zugänglich zu machen.“ Inzwischen habe man für 26 Kinemo-Kunden 120 Projekte erfolgreich begleitet und die Fehleranalyse von durchschnittlich zwölf Wochen auf wenige Tage reduzieren können.

Kinemo hat Schmersal detaillierte Einblicke in das Innenleben von Bauteilen mittels Röntgenstrahlen ermöglicht. „Vergleichbar mit einem Arzt, der das Herz mittels Röntgenbildern untersucht“, sagt Sercan Atesoglu. Die Anwendung dient dazu, Bewegungen und Funktionen innerhalb der Bauteile zu visualisieren und somit analysierbar zu machen, „was mit herkömmlichen Methoden oft unmöglich oder sehr zeitaufwendig ist“. Das Start-up hat den Weltmarktführer bei der Weiterentwicklung zweier Schalter unterstützt. „Hier waren wir eine Weile eng miteinander im Austausch“, sagt Constanze Compes, Leiterin des Bereichs Marketing der Schmersal Gruppe. „Die Zusammenarbeit war durchweg angenehm, professionell und anregend.“ Sie betont die Leidenschaft und das Engagement innovativer Neugründungen – „das passt gut zu uns“. Zwar ist das konkrete Projekt inzwischen abgeschlossen. Doch für Kooperationen dieser Art sei man natürlich offen.

Das Zusammenspiel zwischen KMU und Neugründung ist alles andere als ein Selbstläufer. „Viele winken ab, weil das Start-up nicht die benötigte Stückzahl liefern kann. Oder weil das Risiko besteht, dass das junge Unternehmen in einem Jahr nicht mehr besteht.“ Das sagt Jonathan Knickmann, Business Development Expert bei der Gebr. Becker GmbH. Er kennt sich in der Start-up-Branche sehr gut aus: Vor seiner Zeit bei dem Wuppertaler Pumpen-Spezialisten hat er das Start-up-Center der Bergischen Universität mit aufgebaut. Becker arbeite zwar immer mal wieder mit Start-ups zusammen, „aber diese Kooperation hat noch keine richtige Struktur, kein System“, so Jonathan Knickmann.

Insbesondere bei neuen Lieferanten tue man sich derzeit noch schwer. „Wir haben natürlich Standards, insbesondere was Produktqualität und Liefersicherheit betrifft. Schließlich tragen wir auch hierfür die Verantwortung gegenüber unseren Kunden“, betont Jonathan Knickmann. Bei digitalen Lösungen sei die Sache schon einfacher. „In diesen Fällen gibt es keinen Grund, sich automatisch für den Älteren und Größeren zu entscheiden.“ Grundsätzlich sehe er das Potenzial insbesondere in den Fällen, in denen junge Unternehmen als „Enabler“ agieren – sei es hin zur Digitalisierung oder hin zur Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft. Und immer dort, wo ein Start-up über Digitallösungen einfach skalieren könne oder durch Dienstleistungen unterstützend tätig werde.

Auch bei der Coroplast Group mit ihren weltweit rund 7.700 Mitarbeitern will man verstärkt auf die Zusammenarbeit mit Start-ups setzen. Der Wuppertaler Automobilzulieferer, der neben technischen Klebebändern auch Kabel, Leitungen und Leitungssätze produziert, hat unlängst die Start-up-Initiative CoroVentures ins Leben gerufen. Initiatorin war die Vorsitzende der Geschäftsführung Natalie Mekelburger. Projektleiter ist Bastian Schäfer. „Die Idee hinter CoroVentures ist es, neue innovative Lösungen für unsere bestehenden und angrenzenden Geschäftsbereiche zu finden und zwar unter anderem in den Bereichen Prozessinnovation und Materialinnovation“, erklärt Bastian Schäfer. Als Coroplast Group könne man beispielsweise aus der Agilität der Start-ups lernen. Vor allem aber sei man an ihren Ideen interessiert, „da wir teilweise gar nicht die Zeit haben, uns auf neuen Feldern so auszutoben, wie wir das gerne möchten“. Umgekehrt könnten die Neugründungen vonetablierten Unternehmen lernen: „Sie haben Zugriff auf unsere Entwicklungsexpertise und -ressourcen sowie auf unser internationales Netzwerk.“

