Digitalisierung - Was kann KI?

Am Thema Künstliche Intelligenz kommt heute kaum jemand vorbei. Viele Unternehmen befassen sich bereits damit. Neben einem großen Interesse ist in der Wirtschaft aber auch eine Verunsicherung spürbar.

„Bei Vok Dams ist Künstliche Intelligenz fest in unserer Arbeitswelt verankert“, sagt Geschäftsführer Colja M. Dams. „Unsere Kolleginnen und Kollegen haben regelmäßig die Möglichkeit, über Schulungen die neuen Funktionalitäten kennenzulernen und in ihren täglichen Aufgaben zu nutzen – sei es zur Qualitätsoptimierung oder zur Förderung von Kreativität.“ Das Wissen über KI werde auch als Teil des Ausbildungsprogramms vermittelt.

Bei der Kommunikationsagentur für Events und Live-Marketing mit Hauptsitz in Wuppertal gibt es aktuell kaum ein Projekt, bei dem nicht KI eingesetzt wird. Die Bandbreite reicht vom Anmeldeprozedere für Veranstaltungen über Simultanübersetzungen bis hin zu Fototools, bei denen per hochgeladenem Selfie genau jene Fotos von Events ausgewählt werden, auf denen man selbst zu erkennen ist. „Es geht darum, die Kommunikation mit Kunden und Gästen zu optimieren und einen reibungslosen Ablauf zu gewährleisten. Dafür ist KI ein echter Gamechanger“, sagt Colja M. Dams. Zu den Tools zählt unter anderem auch der Vok Dams AI DestinationFinder: Über eine datengesteuerte Auswahl von Veranstaltungsorten soll er helfen, Ressourcen effizienter zu nutzen und die Nachhaltigkeitsziele der Kunden besser zu erreichen.

„KI bietet unzählige Möglichkeiten, Live-Events auf ein völlig neues Level zu heben“, betont Dams. Aber: „Keine KI kann die Magie eines Live-Events ersetzen.“ Der Mensch habe die Sehnsucht, mit anderen Menschen „am Lagerfeuer“ zu sitzen, Geschichten zu erzählen und miteinander zu interagieren. „Das ist es, was wir bei Vok Dams das Lagerfeuer-Gen nennen. In einer sich immer stärker digitalisierenden Welt steigt das Interesse an Live-Events umso mehr.“ Solche Erlebnisse ließen sich nicht „faken“.

Wenn Dr. Andreas Groß auf den aktuellen KI-Boom blickt, fühlt er sich einige Jahrzehnte zurückversetzt. Mitte der 1980er Jahre startete der heutige geschäftsführende Gesellschafter der Heinz Berger Maschinenfabrik sein Studium der Elektrotechnik und befasste sich bereits in seiner Diplomarbeit 1990 mit „Neuronalen Netzen und Künstlicher Intelligenz“. Damals ging es um die sechsachsige Bewegung von Industrierobotern im Raum. „Während meiner Promotion habe ich dann Störsignale in Form von Teilentladungen, verursacht durch Entladungen an Hochspannungsleitungen, mit einem ebenfalls selbstlernenden neuronalen Netz in Echtzeit aufgespürt und dann unterdrückt“, erzählt Groß. Er gehörte damit zu den ersten Anwendern der von KI-Pionieren entwickelten Verfahren. Nach dem ersten Hype vor zirka 25 Jahren habe dann allerdings eine Art langer Winterschlaf in diesem Bereich eingesetzt. „Die Technologie fand unter anderem aufgrund fehlender Rechenleistung in der Breite keine Anwendung.“

