- Ureinwohner
Für Jan ist das Luisenviertel Heimat, Familie und Zukunft. Eine fotografische Entdeckung wirft ihn zurück in die eigene Kindheit. Zu Besuch bei den Schimnosseks.
Melanie Schimnossek traut ihren Augen kaum, als sie die Winterausgabe des Luisenviertelmagazins aufschlägt. Dieses Gesicht, diese Augen. Ein bekannter Anblick für die 43-Jährige. Auch die Situation auf dem Schwarzweiß-Foto ist ihr mehr als bekannt: das Luisenfest. Genau in der Mitte des Bildes, das zwei als Clowns verkleidete Männer beim Herumalbern zeigt, erkennt Melanie Schimnossek ihren Ehemann als kleinen Jungen im Alter von vielleicht zehn Jahren. Die junge Frau ist nicht allein mit ihrer Entdeckung. Von mehreren Seiten bekommt das Ehepaar Schimnossek in den nächsten Tagen entsprechende Hinweise. Am Ende ist man sich sicher: das ist Jan.
„Das Michael-Jackson-Schweißband, das ich auf dem Bild trage, habe ich kurz vorher auf der Kirmes am Laurentiusplatz beim Schießen gewonnen“, erzählt der heute 44-Jährige, als wir uns mit ihm treffen. „Man sieht auch das Schlüsselband, an dem ich immer meinen Hausschlüssel getragen habe.“ Ende der Achtziger war das, schätzt er. Damals war er ständig unterwegs im Viertel, hat sich mit seinen Freunden getroffen. Eine echte Clique sei das gewesen. „Wir waren alle auf einer Schule und ständig zusammen unterwegs, sind im Deweerth’schen Garten Fahrrad gefahren, haben Fußball auf der Straße gespielt oder sind ins Jugendzentrum an der Bergstraße gegangen.“ Eine schöne Zeit und eine schöne Kindheit im damals noch deutlich ruhigeren Luisenviertel.
Heute, so Jan Schimnossek, inzwischen selbst Familienvater von drei Jungs, sei die Situation etwas anders. „Es gibt wesentlich mehr Verkehr, da muss man schon aufpassen.“ Dem Viertel ist er trotzdem bis heute treu geblieben. Rund zwölf Jahre lebte er zusammen mit seiner Frau Melanie in der Obergrünewalder Straße, 2016 zogen die beiden in das Haus der Eltern in der Untergrünewalder. „Das sind schon Welten“, sagt Melanie Schimnossek. Und sie meint damit vor allem die Lautstärke. „Wir wohnten genau über dem Köhlerliesl, da war immer viel los.“ Ein Problem sei das aber nie gewesen. „Wir wissen ja, wo wir hier leben. Das gehört dazu.“ Deshalb sei auch die Coronazeit für die Familie besonders gespenstisch gewesen. Kein Lachen vor dem Fenster, keine Unterhaltung, keine Musik. Eine gespenstische und ungewöhnliche Stille. „Unser ganzes Leben spielt sich hier im Viertel ab. Der Friseur ist direkt gegenüber, wir kennen fast alle Nachbarn und waren früher natürlich gerne in den Cafés und Kneipen unterwegs“, sagt Melanie, die als Sprachtherapeutin am Arrenberg arbeitet. Also quasi im Nachbarviertel. Heute verbringe man mehr Zeit zu Hause und treffe sich mit Freunden. Verständlich, vor allem, wenn das eigene Zuhause so gemütlich ist, wie das der Schimnosseks.
Wir treffen uns im Wintergarten des Hauses und blicken auf einen kleinen Garten, der aktuell etwas mitgenommen aussieht. Wegen der vielen Häuser komme die Sonne nur selten durch, sagt Jan. Aber: „Wenn wir im Sommer abends hier sitzen, strahlt die Sonne immer genau über der Sophienkirche in den Garten.“ Der gelernte Installateur und Heizungsbaumeister verbringt tagsüber viel Zeit unterwegs, ist immer auf Achse in ganz NRW und freut sich, wenn er nach Feierabend noch ein bisschen Zeit im Garten verbringen kann.
Der angebaute Wintergarten wird heute als Esszimmer der Familie genutzt, gebaut hat ihn der Vater. Jan zeigt uns ein Foto, auf dem er mit vielleicht drei Jahren mit seinem Vater zu sehen ist. Sie scheinen sich von den Strapazen der Arbeit am Wintergarten zu erholen. Der Vater mit einer Pfeife im Mundwinkel, der Junge auf einer riesig wirkenden Schaufel abgestützt. Die beiden sitzen dicht nebeneinander auf der gerade errichteten Terrasse und blicken sich an. „Ich finde das Bild richtig toll“, sagt Melanie.
Viele hätten den Eltern 1974 vom Kauf der Immobilie im Luisenviertel abgeraten. „Das war damals ein ziemlich verrufenes Viertel, nicht wie heute. Und die Stadt wollte hier ja alles platt machen und es sollten Hochhäuser gebaut werden“, erinnert sich Jan Schimnossek. Zum Glück ist es anders gekommen. Und so wird Familie Schimnossek wohl auch dieses Jahr wieder mit eigenen Bänken vor der Haustür das Treiben auf dem Luisenfest verfolgen, mit alten Freunden und Bekannten den Tag verbringen und vielleicht selbst ein paar Erinnerungsfotos mit den Kindern machen, die heute in einem ähnlichen Alter sind, wie ihr Vater auf dem Bild im Viertelmagazin.
Text Marc Freudenhammer