Ein wesentlicher Punkt, den viele Start-ups laut Bastian Schäfer unterschätzen, sei die „Produktreife“: „Viele junge Firmen haben gute Ideen, aber der Markt für die Idee oder für das Produkt ist gar nicht vorhanden, so dass sie mit uns als Partner das Produkt so entwickeln können, dass es auch einen Markt dafür gibt. Wir könnten für das Start-up somit auch ein erster Kunde sein.“ Aktuell laufen Gespräche mit zwei Start-ups des Akzelerators von Circular Valley. „Ziel ist es, im Jahr 2024 mindestens ein Start-up an unserer Seite zu haben, mit dem wir zusammenarbeiten“, so Bastian Schäfer. „Wir erhoffen uns durch die Zusammenarbeit sowohl mittel- als auch langfristig neue innovative Lösungen für die Coroplast Group.“

Start-ups spielen gemeinsam mit Wirtschaft und Wissenschaft eine zentrale Rolle im „Circular Valley“. Circular Valley versteht sich als Hotspot der Circular Economy „und ist für die Kreislaufwirtschaft, was Silicon Valley für Digitales ist“, wie Andreas Mucke betont, Geschäftsführer der Circular Economy Accelerator GmbH. „Hier bringen wir Start-ups aus aller Welt mit Lösungen und Geschäftsmodellen zur Kreislaufwirtschaft mit Unternehmen und Wissenschaft zusammen. Hier werden nicht nur jedes Jahr zwei Kohorten Start-ups in rund dreimonatigen Programmen fit gemacht. Sondern wir verknüpfen diese Start-ups mit Unternehmen und Wissenschaft aus unserem über 130 Partnern umfassenden Netzwerk, um möglichst viele zirkuläre Ideen und Geschäftsmodelle in die reale Wirtschaftswelt zu transportieren, Kooperationen anzustoßen, Investoren zu finden oder auch Start-ups im Circular Valley anzusiedeln.“ Seit Sommer 2021 ist man operativ unterwegs und blickt inzwischen auf fünf „Kohorten“ mit fast 90 Start-ups aus aller Welt im Circular Valley zurück. Aus dem Bergischen Land waren Carboliq in Remscheid und Plastic Fischer aus Solingen sowie SL Batteries aus Wuppertal dabei.

„Bergische Unternehmen, die traditionell innovativ und offen sind, interessieren sich stark für die Ideen der Start-ups und die Circular Economy“, so Andreas Mucke. „Viele haben verstanden, dass es nicht darum geht, ob wir unsere lineare Wirtschaft zu einer Kreislaufwirtschaft umwandeln, sondern wir die Frage des wie beantworten müssen. Und das nicht erst morgen, sondern jetzt, da es keine Zeit zu verlieren gilt.“ Insbesondere entlang der Wertschöpfungskette kann man seiner Ansicht nach mit Hilfe von Start-ups und Kooperation das „Henne-Ei-Prinzip“ lösen: „Zum Beispiel möchte ein Hersteller von Haushaltsgeräten gerne biobasierten Kunststoff einsetzen, findet aber keinen Produzenten. Dann gibt es den innovativen Start-up-Produzenten von biobasiertem Kunststoff, der einen Abnehmer sucht. Circular Valley bringt diese Akteure zusammen und trägt zum Gelingen bei.“

Doch Andreas Mucke nennt auch Herausforderungen: „Start-ups fehlt es hierzulande oft an Risikokapital sowie an passenden Standorten in Industriegebieten.“ Hinzu komme wenig Schnelligkeit bei der Bürokratie, „weshalb manche gute Idee dann doch nicht hier zündet, sondern woanders.“ Ähnlich sieht es Stephan A. Vogelskamp, Geschäftsführer der Bergischen Struktur- und Wirtschaftsförderungsgesellschaft sowie von „automotiveland.nrw“, einem Cluster für die hiesige Automobilindustrie. „Wir versuchen, hemmende Strukturen aufzubrechen und etwas Positives in Gang zu setzen“, sagt Stephan A. Vogelskamp. So sei vor Corona eine erste Reihe an Kennenlern-Veranstaltungen gelaufen. „Eingeladen waren KMUs aus den drei Bergischen Städten sowie interessierte Start-ups aus ganz Deutschland.“ Diese Reihe, die dem Austausch und dem Netzwerken dient, soll auch im Jahr 2024 fortgesetzt werden.

Text: Daniel Boss

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