Friseurhandwerk - Gold, Cobain und Kaugummi
Marco Velardi ist Friseurmeister aus Leidenschaft. Er hat italienische Wurzeln und mag Kontraste. Sowohl auf dem Kopf als auch im Innern.
Wenn man in Marco Velardis moosgrünem Retro-Frisierstuhl Platz nimmt, blickt man nicht nur frontal in den Spiegel, sondern auch auf rustikales Fachwerk. Dunkle Holzbalken treffen auf weiß getünchtes Mauerwerk. Bergischer wird’s nicht. Die Wände im Innern seines Ateliers – auf Instagram nennt er es marcovelardi_cube – wirken ein bisschen wie Außenwände. Es fühlt sich so an, als ob man gleichzeitig drinnen und draußen sitzt. An einem der Holzbalken klettert ein goldener Käfer in die Höhe. Wenn man sich genauer umschaut, kann man noch weitere Krabbeltiere mit güldenen Körpern entdecken: zum Beispiel eine Heuschrecke und eine Libelle. Auch der Arbeitshocker glänzt golden.
Auch die restliche Einrichtung ist von Kontrasten geprägt: eine alte Holzkommode mit Marmoraufsatz, ein gerahmtes Bild von dem verstorbenen Nirvana-Sänger Kurt Cobain, eine provisorische Küchenecke und eine etwas altbacken wirkende Tapete mit römischen Motiven. Mittendrin ein junger Mann mit kurzen, smaragdgrün gefärbten Haaren und einem schwarzen Hoodie, der diesem Raum ganz nach seinen Vorstellungen eingerichtet hat. „Ich mag überhaupt keine glatten Lacktempel“, sagt er. Seit 2016 ist er hier im Luisenviertel.
Auch sein Handwerk als Friseurmeister und Visagist übt Marco Velardi so aus, wie er es für richtig hält. Sein Motto: Weniger ist mehr. „Ich habe vielleicht drei, vier Kunden am Tag. Das reicht mir. Ich will auch nicht reich werden“, sagt der 41-Jährige, dessen Wurzeln in Apulien liegen. Überhaupt schätzt er das Alleinsein, geht gerne ins Kunstmuseum, in Ausstellungen, beobachtet die Natur oder sucht auf Antik- und Trödelmärkten nach neuen alten Schätzen. Früher war das anders. Als junger Mensch verbrachte er seine Zeit gerne in den Clubs und auf Technofestivals, feierte die Nächte durch. Das Friseurhandwerk hat ihn ein Stück weit ins echte Leben zurückgeholt. Hat seinem Weg eine Richtung vorgegeben. Geplant war das nicht.
„Eines Tages bin ich nach einer Partynacht ziemlich verwirrt durch die Straßen gelaufen und hatte die fixe Idee, jetzt sofort eine Ausbildungsstelle finden zu müssen“, erzählt Velardi. Er sei dann Hals über Kopf in mehrere Friseursalons gelaufen und habe einfach gefragt. Einer der überrumpelten Friseure habe sich dann tatsächlich auf die Spontanbewerbung des jungen Mannes eingelassen. „Er meinte zu mir: Du kaust Kaugummi wie ‘ne Schlampe, aber setz dich mal hin“, erzählt Velardi. „Ich dachte nur, hier bist du richtig.“ Der erste Schritt auf einer langen Reise mit Kamm und Schere war damit getan. Bis zur Zwischenprüfung war es allerdings eine recht beschwerliche Reise für den jungen Marco Velardi. Der gnädige Friseurmeister entpuppte sich als strenger Lehrer. „So richtig angekommen bin ich erst im dritten Lehrjahr. Meine Zwischenprüfung war allerdings katastrophal.“ Ein Weckruf, der seine Wirkung nicht verfehlt hat. Im zarten Alter von nur 23 Jahren machte Marco Velardi dann seine Meisterprüfung. Kurz darauf der Schritt in die Selbstständigkeit.
Heute ist seine Arbeit vor allem eines: abwechslungsreich. Eine wirkliche Routine gibt es für ihn nicht. Mal empfängt er seine Kundinnen oder Kunden im Atelier, mal macht er Hausbesuche oder stylt Menschen für diverse Events. Häufig zieht es ihn dann in die benachbarten Metropolen wie Düsseldorf oder Köln. Velardi genießt diese Abwechslung. Im Luisenviertel hält er sich nicht mehr ganz so oft auf wie früher: „Wenn ich dann doch mal hier bin, gehe ich gemütlich durchs Viertel und schaue mir immer die Altbauten an, das finde ich extrem beruhigend. Das ist altes Handwerk, Gründergeist, Kreativität und Geschichte.“ Die Vorstellung, dass hier einst Pferdekutschen durch die Straßen zogen, fasziniert ihn.
Dass sich Marco Velardi seine Kunden und Projekte selbst aussucht, wissen wir bereits. Ich frage ihn, welcher Person er gerne mal die Haare schneiden würde, wenn er die freie Wahl hätte. Nach einer kurzen Bedenkzeit schießt es aus ihm heraus: „Marina Abramović, die ist mindestens so durchgeknallt wie ich und steckt voller Überraschungen“, sagt er und lacht. „Interessant wäre auch Anna Wintour, die Chefredakteurin der amerikanischen Vogue.“ Da sind sie wieder – die Kontraste.
Text: Marc Freudenhammer