Spannung auf der Leinwand - Leidenschaft für Filme

Marc Schießer (37) ist Regisseur und gewann bereits zweimal den Grimme-Preis. Die Leidenschaft muss beim Drehen dabei sein – sonst fehlt dem Film die Seele, sagt er.

Ihr letzter Film „Trunk – Locked in“ dreht sich um eine Frau, die gefangen in einem Kofferraum erwacht. Wie kommt man auf so eine Idee?

Die kam uns während Corona: Was wäre das kleinstmögliche Setup für einen Film – und wie bekommt man das spannend?

Gab es ein Schlüsselerlebnis, vielleicht einen Film, nachdem Sie wussten: Ich möchte Regisseur werden?

Ich hab mit elf Jahren den Film „The Game“ mit meinem Vater im damaligen UFA Kino in Barmen gesehen. Das war so mein erster Film für „Erwachsene“ und die düstere, geheimnisvolle Atmosphäre hat mich damals sofort in ihren Bann gezogen. Das hat mich auch nachhaltig geprägt bezüglich der Stimmungen und Bilderwelten, die ich bis heute auch in meiner Arbeit erzeugen will.

Also war der Traumberuf schnell klar?

(lacht) Auf jeden Fall. Beim obligatorischen Kurzfilme-Drehen mit den dazu genötigten Freunden im Kinderzimmer hab‘ ich dann schnell gemerkt, dass meine Vorstellungen sehr konkret waren und dass es genau das ist, was ich mit meinem Leben machen möchte.

Kein Plan B im Spiel?

Nein, einen Plan B hatte ich nie. Obwohl ich zugeben muss, dass es ein harter Weg war. Ganz klassisch nach dem Abitur mit Eltern, die sagen: ,Mach‘ doch was Vernünftiges‘. Oder später Freunden, die ankommen mit: ,Hat ja jetzt immer noch nicht geklappt ‘. Für mich war einfach die größte Herausforderung, an meinem Ziel dranzubleiben, mich nicht beirren zu lassen. Aber es hat einige Jahre gedauert, auf nem Status zu sein, von dem man gut leben kann. Ich habe mich lange mit dem Drehen von Musik- und Modevideos über Wasser halten müssen.

Haben Sie ein Vorbild als Regisseur?

Das wechselt, manchmal nach Tagesform, nach Stimmung. Ich habe viele Favoriten, aber mein größtes Vorbild ist auf jeden Fall David Fincher, der – neben meine Kindheits-Initialzündung „The Game“ zum Beispiel auch „Fight Club“ gemacht hat. Er arbeitet in dem Genre, in dem wir auch viel gemacht haben, nämlich Thriller. Und auch von der Bildsprache, von der ganzen Herangehensweise und vom Arbeitsethos her ist das das, wo ich auch uns irgendwie verorten würde, wonach wir streben.

Und bei Filmen, gibt es da einen „All-time-favorite“?

Von Fincher auf jeden Fall „Zodiac“. Aber ich gucke leidenschaftlich gerne Filme aller Genres, definitiv nicht nur Thriller. Von asiatischen Filmen über Zeichentrick bis hin zu 70er Jahre „New Hollywood“. Ich habe eine riesige Filmsammlung, da kommt einiges zusammen.

Wechselt der Filmgeschmack auch?

Definitiv. Im vergangenen Jahr war ich zum Beispiel voll auf einem „Das Boot“-Trip, habe den Film mehrmals gesehen, alles dazu gelesen, Making-ofs geschaut. Nebenbei schreibe ich ja auch als Filmkritiker. Das Schauen ist für mich genauso wichtig wie das Filmemachen.

Was macht denn für Sie einen guten Film aus?

Da gibt es aus meiner Sicht eigentlich gar kein allgemeines Kriterium. Man kann zum Beispiel nicht sagen, jeder Film braucht ‘ne gute Story. Es gibt Filme, die arbeiten auf einer ganz anderen Ebene, sind viel abstrakter und haben gar nicht den Anspruch, dass die Story besonders einfallsreich oder originell ist. Ich versuche jedem Film als Zuschauer so zu begegnen, wie er intendiert ist. Das tolle am Medium Film ist ja eben, dass es so eine riesige Bandbreite gibt. Ein Pixar-Film will von mir etwas ganz Anderes als ein David Lynch-Film.

