Belastungen - Herausforderung Bürokratie

Welche konkreten Gesetze, Vorschriften, Regelungen, Pflichten machen der Wirtschaft das Leben schwer? Welche Alternativen gäbe es? Das haben wir Unternehmerinnen und Unternehmer im Städtedreieck gefragt.

Aus ihrem früheren Berufsleben als IT-Beraterin und Management Consultant ist es Diana Lantzen gewöhnt, komplexe Sachverhalte und Zusammenhänge anschaulich zu visualisieren. Doch beim Anblick ihrer Grafik zu sämtlichen „Beziehungen“, die man als Einzelhändlerin im Berufsalltag hat, muss der Betrachter erst einmal tief durchatmen. Was auf den ersten Blick aussieht wie moderne Kunst, ist der Versuch, die Fülle an Bürokratie konkret zu machen. Von einem blauen Punkt („Einzelhändler“) gehen zig Strahlen aus. Sie führen zu Begriffen wie „Technische Sicherheitseinrichtung für Kassensysteme“, „Datenschutz- und IT-Sicherheitsbehörden“, „Jährliche Meldung der Verpackungsmengen“, „Erlaubnis für Gehwegaufsteller“ und „Öko-Zertifizierungsstelle“. Auch „Eichamt“, „Rentenversicherungsprüfung“ und „Umsatzsteuer-Voranmeldung“ – um nur einige weitere Beispiele zu nennen – sind aufgeführt. „Die Vielzahl an regulatorischen Anforderungen und bürokratischen Prozessen führt zu erheblichen Belastungen für Unternehmen in meiner Branche“, sagt die Betreiberin des Wuppertaler Unverpackt-Ladens „Ohne Wenn & Aber“. Besonders kleinere Läden hätten so mit Betriebskosten und einem zeitlichen Aufwand zu kämpfen, die den Unternehmenszweck behinderten.

Lantzen pickt sich ein Beispiel heraus. „Die Anforderungen zur Ökozertifizierung sind sehr belastend. Betreiber müssen detaillierte Nachweise zur Herkunft und Qualität ihrer Produkte vorlegen, regelmäßige Audits bestehen und aufwendige Dokumentationen erstellen. Diese Anforderungen sind nicht nur teuer, sondern auch kompliziert umzusetzen, was besonders für kleine Läden mit geringem Umsatz enorme Herausforderungen darstellt.“ Die Einzelhändlerin, die auch im Vorstand des Verbands der Unverpackt-Läden e. V. sitzt, schlägt vor, dass für kleine Läden die Grenze für die Ökozertifizierungspflicht von derzeit 20.000 Euro auf einen „realistischen Jahresumsatz“ von 250.000 Euro angehoben werden sollte. „Zudem sollten die amtlichen Kontrollen, die derzeit im Auftrag von Zertifizierungsträgern durchgeführt werden, für solche Läden auf ein Minimum reduziert werden.“ Weniger kostenintensive Überprüfungsmaßnahmen könnten die Belastung verringern – alternativ wäre auch ein Erstattungsmodell denkbar.

Als weiteres Problem nennt Lantzen die Vielzahl der Mehrwertsteuersätze, „die je nach Produktkategorie und Herkunft variieren“. Dies erschwere eine korrekte und effiziente Finanzbuchhaltung. „Da viele kleine Lieferanten ohne standardisierte Datenmanagementsysteme oder Lieferanten-IDs arbeiten, entstehen bei der korrekten Berechnung und Zuordnung der Mehrwertsteuer zusätzliche Hürden.“ Der Arbeitsaufwand für die Steuerabrechnung sei daher sehr hoch, was sich auf die Rentabilität stark negativ auswirke. Die Alternativen aus ihrer Sicht: „Einheitliche Mehrwertsteuersätze oder pauschale Regelungen für kleine Einzelhändler in der Unverpackt-Branche würden den Verwaltungsaufwand deutlich senken. Auch eine zentrale Plattform für Lieferantendaten und standardisierte IDs könnte helfen, Abläufe zu vereinfachen und die Abrechnung effizienter und weniger fehleranfällig zu gestalten.“

Nicht vergessen dürfe man die indirekte Bürokratie, sagt Thomas Grigutsch, der sich bei der Bergischen IHK intensiv mit diesem Themenkomplex befasst. „Versicherungen, Banken und andere Geschäftspartner sichern sich oftmals auch durch umfangreiche Regularien ab. Das machen die aber nicht zum Spaß. Sie selbst sind ja auch wieder an Gesetze und Verordnungen gebunden, die dazu führen, dass sie sich absichern müssen“, so der IHK-Geschäftsführer.

