Engagement - Verständnis wecken

Arno Gerlach engagiert sich als Vorsitzender des Freundeskreises Beer Sheva und der Rumänienhilfe in Wuppertal. Der 82-Jährige hat enge Verbindungen zu Israel und Rumänien geschaffen.

Sie fahren wieder mit einem Konvoi nach Rumänien, an die Grenze zur Ukraine und zu Moldawien. Wie ist die Lage dort?

Wir helfen seit dem Sturz des Diktators Nicolae Ceausescu 1989 in den Armutsregionen im Nordosten des Landes. Die Hilfe offizieller Institutionen kam hauptsächlich den Großstädten zugute. In den ländlichen Gebieten kam kaum etwas an. Die Situation dort ist sehr schwierig. Außerdem litten die Gebiete, in die wir fahren, zunächst unter anhaltender Trockenheit und nun unter der letzten Flutkatastrophe.

Warum haben Sie entschieden, doch noch einmal mit einem Konvoi dorthin zu fahren?

Die Lage in Rumänien kennen wir seit über 35 Jahren recht gut. Aktuell bringen wir mit unserem 46. Hilfstransport der „Rumänienhilfe Wuppertal“ medizinische Verbrauchsmaterialien in Landarztpraxen, kleine Krankenhäuser und diakonische Einrichtungen. Die Ärzte dort benötigen fast alles. Sie tragen auch die Hauptlast der medizinischen Versorgung der geflüchteten und verletzten Menschen aus der Ukraine und Moldawien. Ihnen fehlen oft selbst die notwendigsten Mittel für die Erstversorgung. Selbst Schmerzmittel, Antibiotika und geeignete Verbandstoffe sind nicht immer zugänglich. Kranke und verletzte Menschen in den verstreuten Dörfern müssen meist lange Wege auf sich nehmen, um überhaupt einen Arzt erreichen zu können. Und dieser muss dann die unterschiedlichsten Erkrankungen und Verletzungen häufig mit einfachsten Mitteln behandeln.

Wie war die Spendenbereitschaft diesmal in Wuppertal?

Sie war noch gut, hat aber insgesamt spürbar nachgelassen. Weltweit gibt es immer mehr Not. Da spenden viele Menschen nachvollziehbar auch an andere Hilfsorganisationen. Wir haben aber einige treue Spender, die uns nach wie vor unterstützen. Natürlich engagieren wir uns als ehrenamtliches Team auch selber finanziell, um den Hilfstransport zu ermöglichen. Dieses Mal sind wir mit zehn Helfern und mehreren Fahrzeugen nach Ostrumänien unterwegs. Das Bethesda Krankenhaus hat uns oft bei der Aus- und Fortbildung junger rumänischer Ärzte unterstützt. Nach ihrer Rückkehr gehen diese mit viel Fachwissen zurück, doch leider fehlt ihnen das Equipment, um adäquat helfen zu können.

Wie hat sich das ländliche Rumänien in den 35 Jahren Ihrer Hilfe verändert?

Durch unsere nachhaltigen Einsätze finden inzwischen manche Menschen vor Ort den Mut, eigene Initiativen zu ergreifen, um die Lage zu verbessern. Eines der vielen Probleme ist jedoch die Korruption. Der noch amtierende Staatspräsident hat zwar schon viel dagegen unternommen, doch hat er nicht die Mehrheit im Parlament für ein Durchgreifen. Es gibt immer mehr Leute, die die Korruption bekämpfen möchten, aber sie finden zu wenig Mitstreiter. Zudem zerfallen flächendeckend die traditionellen Großfamilien. Früher sind die Eltern zum Arbeiten in den Westen ausgewandert und die Großeltern haben auf die Kinder aufgepasst. Das ist seit zwei, drei Jahren nicht mehr so. Jetzt gehen die Eltern mit ihren Kindern weg und lassen die Großeltern zurück. Aber was passiert mit den zurückgelassenen alten Menschen? Wer kümmert sich um sie? Deshalb ist es so wichtig, dass möglichst zügig Seniorenzentren und Pflegeeinrichtungen gebaut werden. Diesbezüglich erkennen wir auch in den ländlichen Gebieten langsame Fortschritte. Das sind punktuelle Hoffnungsschimmer.

Was bedeutet der Krieg im Nachbarland für die Menschen in Rumänien?

Die Ukraine ist das Nachbarland, aus dem seit dem russischen Angriffskrieg die meisten Geflüchteten kamen und noch kommen. Wer als Flüchtender die Grenze offiziell passiert, wird meist direkt mit Bussen in Auffanglager gebracht, dort registriert und weitervermittelt. Aber es gibt eine ganze Reihe von jungen Männern, oft Familienväter, die vor dem Kriegseinsatz fliehen. Sie versuchen, die Theiß, den größten Nebenfluss der Donau, zu überwinden. Doch gerade im Herbst und im Winter ist der reißende Fluss lebensgefährlich. Wenn sie es schaffen, rüberzukommen, verstecken sie sich zunächst in den Wäldern und versuchen dann, in eins der nächsten Dörfer zu gelangen. Dort kümmern sich zuallererst die Landärzte um die Verletzten. Zudem kommen Flüchtlinge über die moldawische Grenze. Es wird befürchtet, dass es je nach Ausgang der anstehenden Parlaments- und Präsidentenwahl in Moldawien noch mehr werden. Die faktische Bedrohung durch den Einfluss Russlands in Transnistrien, dem östlichen Teil Moldawiens, nimmt erkennbar zu.

