Komplizierte Suche - Umgang mit dem Flächenmangel
Viele Unternehmen aus dem Städtedreieck wollen und müssen sich räumlich verändern – doch passende Areale sind extrem rar. Einblicke in eine schwierige Lage.
Manchmal braucht man Platz, um sinnvoll zu schrumpfen. Ein gutes Beispiel dafür ist die Breuer & Schmitz GmbH & Co. KG in Solingen. Das Traditionsunternehmen für Türbänder und Scharniere befand sich seit der Gründung 1883 am selben Standort. Entsprechend „historisch“ war ein Großteil der Räumlichkeiten an der Locher Straße in Wald. Durch An- und Umbauten in den vergangenen Jahrzehnten war ein verwinkelter Komplex entstanden, der zudem aus energetischen Gesichtspunkten nicht mehr den heutigen Anforderungen genügte. „Schon vor 20 Jahren gab es erste Überlegungen, etwas Neues zu suchen“, erzählt Patrick Müller, der das Unternehmen zusammen mit seinem Bruder Markus führt. Konkreter wurden die Pläne dann vor rund fünf Jahren. Ein Neubau vor Ort schien nicht ratsam. „Für eine langfristige Zukunft waren wir zu nah an der Wohnbebauung“, erklärt Markus Müller.
Doch wohin sollte man ausweichen? „Gute Flächen sind Mangelware. Entsprechend schwierig gestaltete sich die Suche“, so Bruder Patrick. Viele Gespräche mit der Wirtschaftsförderung und der Stadtverwaltung wurden geführt. Dann endlich ein Treffer: Breuer & Schmitz bekam die Chance, eine Entwicklungsfläche aus den Händen der Wirtschaftsförderung zu erwerben.
Das Areal, früher unter anderem als Firmenparkplatz genutzt, befindet sich an der Monhofer Straße in Ohligs, also nicht mal drei Kilometer von der alten Adresse entfernt. „Hier haben wir ein deutlich industrielleres Umfeld als zuvor“, so Patrick Müller. „Für unsere Belange ist das ideal.“ Von 12.800 Quadratmeter Grundstücksfläche hat man sich auf 8.500 Quadratmeter verkleinert. „Der Neubau wurde exakt nach unseren Vorgaben geplant und errichtet“, sagt Markus Müller. So konnte unter anderem die komplette innerbetriebliche Logistik optimiert werden. Energiemäßig ist man jetzt auf einem modernen Stand, unter anderem durch die Nutzung einer Luftwärmepumpe und eine groß dimensionierte PV-Anlage auf dem Dach. „Das hätten wir an alter Stelle kaum umsetzen können“, meint Markus Müller.
Seit Sommer 2022 arbeitet das rund 60-köpfige Team am neuen Standort. „Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind mit umgezogen. Das wäre bei einer Verlagerung in eine andere Stadt, vielleicht sogar in eine andere Region wohl nicht der Fall gewesen“, ist sich Patrick Müller sicher. Schon deswegen sei von Anfang klar gewesen, „dass wir – wenn es nur irgendwie möglich ist –, in unserer Heimat Solingen bleiben wollen“, betont der Bruder. „Mit der gefundenen Lösung sind wir sehr zufrieden.“
Die aufgegebene Fläche in Wald steht dem Gewerbe übrigens nicht mehr zu Verfügung: Hier entstehen Wohnungen und ein Kindergarten. „Diese Verwendung ergibt aufgrund der Nähe zum Stadtteilzentrum auch viel mehr Sinn“, betont Markus Müller.