Mit Blick auf ihre Herbst-Konjunkturumfrage und das im Frühjahr veröffentlichte IHK-Unternehmensbarometer sieht die DIHK die internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands in Gefahr. Kernpunkte seien insbesondere die hohen Energiekosten, der Fachkräftemangel – aber immer stärker auch die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen. Der größte Faktor dabei: „die hohen Belastungen durch Bürokratie“. Laut Unternehmensbarometer sehen 95 Prozent der Unternehmen den Bürokratieabbau als den wichtigsten Motor für mehr wirtschaftliche Dynamik. Was bedeutet „Bürokratie“ ganz konkret für hiesige Unternehmen? Welche Gesetze, Vorschriften, Regelungen, Pflichten machen ihnen das Leben schwer, kosten Geld, sorgen für höhere Preise und eine unnötige Personal-Bindung? Das haben wir Unternehmerinnen und Unternehmer im Städtedreieck gefragt.

Zwei Regelungen, die unter anderem die Schneidwarenindustrie „erheblich“ belasten, nennt Hartmut Gehring von der gleichnamigen GmbH in Solingen: „das Lieferkettengesetz und die Anforderungen zur EU-Konformitätserklärung für Produkte mit Lebensmittelkontakt“. Beide Vorschriften bringen seiner Aussage nach beträchtliche bürokratische und finanzielle Belastungen mit sich. „Das Lieferkettengesetz zwingt Unternehmen, über ihre gesamte Lieferkette hinweg menschenrechtliche und ökologische Standards nachzuweisen. Während dieser Anspruch grundsätzlich unterstützenswert ist, ist die Umsetzung in der Praxis für mittelständische Unternehmen eine immense Herausforderung. Die für Zulieferer notwendigen Berichte und Nachweise bedeuten ein hohes Maß an administrativem Aufwand, das für kleinere Firmen kaum leistbar ist.“ Hinzu komme der Kostenfaktor: „Da jede Änderung entlang der Lieferkette dokumentiert und geprüft werden muss, entstehen fortlaufende Kosten für Überprüfungen, die viele Mittelständler an den Rand der Rentabilität treiben. Außerdem drohen bei Verstößen hohe Bußgelder und Haftungsrisiken, was kleine Betriebe im Vergleich zu Großkonzernen zusätzlich benachteiligt.“

Teure Folgen hätte auch die EU-Konformitätserklärung, die für Besteck und Messer gelte. „Diese Anforderungen sind zwar entscheidend für die Lebensmittelsicherheit, jedoch besonders kostspielig und aufwändig, da regelmäßige und teure Prüfungen notwendig sind.“ Jede Charge muss laut Gehring den geltenden Standards entsprechen, was nicht nur hohe Prüfkosten verursache, sondern auch wertvolle Produktionszeit in Anspruch nehme. „Für mittelständische Betriebe ist es oft schwer, diese Prüfungen zu finanzieren, wodurch sie im internationalen Wettbewerb unter Druck geraten.“

Eine pragmatische Lösung sieht er darin, die Dokumentationspflichten für mittelständische Betriebe zu vereinfachen und zentrale Plattformen einzuführen. „Beispielsweise könnten Zulieferer und Produzenten ihre Lieferketten-Daten in eine gemeinsame Datenbank eintragen, die dann von allen Beteiligten abgerufen werden kann. Diese zentrale Datenhaltung könnte den Aufwand für den einzelnen Betrieb deutlich reduzieren.“ Eine ebenfalls sinnvolle Alternative wäre es aus seiner Sicht, kleinere und mittlere Unternehmen mit spezifischen Förderprogrammen für die hohen Prüf- und Zertifizierungskosten zu entlasten. „Subventionen für kostenintensive Prüfungen könnten die finan­ziellen Hürden abmildern.“ Bei Konfor­mitätserklärungen ließe sich durch standardisierte Prüfpakete der Aufwand setzen.

Über „unzählige Bauvorschriften und komplizierte Bauanträge“ schüttelt Axel Blankennagel den Kopf. „Die Bearbeitung neuer Vorhaben ist viel zu komplex angelegt, die Bearbeitung dauert viel zu lange und ist hoch formalistisch.“ Aus Sicht des Bus- und Reise-Unternehmers sind zu viele Entscheider eingebunden. „Die unzureichende Personalausstattung der Bauämter ist ein teurer Hemmschuh, ebenso die fehlende oder nur rudimentäre Digitalisierung in den Abläufen.“

Hintergrund: Das Wuppertaler Unternehmen Rheingold-Reisen befindet sich seit vergangenem Frühjahr mit seinen Tochterunternehmen auf einem neu gebauten Betriebshof. Das Areal bietet nun ausreichend Platz für die größer werdende Busflotte und ist zudem auf E-Mobilität eingestellt. Blankennagel wünscht sich die Überarbeitung und vor allem „Entschlackung“ bestehender Vorschriften. „Außerdem wäre es sinnvoll, wenn es in jedem Bauamt einen einzigen festen Ansprechpartner für den Antragsteller gäbe. Dieser Ansprechpartner könnte dann alle intern notwendigen Schritte koordinieren.“ Weiterhin sollten Mitarbeiter im Homeoffice telefonisch erreichbar sein.