Das ist heute völlig anders. „KI hat inzwischen ein enormes Potenzial und wird sich in aller Breite und in vielen Bereichen unserer Gesellschaft und Industrie weltweit durchsetzen“, ist Groß überzeugt. Der Wuppertaler verweist unter anderem auf ChatGPT, das als das sicherlich populärste Beispiel von KI gilt (dieser Text ist übrigens ohne Hilfsmittel dieser Art entstanden). „Aber auch andere Anwendungen wurden bereits erfolgreich umgesetzt, wie die Bewertung von Aktien und Kursen, die Diagnose von medizinischen Befunden mit Auswertungen von MRT- oder CT-Bildern, die Bewertung von Geschäftsmodellen und Firmen, die Unterstützung der kommunalen Verwaltung bei wiederkehrenden Arbeiten oder die Abwicklung von Steuererklärungen“, so Groß weiter. Ein „wunderbares Beispiel“ für den nützlichen und profitablen Einsatz sei das von einem Bergischen Konsortium vorangetriebene Hochwasser-Warnsystem HWS4.0. Bei dieser Entwicklung geht es darum, Niederschlagsmengen und Pegelstände von Flüssen und Bächen von einer KI bewerten zu lassen und „Pegel der Zukunft“ zu erhalten.

In sehr großen Unternehmen steht KI schon länger ziemlich weit oben auf der Agenda. Beispiel Bayer: In Wuppertal sei Künstliche Intelligenz „ein zentraler Pfeiler der Innovationsstrategie“, betont Florian Nickel, Head of Digital Transformation am hiesigen Standort. Sie durchdringt bereits verschiedene Arbeitsbereiche und hat ein breites Anwendungsspektrum – von der Forschung, wo sie den Entdeckungsprozess neuer Medikamente beschleunigt, über die Entwicklung, bis hin zur Produktion, in der KI-gesteuerte Prozesse die Herstellung transformieren sollen. „Durch erhebliche Investitionen in den letzten Jahren konnte Bayer den Mehrwert von KI demonstrieren und den sicheren Einsatz im Tagesgeschäft ermöglichen.“ So betreibt das Unternehmen beispielsweise einen unternehmenseigenen KI-Chatbot namens „myGenAssist“, der allen Mitarbeitenden zur Verfügung steht. Als konkretes Beispiel für den Einsatz in der Produktion nennt Nickel den „Batch Analyzer“, ein digitales Werkzeug, das als digitaler Zwilling fungiert und den Herstellungsprozess verbessert. „Durch die Analyse umfangreicher Betriebsdaten identifiziert die KI Muster und Potenziale, die bisher verborgen blieben.“

In den nächsten zwei bis drei Jahren plant Bayer in Wuppertal, den Einsatz von KI weiter zu intensivieren und auszubauen. Ziel sei es, KI noch stärker in die Wertschöpfungskette zu integrieren und damit die Innovationskraft sowie Produktivität weiter zu steigern. „Dies beinhaltet die Umsetzung neuer KI-gestützter Projekte in der Forschung und Entwicklung, die Automatisierung weiterer Produktionsprozesse und die Verbesserung der Datenanalytik“, erklärt Nickel. So sollen die Entwicklungszeiten neuer Medikamente verkürzt und die Qualität in der Produktion weiter erhöht werden.

Und wo stehen die KMU? „Das Thema Künstliche Intelligenz begegnet einem im industriellen KMU-Bereich noch sehr selten – selbst bei intensivem Austausch mit anderen Unternehmen, Lieferanten und Kunden“, sagt Dr. Bernd Schniering. Er ist geschäftsführender Gesellschafter der Schumacher Precision Tools GmbH in Remscheid sowie der GAP GmbH (Gesellschaft für angewandte Prozesslenkung). Durch eine mehr als 25-jährige akademische Zusammenarbeit mit der RWTH Aachen, der TU Dortmund und der Universität Stuttgart verfügt er über praxisorientierte Kenntnisse auf dem Gebiet der sogenannten „digitalen Prozesslenkungssysteme“ für KMU. Bei der unterstützenden Begleitung diverser Diplom-, Master- und Doktorarbeiten stehen jeweils KMU-Strukturen und entsprechende Praxisorientierung im Fokus.