Eine ähnliche Geschichte – allerdings mit anderem Ausgang – kann Moritz Kalkum erzählen. Er führt in fünfter Generation die Otto Kalkum & Söhne GmbH & Co. KG, ein auf Verpackungen spezialisiertes Unternehmen mit rund 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Seit Gründung im Jahr 1899 befand es sich immer am selben Standort in Solingen. Doch schon bei der Übernahme der Geschäftsleitung vor rund 17 Jahren sei ihm klar gewesen, dass es so an der Schlachthofstraße auf Dauernicht weitergehen könne, berichtet Kalkum. „Wir hatten mit 12.000 Quadratmetern zwar jede Menge Platz, konnten diesen aber aufgrund der baulichen Situation nicht vernünftig nutzen.“ Jahrelang habe er sich Gedanken über eine ortsnahe Lösung gemacht. Eine Idee war, einen Teil des Bestands zu verkaufen und auf dem verbliebenen Grundstück ganz neu zu bauen. „Aber wie sollte das im laufenden Betrieb gelingen?“ Letztlich lief alles auf einen Standortwechsel hinaus – und auf die Veräußerung der gesamten Fläche. Doch die Lage des Areals – an einem Hang und ziemlich weit weg von der nächsten Autobahnanbindung – ist „für produzierendes Gewerbe recht suboptimal“, so Kalkum. Gespräche mit einem Investor im Einzelhandelsbereich hätten ebenfalls kein Ergebnis gebracht.
Schließlich fand sich ein Abnehmer, an den Kalkum überhaupt nicht gedacht hatte: „Die türkische Ditib-Gemeinde kam auf mich zu. Für ihre Pläne einer Moschee mit Kulturzentrum war die Fläche günstig.“ Vor gut einem Jahr wurde mit einem großen Fest der Startschuss für das Projekt gegeben, vier Jahre nach dem Verkauf. „Wir hatten uns damals so geeinigt, dass wir noch einige Jahren bleiben konnten, um etwas Neues zu finden“, so Kalkum. Und das war ein großes Glück. Denn die Suche gestaltete sich weitaus schwieriger, als anfangs gedacht. Ein Mietobjekt in Solingen sollte es sein. „Die Belastung durch Eigentum wollte ich nicht mehr länger haben“, erklärt der Unternehmer die Entscheidung. Der örtliche Markt aber gab nichts her. „Ich habe mir gefühlt jede freie Halle in der Umgebung angeschaut.“ Groß seien die Ansprüche nicht gewesen: „Simple Hallen und Büroflächen, dazu ein teilweise überdachtes Außengelände für unser Holz – mehr brauchen wir nicht.“ Leichter gesagt, als gefunden.
Schweren Herzens blickte das Solinger Traditionsunternehmen auch über die Stadtgrenzen hinaus. Über einen Makler gelang dann der Volltreffer: „Ende 2022 habe ich das Grundstück besichtigt und wusste sofort, dass es passt“, erinnert sich Kalkum. Inzwischen hat das Unternehmen seinen Sitz in Wuppertal-Langerfeld. Rund 6.500 Quadratmeter zur Miete, die A1 ist nur wenige Meter entfernt. „Das ist perfekt.“ Die meisten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben den Umzug mitgemacht, wenn auch nicht alle. „Wir wären gerne in Solingen geblieben. Aber wenigstens dem Bergischen konnten wir treu bleiben“, sagt Kalkum. Seine Erkenntnis aus den vergangenen fünf Jahren: „Der Mangel an Flächen ist ein ernstes Problem in der Region.“
Aus Sicht der Solinger Wirtschaftsförderung wäre es natürlich optimal, wenn für alle Unternehmenskategorien Gewerbeflächen zur Expansion oder Neuansiedlung zu Verfügung stehen würden. Bei Weitem nicht alle Unternehmensgesuche können mit ihrem Ansiedlungs- oder Verlagerungswunsch mit den verfügbaren Flächenpotenzialen befriedigt werden. Aber andererseits ist es eben auch „der Kunstgriff, die für den Wirtschaftsstandort und seine zukünftige Entwicklung relevanten Unternehmen und Ansiedlungen zu identifizieren“, so Wirtschaftsförderer Elmar Jünemann.
