Forschung - Seismograph für die Wirtschaft

Der Politikwissenschaftler Prof. Detlef Sack hat an der Universität Wuppertal den Lehrstuhl „Demokratietheorie und Regierungssystemforschung“ inne. Dabei widmet er sich auch den Industrie- und Handelskammern.

Wie sind Sie darauf gekommen, zum Thema Industrie- und Handelskammern zu forschen?

Ich habe mich schon immer für lokale Politik interessiert und meine Abschlussarbeit im Studium über die Wirtschaftskammern als Mit- und Gegenspieler der Politik geschrieben. Jetzt forsche ich viel zu Handwerkskammern und IHKs.

Was untersuchen Sie dabei?

Vor zwei Jahren habe ich ein Buch über die Unterschiede der IHKs in Europa herausgegeben. In Österreich gibt es etwa keine Trennung zwischen Handwerk, Landwirtschaft und Industrie. Außerdem gibt es dort Arbeiterkammern als Gegenspieler der Wirtschaftskammern. In Deutschland sind IHKs eine öffentlich-rechtliche Körperschaft. Hier kann die Vollversammlung frei entscheiden, wenn es um politische Fragen geht. In Großbritannien hingegen ist die Chamber of Commerce rein freiwillig und kein Teil des Staates. Das führte dazu, dass sie lange Zeit ein Schattendasein gefristet hat. Und während des Brexit haben sich die Chambers of Commerce grundlegend zerstritten. Es gab Brexit-Befürworter und Brexit-Gegner. Nach dem Brexit hatten die Unternehmen allerdings jede Menge Fragen zu Zoll und Grenzformalitäten. Damit bekam die Chamber of Commerce eine Funktion und ihre Akzeptanz stieg.

Welche gesellschaftliche Bedeutung hat die IHK in Deutschland?

Mich treibt die Frage um: Hat das deutsche IHK-Modell einen institutionellen Vorteil? Meine Antwort lautet: Ja. Der größte Vorteil ist die Verringerung der Jugendarbeitslosigkeit. Diese hängt eng mit der guten Berufsbildung durch unsere IHKs zusammen. Und durch die Diskussionen in den Kammern und das Austragen von Konflikten, etwa zwischen Traditionalisten und Modernisierern, finden gesellschaftliche Modernisierungsprozesse statt. Die Deutsche IHK ist ein Seismograph dafür, was sich in der Wirtschaft tut.

Hat die IHK auch eine politische Bedeutung?

Wer sich in den Ausschüssen engagiert, kann seine Stimme geltend machen. Sowohl in der Vollversammlung als auch in den Gremien findet neben dem fachlichen auch ein politischer Austausch statt. Gerade bei Themen wie dem Lieferkettengesetz oder der Raum- und Verkehrsplanung artikulieren die Fachausschüsse ihre Meinungen, geben Stellungnahmen ab. Da die IHKs moderat, fachlich versiert und ausgewogen sprechen, werden sie auch gehört.

Wie können IHKs dafür sorgen, dass sie eine breite Basis haben? Was führt zu einer hohen Wahlbeteiligung bei den IHK-Wahlen?

Wuppertal hat eine verhältnismäßig hohe Wahlbeteiligung. Grundsätzlich gibt es vier Faktoren, die eine hohe Wahlbeteiligung erklären: eine entsprechende Tradition der jeweiligen IHK, die Größe und Lage der Stadt (in mittelgroßen Städten auf dem Land wählen mehr IHK-Mitglieder als in Großstädten), die Bedeutung der Berufsausbildung für die Mitglieder und kontroverse Themen. Gibt es ein einer IHK einen Streit über ein wichtiges Thema, beteiligen sich mehr Menschen an der nächsten Wahl.

In welchem Bereich haben die IHKs noch eine besondere Bedeutung?

Die Auslandshandelskammern sind für die Unternehmen, die exportorientiert sind, sehr wichtig. Nicht nur wegen der Beratung zu vielen Themen, sondern auch, weil sie Besuche in anderen Ländern organisieren. Dort können Beteiligte wichtige Kontakte knüpfen. Das gibt auch kleineren Unternehmen die Möglichkeit, sich international aufzustellen.

Was hat Ihre Forschung zur Berufsbildung in den IHKs ergeben?

Diejenigen, die sich in der IHK organisieren, nehmen eine gesellschaftliche Aufgabe in der Berufsausbildung wahr. In den Ausschüssen sitzen Leute, die dafür brennen, junge Menschen für diesen Beruf zu begeistern. Das sorgt dafür, dass die Berufsausbildung immer wieder modernisiert wird und auf der Höhe der Zeit ist. Außerdem tauschen sich die IHK-Mitglieder in den Fachausschüssen und Prüfungen aus und haben dadurch einen Weiterbildungseffekt. Sie lernen andere Positionen kennen. Das fördert auch die Demokratie.

Was für Themen in den IHKs haben Sie als besonders konfliktreich identifiziert?

Das Thema Energie ist gar nicht so einfach für die IHKs, weil Produzenten und Verbraucher, Vertreter der „alten“ und der „neuen“ Energien in der gleichen Vollversammlungen sitzen. Auch das Thema Mobilität und Logistik kann schwierig sein. Industrie und Handel setzen auf mehr Verkehr. Die Tourismusindustrie hingegen will eine unberührte Landschaft erhalten. Da stehen sich unterschiedliche Interessen gegenüber. Solche Konflikte werden in den Vollversammlungen der IHKs bearbeitet.

Das Gespräch führte Tanja Heil

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