Das Potenzial für Betriebe auch unterhalb der Konzerngröße ist für den Fachmann offenkundig. „Die Einführung einer bereichsübergreifenden, digitalen Prozesslenkung liegt wegen ihrer hohen Effizienz und der Schonung aller eingesetzten Ressourcen nah. Für eine Steigerung dieser Effizienz kann der Einsatz von Künstlicher Intelligenz zusätzliche, positive Auswirkungen haben.“ Richtig angewendet, sei KI daher alles andere als ein Selbstzweck und könne vielmehr zur Profitabilität industrieller KMU beitragen. Wichtig ist aus seiner Sicht vor allem die Akzeptanz und Weiterbildung der breiten Mitarbeiterschaft. „Man sollte vom Kenntnisstand der Nutzung eines Smartphones ausgehen“, rät Schniering. Sonst scheitere das System und werde zur „Organisations-Leiche“.

Eine weitere Grundvoraussetzung ist seiner Aussage nach die bereichsübergreifende Datenintegration. „Gelingt diese Integration aller Bereiche nicht, kommt es zu ungewollten Redundanzen.“ Die Schaffung eines „Datenknotens“ (aus separat entstehenden Datenbeständen) könne hingegen die Grundlage für eine strukturierte Datensammlung aus allen Prozessen für den Einsatz Künstlicher Intelligenz bilden. „So wird unter anderem ‚Deep Learning‘ mit neuronalen Netzen bei CNC-Produktionsmaschinen möglich“, sagt Schniering. Das jeweilige KMU verfüge somit über eine hochmoderne Informationsverarbeitung.

In Summe lässt sich der Einsatz industrieller KI unter Nutzung der digitalen Prozesslenkung laut Schniering in sieben Kernbereiche unterteilen. Neben der Zustandsüberwachung von CNC-Maschinen mit neuronalen Netzen sind das: Durchlauf-Prozesse, Produkt-Qualität, Maschinen-Wartung, Produktions-Automation, Design und Produktsimulation sowie Nachfragevorhersage. ChatGPT und ähnliche „medienwirksame Knüller“ seien für die industrielle Produktion weitgehend irrelevant – eher „nice to have“.

Und doch prägen gerade solche Anwendungen das allgemeine Bild von KI. Doch was ist eigentlich das wirklich Neue? „Eine zentrale Neuerung der heutigen Verfahren ist, dass es sich um generative Modelle handelt. Diese sind in der Lage, selbstständig Inhalte zu erzeugen, die von menschlicher Arbeit kaum zu unterscheiden sind – seien es Texte, Bilder, Musik, Videos oder Quellcode“, erklärt Prof. Tobias Meisen, der an der Bergischen Universität das Institute for Technologies and Management of Digital Transformation (TMDT) leitet. „Das Besondere ist, dass diese generativen Modelle nicht einfach vordefinierte Antworten wiedergeben, sondern in der Lage sind, kreative und kontextbezogene Antworten zu generieren.“ Diese Fähigkeit habe die allgemeine Wahrnehmung von KI grundlegend verändert. „Während Künstliche Intelligenz oft als starres, regelbasiertes System gesehen wurde, zeigen diese Ansätze, dass KI anpassungsfähig und in der Lage ist, mit Menschen auf natürlichere und menschenähnlichere Weise zu interagieren.“

Ein weiterer wichtiger Aspekt sei die Zugänglichkeit: „Dank cloudbasierter Dienste können nicht nur Unternehmen und Forschungseinrichtungen, sondern auch Privatpersonen generative Modelle ausprobieren.“ KI, insbesondere mit dem Aufkommen der generativen Modelle, könne Routineaufgaben automatisieren und es den Menschen ermöglichen, „sich auf komplexere und wertschöpfendere Tätigkeiten zu konzentrieren“. In vielen Fällen könne KI als Ergänzung betrachtet werden, indem sie die Entscheidungsfindung unterstützt und kreative Prozesse anrege.