Das rechnerische Flächendefizit laut Bezirksregierung Düsseldorf beträgt in Solingen 32 Hektar. Der Masterplan „Arbeit und Wirtschaft“ der Stadt Solingen sieht unter anderem die kurz- und mittelfristige Entwicklung von sogenannten Premiumstandorten mit regionaler Ausstrahlung durch besondere Qualifizierung und Profilierung vor: den InnovationCampus (Gründer- und Technologiezentrum), den ChangeCampus („Stöcken 17“, zusammen mit dem Standort Schrodtberg) sowie den IT Campus (Hansa-Quartier am Hauptbahnhof). „Weiterhin soll eine Mobilisierung von Potenzialflächen im Bestand und auch die Entwicklung der Wirtschaftsförderungsflächen Fürkeltrath II, Piepersberg-West und Schrothberg durch Baurechtsschaffung zur Sicherstellung der Handlungsfähigkeit verfolgt werden“, betont Jünemann.
Bestandsunternehmen genießen grundsätzlich Vorrang vor Immobiliengesuchen von Unternehmen, die außerhalb der Stadt sitzen. „Dieser Umstand wird vor allem dann relevant, wenn Interesse an demselben Grundstück besteht und die Ansiedlungskriterien, beispielsweise Schaffung neuer Arbeitsplätze oder innovatives Wirtschaften und Bauen, ähnlich bewertet worden sind“, erklärt der Wirtschaftsförderer. Der Solinger Fokus liege darauf, Chancen zu wahren und daher zunächst einmal allen Partnern die Stärken des Wirtschaftsstandorts aufzuzeigen.
Nicht nur der Mangel an Fach- und Arbeitskräften, auch das Fehlen passender Flächen bereitet der Wirtschaft große Sorgen. Für die Bergische IHK ist die Sache eindeutig: „Ein ausreichendes Angebot an Gewerbeflächen ist existenziell für die Zukunft eines Wirtschaftsstandorts“, sagt Thomas Wängler, als IHK-Geschäftsführer unter anderem für den Bereich Standortpolitik zuständig. „Sind keine Flächen mehr verfügbar, ist ein Standort nicht mehr attraktiv.“ Die Folge: Bestandsunternehmen, die neue oder größere Flächen benötigen, wandern ab – „und neue Unternehmen kommen dann auch nicht nach“. Natürlich könne es nicht darum gehen, mit der knappen Ressource Fläche „verschwenderisch“ umzugehen oder die Bedarfe des Gewerbes gegen die Bedarfe auf dem Wohnungsmarkt auszuspielen. „Der bergische Wohn- und Wirtschaftsstandort muss vielmehr ganzheitlich betrachtet und entwickelt werden“, so Wängler. Nur: „Ohne eine starke und prosperierende Wirtschaft, die für Arbeitsplätze und Steuereinnahmen sorgt, braucht es auch keine Pläne für mehr Wohnungen. Denn dann ziehen die Menschen dorthin, wo es Arbeit gibt.“
Gefragt sind also Potenzialflächen, auf denen zumindest theoretisch künftig Firmenansiedlungen möglich wären. Das rechnerische Flächendefizit beträgt für Wuppertal laut Bezirksregierung 120 Hektar. Eine Arbeitsgruppe aus Politik und Verwaltung hat aus einem Pool von Flächen sechs mögliche Standorte mit einem Volumen von 129 Hektar identifiziert und im vergangenen Mai vorgestellt. Nach dem Ratsbeschluss Mitte September sind nun noch fünf Areale im „Handlungsprogramm Gewerbeflächen – Neue Potenzialflächen“ enthalten: Schmiedestraße, Linde, Lichtscheid-Süd, Dorner Weg und Schöller-West. Der Bereich Aprather Weg ist nach der Entscheidung des politischen Gremiums nicht mehr dabei. Das Streichen der größten Potenzialfäche auf der Liste ist aus IHK-Sicht zwar bedauerlich. „Grundsätzlich begrüßen wir aber den Schritt zur Identifizierung von Potenzialflächen“, sagt Wängler. „Bis daraus allerdings – gegebenenfalls – Gewerbegebiete werden können, wird es viele Jahre dauern. Aber bei diesem Thema braucht man einen langen Atem.“
Auch wenn sie sicher nicht das Gesamtproblem lösen können, ruht einige Hoffnung auf vormals genutzten Brachflächen, den sogenannten Brownfields. Ein prominentes Projekt dieser Art in der Region betrifft das frühere Produktionsgelände von Schaeffler in Wuppertal. Der Projektentwickler CTP hat das rund 150.000 Quadratmeter große Areal im vergangenen Jahr erworben, um es von einem vormals unzugänglichen Werksareal hin zu einem „offenen und urbanen Gewerbequartier für Handwerk, Produktion, Gewerbe und Industrie“ zu entwickeln.