Zuviel Bürokratie beobachtet der Unternehmer zudem im Bereich Förderaufrufe von Bund und Land. „Anträge können von Mittelständlern nur unter Zuhilfenahme von Rechtsanwälten und spezialisierten Beratern ausgefüllt werden, das weiß ich aus eigener Erfahrung.“ Es müsse seiner Meinung nach doch möglich sein, die Anträge so zu formulieren, „dass jeder Unternehmer in der Lage ist, sie ohne externe – und teure – Unterstützung korrekt zu stellen.“

Wenn man Markus Kärst vom Hotel-Restaurant Kromberg in Remscheid nach den seiner Ansicht nach unnötigsten Auflagen fragt, kommt die Antwort schnell: „Die Dokumentationspflichten rund um die Entsorgung.“ Er verstehe einfach nicht, „warum wir schriftlich festhalten müssen, dass der Müll abgeholt wird. Es sollte doch klar sein, dass es in unserem eigenen Interesse ist, wenn die Abfall-Abfuhr funktioniert.“ Ähnlich verhalte es sich beim Thema Fettabscheider. „Die Vorgabe ist, dass er mindestens einmal monatlich durch einen Fachbetrieb geleert wird. Mit einer Sondergenehmigung sind es drei Monate.“ Doch im Hotel-Restaurant Krom­berg komme es häufig vor, dass die Entsorgungsprofis vor der Tür stehen und eigentlich nichts zu tun hätten: „Der Fettabscheider ist dann vielleicht erst halbvoll. Entleert werden muss er trotzdem. Und natürlich muss das dann auch noch dokumentiert werden.“ Natürlich habe er vollstes Verständnis für Verbraucherschutz und Transparenz. „Aber vieles ist übertrieben.“ Und leider nehme die Bürokratie – zumindest gefühlt – nicht ab oder bleibe zumindest auf einem Niveau. „Sondern es wird immer mehr.“

Für weniger Bürokratie, bessere Gesetze und eine digitale Verwaltung setzt sich der Nationale Normenkontrollrat (NKR) ein. Er ist ein gesetzlich verankertes, unabhängiges Expertengremium, das die Bundesregierung berät. Der NKR überprüft, welche Kosten neue Gesetze verursachen, ob praxistauglichere Alternativen bestehen und wie eine gute digitale Ausführung erreicht werden kann. „Ganz konkret hat der Normenkontrollrat dazu beigetragen, dass die monetären Schwellenwerte zur Bestimmung der Unternehmensgrößenklassen im Bilanzrecht entsprechend der EU-Vorgaben um 25 Prozent angehoben wurden“, nennt Lutz Goebel, seit 2022 Vorsitzender des Nationalen Normenkontrollrates, ein Beispiel. „Von diesen Erleichterungen haben rund 52.000 kleine und mittlere Unternehmen profitiert.“ Der Unternehmer wird von Medien schon mal als „oberster Bürokratiejäger“ bezeichnet.

„Gesetze und Vorschriften reihen sich über die Jahre oft aneinander, ohne dass überflüssige Regelungen gestrichen werden“, so Goebel. „Diese Überregulierung führt dazu, dass Unternehmen und Bürger mit einem schwer durchschaubaren und teilweise widersprüchlichen Regelwerk konfrontiert sind. Mit der Streichung alter Gesetze setzt sich die Politik aber nur ungern auseinander, weil das komplex ist, viele Interessen aufeinandertreffen und man mit der Einführung neuer Gesetze in der Öffentlichkeit besser punkten kann.“ Das größte Problem sei aber die mangelnde Gesetzesevaluierung: „Viele Regelungen werden einmal eingeführt und danach nicht mehr auf ihre Wirksamkeit überprüft. Dabei wäre es essenziell, regelmäßig zu schauen, ob ein Gesetz die gewünschten Effekte erzielt oder ob es möglicherweise nachjustiert oder abgeschafft werden sollte.“

