Literatur - Leben. Lieben. Leiden. Schreiben.
Er produziert Hörspiele, Buchbeiträge und veröffentlichte vor Kurzem seinen vierten Roman: Hank Zerbolesch. Wie „Gorbach“ entstand, was ihm das Schreiben bedeutet und wie er seine Wahlheimat Wuppertal wahrnimmt, verrät der Autor im Interview.
Herr Zerbolesch, warum schreiben Sie unter einem Pseudonym?
Als Kunstfigur bin ich viel freier – auf der Bühne und in dem, was ich schreibe. Dank dem Rollenwechsel bin ich weniger an Konventionen gebunden und traue mich im Zweifel mehr als im echten Leben. Der andere Grund ist: Trennst du Figur und wahren Menschen nicht, bist du irgendwann Udo Lindenberg. Die Übergänge werden zunehmend fließend, man wird zur Karikatur und ist seines Gestaltungsspielraums beraubt.
Ihre erste literarische Erfahrung war Günter Grass‘ Roman Die Blechtrommel – und zum Abgewöhnen. Was brachte die Wendung?
Das Buch musste ich in der Schule lesen: unverständliches Gesülze eines alten Mannes über einen Zwerg, der Fensterscheiben zerstört. Ich habe es gehasst und hatte lange die Überzeugung, Literatur sei etwas für Reiche. Mit Ende 20 kam ich von einer Party, mir ging es dreckig, und ich las in einem herumliegenden Buch: Notes of a dirty old man von Charles Bukowski. Ich war überrascht, wie anders er schrieb. Damit machte er meine bisherige Auffassung von gängiger Literatur kaputt. Und ich fand es geil. Darüber kam ich zu Jack Kerouac und Ernest Hemingway, dann zu F. Scott Fitzgerald.
Was bedeutet Ihnen Literatur heute?
Halt und einen roten Faden, sowohl als Schreibender als auch als Lesender. In die Literatur kann ich alles hineinwerfen, was ich habe. Ich setze mich an den Schreibtisch und fange an, an einem Buch oder Hörspiel zu arbeiten.
Worum geht es in Ihrem neuen Roman Gorbach?
Um die Frage, ob ein Ort die Menschen macht, oder die Menschen den Ort machen – die Henne-Ei-Frage hat sich beim Schreiben herauskristallisiert. Ich erzähle sie anhand einzelner Figuren, die alle zusammenhängen. Das Buch ist episodenhaft, aber ein in sich geschlossener Kreis. Ein bisschen wie ein Pixar-Film: Man findet beim wiederholten Lesen immer noch etwas Neues in der Geschichte.
Einige würden die Atmosphäre in Gorbach womöglich als dunkel beschreiben. Zurecht?
Nein, es ist eine Frage der Perspektive. Wer solche Geschichten und Bilder nicht kennt, kann sie tatsächlich erst verstörend oder anstößig finden. Für mich, der aus diesen Kreisen kommt, ist das normal – und mir bis heute sehr nah. In den Episoden steckt Hoffnung. Zum Beispiel zu Beginn: In einer Kneipe hacken zwei Männer die ganze Zeit aufeinander ein. Aber man kann fühlen, dass sie trotzdem immer aufeinander aufpassen. Zwischenmenschlichkeit wie diese fange ich ein.
Was macht die klassischen Zerbolesch-Lesenden aus?
Keine Ahnung. Sobald man sich darüber Gedanken macht, wird das Buch zum Produkt, und das Herzblut geht – meiner Meinung nach – verloren. Dann funktioniert das ganze System nicht mehr. Ich bin kein Dienstleister. Ich verbinde Leben, Lieben, Leiden und Schreiben.
Gorbach erscheint ausgerechnet in dem Verlag, der die Rechte an Günter Grass‘ Werken besitzt. Warum?
Ich gehöre dahin. Schon beim ersten Besuch habe ich so eine starke Energie gespürt. Steidl hat eine sehr gewichtige Tradition – und spricht meine Sprache, auch was Blut, Schweiß und Tränen angeht. Wir schauen in dieselben Ecken. Die Leute nehmen nicht nur Hypes mit, sondern investieren mit Überzeugung in das, was sie richtig und wichtig finden.
Weshalb präferieren Sie bodenständige Literatur?
Ich möchte Literatur breiter auffächern und sie Menschen zugänglich machen, die keinen Hang dazu haben. Wenn du nur für einen erlesenen Kreis schreibst, der Verklausuliertes verstehen kann, schließt du ganz viele aus. Literatur ist auch menschliche Entwicklung und Weiterbildung. Ich will mehr Menschen mitnehmen und andere Geschichten erzählen als die, die sowieso immer erzählt werden.