„Gleichzeitig gibt es natürlich auch Berufsbilder, die sich durch KI stark verändern werden, bis hin zum Verschwinden einzelner Berufe“, so Meisen. „Inwieweit wir mit KI dem Fachkräftemangel begegnen können, lässt sich aus meiner Sicht nicht pauschal beantworten. Dafür sind die Aufgaben, die von Fachkräften erfüllt werden müssen, zu vielfältig, als dass wir KI als alleinige Lösung sehen können. Aber KI liefert sicherlich einen Baustein, den wir nutzen können.“

Eine große Unterstützung erhoffen sich insbesondere kleine und mittlere Betriebe im Büroalltag. Laut einer Studie im Auftrag des Digitalverbands Bitkom ist fast jedes zweite Unternehmen (46 Prozent) überzeugt, dass KI die Büroarbeit so revolutionieren wird wie die Einführung des PCs. Zwei Drittel (67 Prozent) sagen, KI werde helfen, Beschäftigte bei Routineaufgaben in Geschäfts- und Verwaltungsprozessen zu entlasten. Ein Drittel (32 Prozent) meint, die Produktivität in Geschäfts- und Verwaltungsprozessen werde durch KI deutlich steigen.

Nach Meinung von IHK-Vizepräsident Jan Peter Coblenz, geschäftsführender Gesellschafter der Brangs und Heinrich GmbH, werden die neuen Lösungen dabei helfen, die „unnötige Sachbearbeitung zu reduzieren“. EDV habe schon immer die Aufgabe gehabt, stupide Routinedinge auf digitalem Weg zu ersetzen.

Bei dem Solinger Verpackungsspezialisten ist man derzeit dabei, das eine oder andere schon praktisch umzusetzen. „Das ist keine triviale Angelegenheit“, betont Coblenz. Denn der von der KI erstellte Inhalt sei ja nicht selbstverständlich zu 100 Prozent korrekt. „Es braucht also Überwachungs- und Kontrollinstanzen im Unternehmen.“ Coblenz sieht neue Kompetenzen gefragt. „Wir werden verstärkt Leute brauchen, die gut ,prompten‘ können.“ Gemeint ist das richtige „Füttern“ der KI: „Wie müssen Fragen und Befehle formuliert sein, dass man möglichst schnell das gewünschte Ergebnis bekommt?“

Erste Erfahrungen im kreativen Bereich hat Florian Kops bereits gesammelt. Der Gründer der Wuppertaler Werbeagentur „dasMinisterium.com“ betrachtet Anwendungen wie ChatGPT, Midjourney und Firefly als „situative Hilfsarbeiter“. Die KI sei ein guter Sparringspartner für kreative Köpfe, etwa im Design. „Man kommt im Dialog mit der Software auf Ideen, auf die man ohne KI vielleicht nicht gekommen wäre.“

Von einer „Zauberlösung“ könne allerdings keine Rede sein, betont Kops. „Viele KI-Ergebnisse wandern gleich in die digitale Tonne. Überarbeitungen und Anpassungen sind in jedem Fall erforderlich.“ Um beispielsweise ein gutes Bild zu generieren, brauche es durchaus mal 30 bis 40 Prompts. „Evolution statt Revolution: Für uns sind die aktuellen KI-Entwicklungen mit früheren Updates von Anwendungen wie Photoshop oder InDesign vergleichbar. Sie können unsere Arbeit partiell erleichtern und verbessern, machen die Menschen aber nicht überflüssig.“

Dr. Andreas Groß von der Heinz Berger Maschinenfabrik meint: „Die meisten Applikationen werden uns helfen, die Zukunft zu gestalten und mit weniger Fachkräften zu bestehen. Auf viele Herausforderungen müssen wir jedoch Antworten finden, um die Menschen, die der Technologie aus verschiedenen Gründen nicht folgen können, nicht zu verlieren.“

Text: Daniel Boss

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