In der Digitalisierung der Verwaltung sieht der Vorsitzende einen der wichtigsten Hebel für mehr Bürokratieabbau. „Hier hinken wir vielen unserer europäischen Nachbarn nach wie vor hinterher. Dabei könnte ein flächendeckend funktionierendes E-Government Deutschland einen enormen Schub bringen.“ Das größte Potenzial biete hier die Sicherstellung des „Once-Only-Prinzips“: Viel zu häufig müssten Unternehmen und Bürger Daten gegenüber der Verwaltung mehrfach angeben – je nachdem, mit welcher föderalen Ebene oder welcher Behörde sie zu tun haben. „Wenn ,Once-Only’ über die Ertüchtigung funktionierender Register sichergestellt wäre, dann würden die Daten laufen – und nicht die Bürger.“

Der Mensch und die Bürokratie – da muss Frank Eischet „sofort an Kafka denken“. Dabei sieht der Geschäftsführer und CFO des Wuppertaler Kommunikationsspezialisten Riedel durchaus die „Zwickmühle“, in der sich der Staat als Gesetzgeber und Exekutive befinde. „Natürlich müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, das gilt für ein Staatsgebilde, und das gilt für ein Unternehmen. Doch die Umsetzung dieser Rahmenbedingungen müssten auch in der Praxis funktionieren.“ Im Fall des Staates habe er, Eischet, allerdings den Eindruck, dass jedes Detail bis ins Kleinste geregelt sein müsse. Und das gilt seiner Erfahrung nach nicht nur für Deutschland. „Erst neulich habe ich von einem Beispiel aus Österreich erfahren, das konnte ich kaum fassen. Deutschland ist also nicht das allerschlimmste Beispiel für eine überbordende Bürokratie, wie so oft zu lesen und zu hören ist.“ Aber auch hierzulande gebe es zahlreiche Bestimmungen, Auflagen und mehr, die unternehmerisches Handeln enorm erschwerten.

Beispiel Nummer eins: Riedel-Teams sind überall auf der Welt bei großen Events im Einsatz, in diesem Sommer etwa bei den Olympischen Spielen in Paris. „Pro Tag gibt es dafür den steuerlich maximal möglichen Verpflegungsmehraufwand von 58 Euro – das ist eine Summe, mit der unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter rechnen“, so Eischet. Außerdem kommt das Unternehmen für das Hotel auf – und muss wegen des inklusiven Frühstücks 20 Prozent des Verpflegungsmehraufwands abziehen. So weit, so bekannt. Das Problem: „Viele aus dem Team müssen schon um 6 Uhr morgens auf der Eventfläche sein, können also überhaupt nicht im Hotel frühstücken.“ Doch der Fiskus beharrt auf einem Abzug. „Meine Mitarbeitenden fragen sich – genau wie ich mich selbst – wo bleibt hier der gesunde Menschenverstand?“

Ein „heißes Eisen“ ergreift Eischet mit dem Thema Arbeitszeit und deren Erfassung, Beispiel Nummer zwei. „Mir ist bewusst, dass es dabei um den Gesundheitsschutz geht, der zweifellos ein hohes Gut ist.“ Doch die Grundlage der heutigen Gesetze stamme noch aus der beginnenden Industrialisierung, „als die Menschen am Fließband und in Minen schufteten“. Mit der Arbeit in Deutschland im 21. Jahrhundert habe das nichts mehr zu tun. „Unsere Leute leisten tolle Arbeit, und natürlich gibt es Events, bei denen man auch mal mehr als acht bis zehn Stunden durchgehend ,Vollgas‘ geben muss. Aber es gibt auch immer wieder ruhige Phasen.“

Wie geht man bei Riedel mit dem Thema Arbeitszeitvorgaben um? „Indem wir mit unseren Mitarbeitenden sprechen und viel Mühe und Zeit in Dienstpläne stecken. In den allermeisten Fällen klappt das reibungslos. Und wenn sich jemand ungerecht behandelt fühlt – was natürlich vorkommen kann –, wird gemeinsam nach einer Lösung gesucht. Der Staat muss nicht regeln, was unternehmensintern viel besser geklärt werden kann.“

„Wir müssen uns als Gesellschaft entscheiden“, so IHK-Geschäftsführer Thomas Grigutsch. „Wollen wir in einer durchreglementierten, vollständig abgesicherten Gesellschaft leben, mit dem Ergebnis, dass wir jede Innovation aus regulatorischen Gründen so teuer machen, dass sie nicht mehr genutzt wird? Oder wollen wir Risiko und Innovation erlauben, mit dem Ergebnis, dass auch mal etwas schief gehen kann? Natürlich führt dies dann im Einzelfall zu Nachteilen oder sogar Schäden. Aber so, wie wir es jetzt machen, ersticken wir irgendwann an Bürokratie.“

Text: Daniel Boss

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