Herausforderungen - Gaststätten als soziale Treffpunkte
Isa Fiedler ist stellvertretende Geschäftsführerin des Deutschen Hotellerie- und Gaststättenverbands (Dehoga) Nordrhein. Sie arbeitete 36 Jahre lang in der Branche, davon 25 als selbstständige Gastronomin. Welche Lösungsansätze sieht sie für die aktuellen Herausforderungen?
Frau Fiedler, die Hauptprobleme in der Gastronomie sind Personalmangel, vermindertes Konsumverhalten und Kostensteigerungen. Betreffen sie alle Betriebe gleichermaßen?
Grundsätzlich ja. Den Fachkräftemangel bedingt zum Teil eine deutliche Abwanderung, die während Corona schon spürbar war. Hinzu kommt, dass zahlreiche einstige Viel-Arbeitende während der Pandemie Freizeit und Familienleben schätzen gelernt und Stunden reduziert haben. Wir verzeichnen sogar leicht mehr Personal, erreichen aber die benötigte Gesamtstundenzahl nicht. Auf Gästeseite ist, inflationsbereinigt, das frei verfügbare Einkommen gesunken, damit auch der Pro-Kopf-Verzehr. Die Umsätze liegen immer noch real 15 Prozent unter Vor-Corona-Niveau.
Welche Lösungen schlagen Sie vor?
Als Arbeitgeber attraktiv bleiben oder werden. Sich aktiv um Personal bemühen, zusätzliche Anreize setzen, zum Beispiel mit Benefits wie betrieblicher Altersvorsorge, Krankenzusatzversicherung, Tankgutschein oder auch einer Vier-Tage-Woche, sofern strukturell umsetzbar. Und das Arbeitsklima muss stimmen: Nur dann sind Menschen bereit, zu arbeiten, wenn andere frei haben.
Was sind weitere Erfolgsfaktoren?
Eine persönliche Beziehung zum Gast ist sehr hilfreich. Nicht nur punktuell über guten Service. Eine längerfristige Bindung kann zum Beispiel über persönliche Ansprache funktionieren oder über ein Bonussystem wie „Ihr elftes Essen ist gratis“. Stammgäste zu pflegen ist die Grundvoraussetzung für dauerhaften Erfolg. Sie sind das Basiskapital eines jeden Betriebes, wenn es sich nicht gerade um einen Touristen-Hotspot handelt.
Wie können weitere konkrete Konzepte aussehen?
Während Corona waren Gastronomen unglaublich innovativ, um das Überleben ihres Betriebs zu sichern. Viele haben das ein Stück weit in ihren Arbeitsalltag integriert. Teil eines solchen Konzepts kann ein Lieferservice sein. Doch es gibt nicht das eine Patent, sondern viele kleine Stellschrauben. Jeder Betrieb muss entscheiden, was für ihn funktioniert. Oft ist es gut, zu schauen, was bei anderen Gastronomen in anderen Städten und Ländern möglich ist. Lässt sich aus deren Konzepten ein positiver Effekt für den eigenen Betrieb ableiten? Es gilt, offen und neugierig zu bleiben.
Was müssen Betriebe auf lange Sicht tun?
Das Gesamte im Blick behalten. Den vielfältigen Aufgaben gerecht werden, keine davon schleifen lassen, etwa Dokumentationspflichten, Kundenkontaktpflege oder die Abrechnungen für Steuerberatung und Lohnbuchhaltung. Gastronomen müssen Allrounder sein. Und den Mut haben, hinzublicken, auch wenn es mal schwierig ist. Bereit sein, Ursachen herauszufinden. Finden sie diese nicht allein, sollten sie sich Hilfe suchen. Der Dehoga ist immer eine Möglichkeit. Es steckt Potenzial in der Frage: Was kann ich ändern?
Wie wichtig ist künstliche Intelligenz in der Gastronomie?
Sehr wichtig. KI kann Kommunikation vereinfachen und auf ein anderes Level heben. Gerade bei der Reservierung wird KI eine immer größere Rolle spielen. Das setzt wiederum Personalkapazität für andere Aufgaben frei.
Was sollte von politischer Seite aus passieren?
Bürokratieabbau. Betriebe werden von der Menge an Anforderungen schier erschlagen. Jede Stadt, jeder Kreis versucht, das Rad neu zu erfinden. Es gibt zum Beispiel in NRW kein Standard-Formular, um eine Terrasse zu beantragen – bei der Übersetzung von Bürokratiedeutsch würde KI übrigens auch helfen. Ohne Frage wären auch Steuererleichterungen förderlich, um Geld für Investitionen freizusetzen: einen neuen Kühlschrank, neue Outdoormöbel oder auch Benefits für Beschäftigte. Den Stellenwert der Gastronomie haben wir spätestens während der Pandemie gelernt: Das ist unser sozialer Ort, den dürfen wir uns nicht wegnehmen lassen. Dort findet Austausch auch mit Menschen aus anderen Bubbles statt. Da leben wir Toleranz. Das halte ich für existenziell wichtig für unsere Gesellschaft.
Das Gespräch führte Tonia Sorrentino.