Vier-Tage-Woche - Falsche Debatte

Dr. Andreas Groß, geschäftsführender Gesellschafter der Heinz Berger Maschinenfabrik und IHK-Vizepräsident, sieht die Diskussion um eine Vier-Tage-Woche (s. Ausgabe 04/24) als falsches Zeichen in schwierigen Zeiten.

Dr. Groß, Sie sagen, die Diskussion um die Vier-Tage-Woche sei gefährlich für den Industriestandort Deutschland. Warum?

Die Lage der Wirtschaft ist aktuell schwierig. Wir haben einen Arbeitskräftemangel und einen Bewerbermarkt. Gleichzeitig stagniert das Wirtschaftswachstum, teilweise sieht es nach einer Rezession aus. Die Energie- und Einkaufskosten sind stark gestiegen, wir befinden uns in einem Transformationsprozess, gerade in Sachen Energie. Zudem hat die Konkurrenz etwa aus China stark zugenommen. Viele Betriebe in der Industrie haben bereits Kurzarbeit angemeldet, obwohl sie eigentlich Mitarbeiter gehen lassen müssten – sie halten sie aber, aus Sorge, später keine neuen zu finden. Die Diskussion um eine verkürzte Arbeitszeit erzeugt zusätzlichen Druck auf die Industrie, der zerstörerisch ist. Wenn wir versuchen, Mitarbeiter über eine Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich an die Betriebe zu binden, hat das Folgen. In weniger Zeit kann man weniger produzieren. So können die Betriebe weniger verdienen. Wir betreiben weniger Wertschöpfung. Das schwächt die Industrie und hat Auswirkungen auf die gesamte Wirtschaftsstruktur, die gesamte Gesellschaft. Für mich kommt die Debatte daher zur absolut falschen Zeit.

In welchen Branchen ist eine derartige Entwicklung oder Diskussion aus Ihrer Sicht besonders bedenklich?

Uns fehlen überall Menschen, die arbeiten – seien es Busfahrer, Erzieher, Mitarbeiter in der Industrie. Am Ende fehlen die Stunden, die diese Menschen arbeiten. Wir verwalten doch nur noch den Mangel an Arbeitskräften, bereits jetzt. Wenn überall weniger gearbeitet wird, spüren das alle. Generell macht weniger Arbeitskraft die Produkte teurer. Und das wird dann eben die ganze Wirtschaft und Gesellschaft bemerken – mit fatalen Folgen für die Industrie. Denn wenn hier Firmen Standorte schließen und anderswo produzieren, sind diese verloren. Sie kommen nicht wieder.

Wenn das Problem vor allem ist, dass wir zu wenig Arbeitskräfte haben, Flexibilität aber eingefordert wird, wie sorgen Sie im Betrieb für attraktive Arbeitszeiten?

Erst einmal: Wenn jemand weniger arbeiten möchte, dann ist das ganz individuell sein Recht. Das Gehalt wird entsprechend angepasst. Volkswirtschaftlich ist das nicht sinnvoll, weil auch das die Produkte verteuert, aber es ist gesetzlich vorgesehen, dass so einem Wunsch entsprochen wird. Generell reagiere ich natürlich auch auf die Anforderungen der Mitarbeiter bei uns. Ich biete in der Firma flexible Arbeitszeiten. Die meisten Mitarbeiter in der Produktion fangen um 5 Uhr morgens an, um am frühen Nachmittag nach Hause zu gehen. Wir bieten auch Home Office und Hybrides Arbeiten, wo es geht. Aber das ist natürlich schwierig in Sachen innerbetrieblicher Gerechtigkeit. Das geht nicht an jedem Arbeitsplatz. Für gut ausgebildete Leute gehört das aber heute dazu. Daneben bieten wir Zusatzleistungen: Betriebsrenten, Hilfe bei der Suche nach Wohnraum, wir sind zudem engagiert bei der Schaffung von Kindergartenplätzen.

Schon beim Sommerempfang der IHK hat Gastredner Prof. Michael Hüther, Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft Köln (IW), gesagt, es müsse darüber diskutiert werden, dass wir alle mehr arbeiten müssen. Stimmen Sie dem zu und warum?

Absolut. Ich glaube, das wäre die passendere Diskussion für unsere Zeit. Am Ende ist es eine einfache Rechnung: Wenn alle eine Stunde mehr arbeiten, sind das rund 45 Stunden pro Jahr – und das bei 45 Millionen Erwerbstätigen. Dazu müssten wir bei steigender Lebenserwartung auch über eine längere Lebensarbeitszeit reden. Diese Diskussionen sind bei der aktuellen Lage die richtigen.

Die Diskussion ist keine, die nur in Deutschland geführt wird. Es gab und gibt Pilotversuche im Ausland mit Firmen zur Vier-Tage-Woche, viele bleiben danach bei dem Konzept. Ist das möglicherweise zu kurz gedacht oder nicht auf Deutschland übertragbar?

Man muss sich differenziert ansehen, welche Unternehmen dabei sind und waren, welche Wirtschaftssparten. Denn etwa in Großbritannien, wo zuletzt so ein Versuch stattfand, hat einen Industrieanteil von 17 Prozent. Wir liegen in Deutschland bei rund 25, im Bergischen noch höher. Wenn in der Industrie weniger gearbeitet wird, wird schlicht weniger produziert und die Produkte werden teurer. Wenn jemand Dienstleistungen anbietet und damit viel Geld verdient, ist das hingegen möglich. Dann finde ich es in Ordnung, wenn man damit Mitarbeiter generiert. Als Gesellschaft mit hohem Industrieanteil müssen wir aber sehen, dass die Industrie den Wohlstand schafft, über den wir unseren Lebensstandard definieren, der Sozialleistungen, Klimamaßnahmen oder Hilfe für Geflüchtete finanziert – darauf sollten wir stolz sein, aber das müssen wir uns leisten können. Mein Appell ist: Wir müssen vernünftig an das Thema herangehen. Wir müssen Maß und Mitte halten. Die Arbeitszeit ist der Gegenwert für unseren Wohlstand. In Krisenzeiten sollten wir nicht darüber reden, weniger zu arbeiten, vor allem nicht in der Industrie, für die ich gewählter Vertreter in der IHK-Vollversammlung bin.

Das Gespräch führte Eike Rüdebusch

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