Zwei Wuppertaler Unternehmen sind inzwischen bereits auf dem Gelände vertreten: die Karl Deutsch Prüf- und Messgerätebau GmbH + Co KG (als Zwischenlösung, während das Stammwerk ausgebaut wird) und die Firma Innlights Displaysolutions. CTP selbst hat seine Niederlassung für Westdeutschland hier eröffnet. Die Flächen werden von CTP vermietet. „Wir verstehen uns als langfristiger Industrieimmobilienbestandhalter. Dies bedeutet, Flächen, welche wir entwickeln, verbleiben dauerhaft in unserem Portfolio“, erklärt Bernd Stils, Senior Business Developer bei CTP. Das Interesse an den neuen Möglichkeiten – direkt am Autobahnkreuz A 46 und A 535 – sei hoch. „Trotz der derzeitigen konjunkturellen Lage ist die Nachfrage nach Produktions- und Gewerbeflächen ungebrochen hoch“, so Stils. „Viele Unternehmen sind im Rahmen ihrer zukünftigen Wachstumsstrategie auf effiziente und ausreichend dimensionierte Gewerbeflächen angewiesen. Die Unternehmen müssen und wollen also trotz des herausfordernden gesamtwirtschaftlichen Umfeldes handeln.“
Auf der Expo Real im Oktober hatte CTP die ehemalige Schaeffler-Fläche als Referenzobjekt im Gepäck. „An diesem Beispiel können wir sehr gut zeigen, dass wir die gesamte Bandbreite der Immobilientwicklung im Gewerbebereich beherrschen“, sagt Stils Kollege Timo Hielscher, Managing Director M&A. „Einerseits erhalten wir denkmalgeschützte Industriebauten, andererseits tragen wir nicht mehr nutzbare Gebäude ab und schaffen moderne Alternativen.“
In Remscheid liegt der rechnerische Flächenfehlbedarf bei 33 Hektar. Hier hatte der Werkzeughersteller Guhema bereits 2013 mit der Suche nach einem neuen Standort begonnen. „An unserer bisherigen Adresse am Hasten hatten wir nicht mehr genügend Platz“, erzählt Jonas Weber, Inhaber des Familienunternehmens in fünfter Generation. Es handelte sich um eine, wie er es formuliert, „typisch bergisch-gewachsene“ Industrieimmobilie. „Für unsere Anforderungen passte sie nicht mehr.“ Also stand der zweite Umzug seit Gründung um Jahr 1867 zur Diskussion. Doch es sollte noch rund sieben Jahre dauern, bis Guhema ein passendes Areal fand. „Wir haben uns verschiedene Grundstücke angeschaut und hatten auch die Unterstützung der Wirtschaftsförderung“, betont Weber.
Nie hätte er gedacht, dass er Remscheid eventuell den Rücken kehren muss. „Doch irgendwann haben wir begonnen, uns auch in anderen Städten umzuschauen, zum Beispiel in Hückeswagen und Radevormwald.“ Sogar in Tschechien sei er mal gewesen, um Areale in Augenschein zu nehmen – die Verzweiflung war offenbar groß. Die Lösung kam schließlich 2021: „Wir konnten das Gelände der stillgelegten Stahlschmiede an der Walter-Freitag-Straße erwerben und damit in Remscheid bleiben“, so Weber. Der Umzug erfolgte in den zweiwöchigen Werksferien. Nach großen Investitionen – unter anderem in Hallendach, Fußboden, elektrische Infrastruktur und Heizung – habe man nun den optimalen Standort. Das alte Gelände befindet sich nach wie vor in Familienbesitz. „Wir bauen einiges um und stellen die Flächen kleineren Betrieben zur Verfügung. Es ist schön, dass dort weiterhin Unternehmertum in Remscheid Platz findet.“
Text: Daniel Boss