Transformation - Roadmaps sind Da

Annika Tönjes, Researcherin in der Abteilung „Zukünftige Energie- und Industriesysteme“ beim Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie, sieht die Branche in der anstehenden Transformation vor besonderen Herausforderungen.

Frau Tönjes, die Europäische Union hat in ihrem European Green Deal das Ziel vorgegeben, bis 2050 klimaneutral zu sein. Was sind die größten Herausforderungen, vor denen die Stahlindust-rie Ihrer Ansicht nach steht?

Grundsätzlich muss man sagen: In der Stahlindustrie ist die Besonderheit, dass die fossilen Energieträger – hier besonders Kohle, aber auch Erdgas – nicht nur als Energieträger, sondern auch als sogenannte Reduktionsmittel eingesetzt werden. Das heißt: Kohlendioxid entsteht in der Produktion von Stahl und Eisen prozessbedingt – und nicht nur als Folge der Energienutzung. Wir reden hier also nicht bloß von einem einfachen Wechsel von fossilen hin zu erneuerbaren Energien, sondern von gänzlich neuen Produktionstechnologien. Vor allem die Hochofentechnik muss komplett durch neue Technologien ersetzt werden, da sie nicht zukunftsfähig ist. Das bringt natürlich hohe Investitions- und auch höhere Betriebskosten mit sich – das lohnt sich finanziell für die Unternehmen nur unter den richtigen Rahmenbedingungen. Stahl ist ein global gehandelter Werkstoff und steht im weltweiten Preiswettbewerb, der den deutschen Herstellern jetzt schon Schwierigkeiten bereitet. Damit grüner Stahl hier bestehen kann, müssten die Kunden erstmal gewillt sein, die Mehrkosten zu bezahlen – oder es müssen effektive industriepolitische Anreize für Produktion und Kauf von grünem Stahl gesetzt werden.

Welche Ansätze für Reduzierung von Kohlendioxid (CO2) sehen Sie bereits in den Unternehmen der Stahlindustrie?

Als Nachfolge der Hochofentechnologie für die Roheisenproduktion setzen die großen Stahlunternehmen auf die sogenannte Direktreduktionstechnologie mit Wasserstoff als Reduktionsmittel. Bei dieser Technologie fallen keine Treibhausgas–Emissionen mehr in der Produktion an, weil bei der Verwendung von Wasserstoff statt wie bisher Kohlenstoff als Nebenprodukt Wasser entsteht und nicht mehr Kohlendioxid. Und wenn der verwendete Wasserstoff mittels Elektrolyse aus Wasser und erneuerbaren Strom hergestellt wird, dann ist der auch klimaneutral.

Wie weit ist aus Ihrer Sicht die deutsche Stahlindustrie im anstehenden Transformationsprozess gekommen?

Die Industrie hat mittlerweile erkannt, dass an der Transformation kein Weg vorbeiführt. Vor der Verabschiedung des Pariser Klimaabkommens von 2015 gab es in der Branche doch oft eine Blockadehaltung; das hat sich nun verändert. Positiv ist, dass die Stahlhersteller klare Roadmaps für die Dekarbonisierung ihrer Produktion haben. Die Pläne sind da, die Technologien weitestgehend auch und die ersten Anlagen befinden sich im Bau. Einige andere Industrien sind da noch nicht so weit. Allerdings bleibt auch festzustellen, dass die Stahlindustrie noch ganz am Anfang der Transformation steht.

Kann Wasserstoff fossile Energien ersetzen oder bleibt er eine von mehreren Energieformen, die in einer CO2-freien Wirtschaft verwendet werden?

Man muss verstehen, dass grüner Wasserstoff bis auf weiteres knapp und teuer bleiben wird. Neben dem Einsatz von Wasserstoff sollte jedes Unternehmen auch Alternativen für ein nachhaltiges Wirtschaften prüfen: Dazu gehört zunächst das Einsparen von Energie. Geprüft werden sollte zudem, inwieweit es sinnvoller ist, auf Direktelektrifizierung zu setzen – also grünen Strom direkt in der Produktion zu verwenden, anstatt ihn für die Herstellung von Wasserstoff in Elektrolyseuren zu verbrauchen. Bei dem Energiebedarf, der dadurch nicht gedeckt werden kann, können Wasserstoff und seine Derivate dann eine wichtige Rolle spielen.

Das Gespräch führte Michael Bosse

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