Gleichzeitig sind Sie Vorsitzender des Freundeskreises Beer Sheva, der Wuppertaler Partnerstadt in Israel. Was hören Sie von dort?

Ich stehe regelmäßig mit verschiedenen Stellen in Israel in Verbindung, am meisten mit unserer Partnerstadt Beer Sheva. Unsere seit 45 Jahren bestehenden Beziehungen sind vielseitig und fest. Während des gegenwärtigen Krieges hält die Bevölkerung, die an sich gegenüber der Regierung gespalten ist, weitgehend zusammen. Doch ein großer Teil der Israelis geht immer wieder auf die Straße, um für die Freilassung der seit über einem Jahr von der Hamas verschleppten und gefangenen gehaltenen Geiseln zu demonstrieren. Doch die Erfahrung der Regierung und der Bevölkerung ist auch, dass jede Feuerpause und jeder Waffenstillstand in der Vergangenheit von den Terroristen genutzt wurde, um wieder aufzurüsten. Deshalb steht ein großer Teil des Volkes hinter Netanjahus Entscheidungen, obwohl sie ihm vorwerfen, die Freilassung der noch über 100 Geiseln bis heute nicht geschafft zu haben. Israels Kampf gegen den Terrorismus ist stets ein Kampf um seine Existenz. Ich bedauere außerordentlich jede einzelne Not und jeden Menschen, der stirbt oder Not leidet, insbesondere aufgrund kriegerischer Ereignisse. Es tut mir in der Seele weh, hungernde, flüchtende und sterbende Menschen zu sehen, erst recht unschuldige Kinder und Alte. Egal, auf welcher Seite. Wir Europäer sollten jedoch mit vorschnellen Verurteilungen vorsichtig sein. Die Gefahr des nahöstlichen Terrorismus ist längst auch in unserem Land angekommen. Insofern kämpft Israel auch für unsere Freiheit.

Wie hat sich die Situation für den Verein in Wuppertal verändert im vergangenen Jahr?

Wir stehen durchgehend in sehr engem Kontakt mit Beer Sheva und allen mit uns verbunden und kooperierenden Institutionen in unserer Partnerstadt. Allerdings haben wir die regelmäßigen Exkursionen nach Israel, auch nach Jordanien, aussetzen müssen. Ebenso den Schüleraustausch. Aus dem bisher jährlichen Schüleraustausch zwischen Wuppertaler Gymnasien und Gesamtschulen mit High Schools und Comprehensive Schools in Beer Sheva sind echte Freundschaften entstanden. Aus Sicherheitsgründen können die Schulen den Austausch in diesem Jahr nicht durchführen. Alle Partnerschulen stehen aber miteinander in kontinuierlicher Verbindung. Generell sind unsere Beziehungen zu Beer Sheva auch in der vom Krieg geprägten Gegenwart sehr gut, fest und verlässlich.

In beiden Ländern, um die Sie sich seit sehr vielen Jahren verdient machen, hat sich im vergangenen Jahr die Lage verschlechtert. Wie behält man in so einer Situation den Mut?

Ich bin selber ein Kind, das während einer fast sechsmonatigen Flucht und nach dem zweiten Weltkrieg viele Entbehrungen kannte und mit ihnen aufgewachsen ist. Nach dem Studium habe ich mit meinem Vater sehr intensiv über den Holocaust und die Judenfeindlichkeit der Nazis gesprochen. Er bat mich eindringlich, alles in meiner Kraft Stehende für die Versöhnung und die Verständigung zwischen Israel und Deutschland sowie zwischen Juden und Christen, und damit für den Frieden in der Welt zu tun. Die Judenfeindlichkeit, den Antisemitismus dürfe es nie mehr geben. Doch mittlerweile haben wir eine Situation, in der wir nicht mehr mit beschwichtigenden Worten auskommen, den Antisemitismus und Extremismus zu bekämpfen. Vielmehr müssen wir uns bewegen, bekennen und protestieren. Der Kampf gehen den Antisemitismus und Extremismus ist ein Kampf für unsere Demokratie. Meine Kraft für das, was ich tue und wofür ich mich einsetze, erhalte ich aus meinem Selbstverständnis als Christ. Not kann mich genauso treffen wie die, die gerade von ihr betroffen sind. Deshalb versteht es sich für mich von selbst, dort zu helfen, wo Hilfe nötig ist. Das gehört zur praktischen Umsetzung meines Glaubens.

Was gefällt Ihnen im Bergischen besonders gut?

Das Bergische Land ist etwas Besonderes. Wir haben hier unglaublich viele Möglichkeiten, die Freizeit zu gestalten. Wir haben Seen, Burgen, wunderbare Wanderwege, Fahrradtrassen, Museen. Meine Besucher aus anderen Ländern sind immer sehr beeindruckt von unserer landschaftlichen und kulturellen Vielfalt.

Was ist Ihr Geheimtipp im Bergischen?

Die Musik. In Wuppertal gibt es sehr aktive Chöre, wie die Kantorei Barmen-Gemarke, in der ich singe. Ein Besuch der Konzerte – etwa am 9. November das Oratorium „Christus, der Erlöser“ – lohnt sich immer. Die Chöre und Orchester haben zudem eine wichtige gesellschaftliche und soziale Aufgabe. Hier kommen Menschen zusammen, können ihre Probleme zurücklassen und sich an der Musik erfreuen. Ein unschätzbarer Wert!

Das Gespräch führte Tanja Heil.

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