Wie entstand Ihre Idee zu Gorbach?
Ich hatte zweieinhalb Jahre an einem Roman gearbeitet und mich von einem weiten Feld aus in ein immer kleineres Quadrat geschraubt, indem ich Parameter wie Protagonisten und Sprache festlegte. Dazu braucht es viel Leidenschaft und Entschlossenheit. Als ich fertig war, wollte ich alles abschütteln. Ich habe alles an Gefühlen rausgelassen, was da war. Arrangiert, gepuzzelt, weggeworfen. So ist Gorbach entstanden.
Haben Sie eine feste Herangehensweise an neue Werke?
Nein, ich habe kein Ritual, an dem ich mich immer wieder von vorn abarbeite. Sobald ich ein Buch abgebe, habe ich keinen Einfluss mehr und warte ab. Manchmal bringt mich ein Gespräch auf ein Thema, Musik, die mich in eine Stimmung versetzt, oder Wut auf etwas oder jemanden. Dann kommen die Gedanken immer wieder, ich befasse mich per se damit. Dann setze ich mich hin und schaue, was passiert.
Arbeiten Sie schon an neuen Ideen?
Ich habe angefangen, mich einem Thema anzunähern und bin noch dabei, herauszufinden, wie es klingt und sich anfühlt. Die Sache ist: Beim Romanschreiben blende ich alles andere aus – das ist immer ein Austarieren. Merke ich, dass es nicht wert ist, zwei Jahre meines Lebens darauf zu verwenden, klammere ich mich irgendwie trotzdem noch daran. Sonst wäre es ja tote Zeit. Dank meiner Freundin sehe ich das aber inzwischen anders. Ich wachse an jedem Stück Kunst, das ich mache. Gorbach gäbe es ohne den noch nicht veröffentlichten Vorgänger-Roman zum Beispiel nicht.
Zu Ihrem ersten Bühnenauftritt musste Sie ein Freund fast nötigen. Heute lieben Sie es. Wie kam‘s?
Auf der Bühne habe ich die Möglichkeit, in eine Richtung zu kommunizieren. Ich habe etwas zu sagen, das Publikum hört zu. Und ich mag das Feedback auf meine Arbeit: Den Leuten kann ich unmittelbar ansehen, wenn ich sie berühre. Es ist ein Geben und Nehmen, auch aus Richtung der Besucher. Nichts ist schlimmer als emotionale Taubheit – die Bühne lässt das auf beiden Seiten nicht zu. Ich gehe selbst gern auf Veranstaltungen, gerade in Wuppertal.
Was prägt Ihr Stadtbild als Wahl-Wuppertaler?
Vor einigen Jahren musste ich mal aus meiner Heimat Düsseldorf raus. Mir ging es nicht gut damals. Ich lebte dann zwei Jahre bei einem Freund in der Steinbeck frustriert vor mich hin. Die Stadt war irgendwie abgerissen und dreckig. Dann habe ich während einer Bewerbung Jörg Heynkes von der damaligen Villa Media kennengelernt. Ihm verdanke ich, dass sich mein Eindruck der Stadt komplett gewandelt hat und ich hier angekommen bin. Von der Nordstadt war ich sehr beeindruckt, die Menschen und das Quartier sind sehr bunt. Die Leute hier haben eine Macher-Mentalität, wahrscheinlich, weil sie auf sich allein gestellt sind. Die Bürgerinitiativen sind hier deutlich vehementer als in Städten wie Düsseldorf.
Was gefällt Ihnen im Bergischen besonders gut?
Utopiastadt ist für mich der wichtigste Ort in Wuppertal und hat eine einzigartige Stimmung. Sowohl für mich als Künstler und Mensch als auch für die Stadt. Die Leute schaffen dort Raum für die, die es besser machen wollen. Menschen bekommen Hilfe zur Selbsthilfe und können ihre Ideen dann wirklich umsetzen.
Ihr Geheimtipp im Bergischen?
Ich liebe Kneipenkultur: an jeder Ecke eine Bude, eine Trinkhalle, ein Brauereihaus. Das fehlt mir hier. Aber das Wiesenstübchen im Quartier Mirke mag ich sehr. Das ist ein bisschen, als würde man Helge Schneider 15-mal anders verkleidet in eine Kneipe setzen. Das ist wunderschön, selbstkarikierend, sehr menschlich und warm. Und die Bierpreise sind hinnehmbar.
Das Interview führte Tonia Sorrentino.