Also sind Sie niemand, der nur „Filme mit Anspruch“ guckt und bei dem leichte Unterhaltung verpönt ist?

Auf keinen Fall. Gerade in Unterhaltung steckt viel Wert. Auch wir versuchen ja, die Zuschauer zu unterhalten. Die Mischung macht’s, Unterhaltung mit künstlerischem Anspruch. Aber ich bin zum Beispiel auch ein großer Fan der „Mission Impossible“-Reihe. Es ist definitiv nicht so, dass ich mir nur Arthouse-Sachen angucke.

Welche Rolle spielt denn das Budget? Oder ist die Idee wichtiger, und die Art und Weise, wie ein Regisseur an den Film geht?

Man muss die Leidenschaft für das Thema merken. Ist die Leidenschaft vorhanden, transportiert die sich in den Film. Bei manchen Filmen, die unglaublich teuer sind, fehlt die Seele, und das merkt man dann auch. Man spürt nicht mehr die Vision dahinter.

Im Fußball sagt man auch „Geld schießt keine Tore“…

Ich bin generell der Meinung, dass kein Film 250 Millionen kosten muss. Es geht immer günstiger als das. Deshalb bin ich froh, dass im vergangenen Jahr mit dem Erfolg von „Barbie“ und Oppenheimer“ ein Umdenken stattgefunden hat und ein paar andere Blockbuster richtig stark gefloppt sind. Ich hoffe, dass wir in Zukunft weniger Filme für 250, aber dafür mehr für 70, 80 oder 100 Millionen sehen, die dafür etwas gewagter sein dürfen, weil sie nicht jedem Menschen auf der Welt gefallen müssen, um die Kosten wieder einzuspielen.

Sie führen Regie, schreiben oft das Drehbuch, schneiden und produzieren. Gibt es noch irgendeine Aufgabe beim Filmdreh, die Sie auch mal reizen würde?

Beim Medienprojekt Wuppertal, wo ich angefangen habe, habe ich alles mal gemacht, zum Beispiel auch die Kamera. Aber nein, meine Aufgaben jetzt reichen mir. Und Musik könnte ich zum Beispiel gar nicht.

Ihre Filme sind meist sehr spannend? Wie läuft es denn so am Set ab?

(lacht) Es ist eher ein chaotischer, aber auch sehr freudvoller und spaßiger Prozess.

Bei „Wishlist“, das ja den Durchbruch für Sie bedeutete, war Wuppertal Hauptdrehort. Wie sehen Sie das Potenzial Ihrer Heimatstadt heute als Filmstadt?

Ich finde cool, dass man Wuppertal gerade in den letzten Jahren öfter mal in Filmen oder Serien gesehen hat. Als Kulisse ist die Stadt aber immer noch weit entfernt davon, so ausgelutscht wie zum Beispiel Köln zu sein, wo seit Jahrzehnten dutzende Produktionen gleichzeitig gedreht werden. Wuppertal zeichnet einfach aus, dass es so vielfältig ist: von abgeranzten Ecken bis zur hochwertigen Architektur.

Und dann haben wir natürlich noch die Schwebebahn…

Auch die ist immer noch ein absoluter Hingucker in Produktionen. Vielleicht gibt es ja mal einen Entführungsthriller in der Schwebebahn. Das würde mich reizen.

Wie sehen Sie „Fernsehen" und „Kino“ in der Zukunft? Welche Rolle wird KI spielen?

Das ist auf jeden Fall ein Thema. Als Autor macht es mir, offen gesagt, Angst, weil die Entwicklung so rasend schnell ist. Es gibt Beispiele, wo die KI eine Folge von „Der Bergdoktor“ geschrieben hat, und man denkt, ,Wow, das liest sich wie ein Original‘. Das finde ich schon beunruhigend.

