Praxisnah lernen - Fachkräfte von morgen

Sie gilt als die älteste überbetriebliche Lehrwerkstatt in Deutschland. Auf die vermittelten Inhalte wirkt sich das natürlich nicht aus. Im Gegenteil. Das motivierte Team setzt alles daran, junge Menschen auf die Berufswelt von heute vorzubereiten.

Als Erstes fällt das Graffiti auf: Der Besucher blickt auf einen prominenten Arm im blauen Kittel bei einem typischen Bohrvorgang. Eine behandschuhte Hand hält das Bohrfutter fest. Arbeitssicherheitstechnisch müsste die Hand textilfrei bleiben – aber das gesprayte Gemälde an der Außenwand der IHK-Lehrwerkstatt Solingen ist eben kein Unterweisungselement. Sondern Kunst. Der dunkle Handschuh dient der Farbklarheit. Und das Motiv wertet seit 2017 zusammen mit zwei weiteren das Gebäude optisch auf. „Wir möchten den Menschen, die zu uns kommen, ein attraktives Arbeitsumfeld bieten“, sagt Peter Prukop, zuständig für die Bereiche Mechanik, Steuerungstechniksowie für das Social-Media-Management. „Sie sollen schließlich nicht das Gefühl haben, in eine Höhle zu kommen.“

Diese Metapher wäre tatsächlich unangebracht, auch ohne farbige Außenwände. Zu allen Seiten fällt Sonnenlicht in das helle Gebäude an der Schützenstraße, das 1957 als Neubau öffnete. Den Ursprung markierte 1908 am vorherigen Standort die „Gerätschaftsschlosserei der Solinger Fachschule für die Schneidwarenindustrie“. Sie wurde in den 1920er Jahren zur Lehrwerkstatt und ist seit 1939 in IHK-Verwaltung. Doch genug von anno dazumal. Die sieben Ausbilder der überbetrieblichen Einrichtung holen die Zielgruppen, die in die Solinger Industrie streben, durchaus im Hier und Jetzt ab. „Wir bieten hier unter anderem eine Grundausbildung im Metallbereich“, sagt Geschäftsführer Andreas Völker. Vorbereitungslehrgänge dienen als Training für die praktische Abschlussprüfung. Dafür können die bis zu 60 Azubis unter anderem an Original-Prüfungsstücken üben und darüber hinaus in Fachlehrgängen Gelerntes direkt anwenden.

Neben vier Unterrichtsräumen inklusive zweier 3D-Drucker gibt es drei Handwerksräume für Grundfertigkeiten wie Sägen, Feilen, Bohren, Anreißen und Körnen. An den Werkbänken sind Bildschirme angeschlossen, die zum Beispiel Lernvideos zu den Tätigkeiten zeigen können. Im Maschinenpark stehen 14 Dreh- und zwölf Fräsmaschinen. „Sie arbeiten auf den Hundertstelmillimeter genau“, sagt Prukop. Ein Raum mit zwölf Plätzen ist der Steuerungstechnik gewidmet. Dort vermitteln die Ausbilder zum Beispiel Fähigkeiten, um ein laufendes Warenband so zu programmieren, dass jedes zweite Warenstück heruntergeschoben wird. In den drei CNC-Bearbeitungszentren können nach der Grundausbildung ebenfalls zwölf Personen arbeiten. Die PC-gesteuerten Drei-, Fünf- und Sieben-Achs-CNC-Maschinen sind in der Industrie Standard, für eine Lehrwerkstatt aber besonders, wie Prukop schildert. „Es ist eindrucksvoll, wie viel sich darin gleichzeitig bewegt. Die Leute sind fast heiß darauf, daran zu arbeiten. Es ist ein bisschen wie Luxusklasse fahren.“ In den CNC-Bearbeitungszentren, je etwa so groß wie ein Kleintransporter und von rund 350.000 Euro Neuwert, entstehen hochkomplexe Werkstücke wie etwa Turbinenräder im Kleinformat, die in der Industrie mit bis zu acht Metern Durchmesser zum Einsatz kommen. Auch Flügelschrauben und sogar Schachfiguren wurden darin schon gefertigt – eine beachtliche Bandbreite. „Bei der Technik geben uns die Solinger Unternehmen den Takt vor“, sagt Völker. Immerhin werden die jungen Menschen in der Lehrwerkstatt auf die reale Arbeitswelt vorbereitet.

Apropos: Achtklässler können vor Ort in einer dreitägigen Berufsfelderfahrung typische Tätigkeiten im Metall-, Kunststoff- und Elektrosektor kennenlernen. Noch nicht so bekannt: die Qualifizierungsmaßnahmen im Auftrag der Bundesagentur für Arbeit sowie der Arge, sagt Völker. „Das können Umschulungen sein oder erstmalige Ausbildungen für Ungelernte.“ Im Herbst veranstaltet das Lehrwerkstatt-Team einen Tag der offenen Tür. „Wir wollen Awareness und Akzeptanz für die duale Ausbildung erhöhen“, sagt Prukop. Er und sein Vorgesetzter tragen dazu bei, Metallberufe wieder interessanter zu machen. „Kittel statt Krawatte“, sagt Völker, selbst gelernter Maschinenschlosser. Was ihn an den Jobs besonders fasziniert? „Abends zu sehen, was man den Tag über geschafft hat. Das ist einfach ein tolles Gefühl.“

Text: Tonia Sorrentino

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