Haben Sie es selbst mal ausprobiert?

Ich habe ChatGPT einen Song über eine Frau im Kofferraum, passend zu unserem letzten Fiml „Trunk – Locked in“, schreiben lassen. Es war krass, wie gut der Text war.

„Trunk – Locked in“ läuft seit Januar bei Amazon Prime, einem Streaming Portal. Wie lange wird es noch das klassische Kinoerlebnis geben?

Meiner Meinung nach noch lange. Die Leute haben noch Bock, auszugehen, Sachen außerhalb der Wohnung zu machen, nicht nur auf der Couch zu sitzen, um zu streamen. Sie wollen die Gemeinschaft genießen. Unser Film läuft zwar auf Amazon, aber wir hatten als Premiere zwei große Kinovorführungen und die waren extrem cool.

Sie glauben also an die Zukunft des Kinos?

Klar. (lacht) Im vergangenen Jahr war ich 130 Mal im Kino. Und seit zehn Jahren treffen wir uns immer mit Freunden und schauen live die Oscar-Verleihung – mit Wettbewerb.

Um was geht es da?

Wir tippen die Sieger und tun so, als ob wir alles besser wüssten als die Academy …

Die Dreharbeiten für „Trunk – Locked In“ liegen ja jetzt schon ein bisschen zurück. Was steht als nächstes an?

Es gibt schon ein fertiges Drehbuch, für das wir gerade auf der Suche nach Partnern sind. Es wird wieder ein Thriller, soviel sei verraten, aber mit einem ganz anderen Thema und auch größer gedacht als ein Kofferaum.

Für „Wishlist“ erhielten Sie 2017 den ersten Grimme-Preis. Für die Historienserie Haus Kummerveldt (gibt es noch in der ARD-Mediathek) heimste ihr Studio Outside the Club kürzlich den zweiten ein. Auch für „Trunk – Locked In“ gab es gute Kritiken – aber auch schlechte. Wie gehen Sie damit um – gerade wo Sie selbst ja auch Filmkritiker sind?

Mit Kritik an der eigenen Arbeit, die natürlich sehr persönlich und quasi mit einem als Person verschmolzen ist, umzugehen, ist sehr schwierig. Das ist definitiv eine Fähigkeit, die man erst erlernen muss. Ich versuche, das Konstruktive aus Kritik rauszufiltern und das Verletzende weitestgehend zu ignorieren. Dass ich selber auch Kritiken schreibe, hilft dabei eher, schließlich weiß ich aus dieser Erfahrung nur zu gut, dass die Meinungen auch bei Filmen, die nicht die eigenen sind, sehr weit auseinandergehen können. Es gibt nun mal Geschmäcke, mit denen man einfach nicht konform geht. Das hilft dann dabei, andere Meinungen besser einzuschätzen und zu entscheiden, was man sich zu Herzen nimmt und was nicht.

Zum Abschluss: Traumschiff, Tatort oder ZDF-Fernsehgarten – wo würden Sie am ehesten die Regie übernehmen wollen?

Das ist eine harte Frage. Ich glaube, da würde ich den Tatort wählen. Den gibt es schon so lange und da wurde schon so viel ausprobiert, da würde ich bestimmt auch die Freiheit bekommen, noch mal etwas anders, frischer zu machen. Wobei das Traumschiff natürlich einen schönen Urlaub beinhalten würde.

Was gefällt Ihnen im Bergischen besonders gut?

Das im Sommer mediterrane und ganzjährig lebendige Feeling im Luisenviertel in Wuppertal.

Was ist Ihr Geheimtipp im Bergischen?

Besonders jetzt, wegen des seit Jahren geschlossenen Cinemaxx in Wuppertal: das Kino DAS LUMEN in Solingen, in dem auch die Teampremiere von Trunk stattfand. Breites Programm, günstige Preise, sehr freundliches Personal. Kann ich nur empfehlen.

Das Gespräch führte Manuel Praest.

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