Schwierige Lage - Wege aus der Krise
Die Krisen und Verwerfungen bei den Autoherstellern haben auch Auswirkungen bis ins Bergische Städtedreieck. Die Zulieferer bangen um Umsätze und ihr Geschäftsmodell. Sie fordern politische Unterstützung, aber auch einen klareren Kurs bei den Herstellern.
Der Begriff Transformation hat in der Wirtschaft seit Jahren Konjunktur, er verweist auf die Herausforderungen, die anstehen und soll Mut machen und auch Optionen aufzeigen, neue Wege einzuschlagen. In der Mobilitätsbranche wird damit vor allem der Abschied vom Verbrenner und der Umstieg auf E-Mobilität gemeint.
Wie groß die Herausforderungen für die deutsche Automobilbranche sind, zeigt eine jüngst vorgelegte Studie des Verbands der Automobilindustrie: Demnach könnten bis zum Jahr 2035 bis zu 190.000 Stellen verloren gehen. Hauptgrund dafür ist die Transformation zur Elektromobilität. Hinzu kommen die demografischen Veränderungen. So wird rund ein Viertel der Beschäftigten der Erhebung zufolge in den kommenden zehn Jahren in den Ruhestand gehen. Hinzu kommen Hiobsbotschaften etwa von VW – immerhin der zweitgrößte Autobauer der Welt – der nach Angaben des Betriebsrats drei deutsche Werke schließen will. Zudem stehen im Unternehmen Zehntausende Arbeitsplätze auf der Kippe.
Und im Bergischen steht ein Unternehmen wie die WKW Gruppe so sehr unter Druck, dass es Insolvenz anmelden muss. In Wuppertal bangen nun 500 und in Velbert noch einmal 1.500 Mitarbeiter um ihre Arbeitsplätze.
Bei der Frage nach den Ursachen für die aktuelle Krise nimmt Peter Cöllen, geschäftsführender Gesellschafter von Vorwerk Autotec GmbH und Co. KG, Politik und Autohersteller gleichermaßen in die Verantwortung. „Die Transformation ist falsch gemanagt worden“, sagt er. Die Energiepreise seien – nicht zuletzt im Zuge des Ukraine-Krieges – „aus dem Ruder gelaufen“. Zudem hätten die Preise für Rohstoffe, die auf Gas und Erdöl angewiesen sind, deutlich zugelegt. Lohn- und Lohnnebenkosten seien gestiegen. „Das gesamte Preis-Kosten-Gefüge ist aus dem Ruder geraten“, meint Cöllen.
Und auch die Autohersteller hätten ihren Anteil an der Misere. Sie produzierten nach wie vor zu teuer und hätten bei der Umstellung auf die E-Mobilität eine falsche und überteuerte Modellpolitik verfolgt. Hinzu komme, dass es in Deutschland nach wie vor an einem flächendeckenden Ladestellennetz für Stromer oder Hybride fehle. Die Folge: „Die Verunsicherung hat den Markt gelähmt“, mahnt Cöllen, der auch Vorsitzender des Industrieausschusses der Bergischen IHK ist. Sein Unternehmen sei vom schwankenden Kurs der Branche zum Glück nicht übermäßig betroffen, da Vorwerk Automotive vor allem Zulieferer für das Fahrwerk sei. Und das werde in jedem Fahrzeugtyp gebraucht – unabhängig von der Antriebstechnik.
Um aus der aktuellen Krise herauszukommen, sei es notwendig, dass die „Personalkosten nicht weiter explodieren“. Die Automobilbranche exportiere ihre Fahrzeuge und stehe deshalb in einer weltweiten Konkurrenz. Angesichts der gesunkenen Produktionszahlen müssten die Autohersteller reagieren und beim Personalbestand Anpassungen vornehmen. Von der Politik fordert der Geschäftsführer die Wiederinbetriebnahme der drei im Frühjahr 2023 stillgelegten deutschen Atomkraftwerke. Und auch bei den sogenannten Sekundärtugenden könne man noch nachbessern: „Wir brauchen wieder mehr Arbeitsdisziplin!“
Auch bei der Coroplast Group, die weltweit in zwölf Werken Technische Klebebänder, elektrische Leitungen und einbaufertige Leitungssätze herstellt, spüre man „niedrigere Stückzahlen im Automobilmarkt. Dies gilt insbesondere für das Segment der Elektromobilität, in dem sich die Stückzahlerwartungen für das Jahr 2024 größtenteils nicht erfüllt haben, aber auch bei den konventionell angetriebenen Modellen ist eine Abkühlung zu verzeichnen“, sagt der stellvertretende Vorsitzende der Geschäftsführung, COO und Geschäftsbereichsleiter Coroplast Tape, Marcus Söhngen.
Ursachen seien „eine generelle Kaufzurückhaltung in einer von Krisen gezeichneten Welt und Unsicherheiten bei der Wahl des zukunftssicheren Antriebs, die zu einer Zurückstellung des Kaufvorhabens führen“, betont der COO. Zudem gebe es „eine wieder gestiegene Skepsis gegenüber dem Elektroauto, die sich aus relativ hohen Fahrzeugpreisen, der Sorge vor Wertverlust und einer als unzureichend empfundenen Ladeinfrastruktur in Kombination mit vergleichsweise geringen Reichweiten zusammensetzt“. Als Folge könne man die „operativen Umsatzziele in 2024 nicht erreichen“, bedauert er. Allerdings liege der Rückgang beim Absatz für die Coroplast Gruppe insgesamt „nur im niedrigen einstelligen Prozentbereich. Die Anpassungen bewegen sich bisher in einem Rahmen, in dem wir mit dem Produktionsbetrieb und den zu erwartenden Auslastungsschwankungen ohne tiefgreifende Maßnahmen atmen können.“
Coroplast habe sich überdies „nie als reiner Automobilzulieferer verstanden. Und bereits vor mehr als zehn Jahren haben wir uns verstärkt auf den Weg gemacht, neue Produkte in non-automotiven Anwendungsfeldern zu entwickeln und neue Kunden zu gewinnen“, erklärt Söhngen. Deshalb führe man derzeit auch ein größeres Investitionsprogramm in Produktionsgebäude und -anlagen durch. Dazu gehörten eine Hallenerweiterung der Klebebandfertigung in Wuppertal und eine neue Fabrik für Spezialklebebänder in Schönebeck (Elbe) in Sachsen-Anhalt.
Vier Punkte formuliert Söhngen mit Blick auf Politik und Wirtschaft: Zum einen müsse wieder eine „bejahende und keine verteufelnde Haltung dem Auto gegenüber“ eingenommen werden. Das sei auch deshalb notwendig, weil der Pkw „in seiner Transportleistung in Summe auf Jahrzehnte nicht durch den öffentlichen Verkehr ersetzt werden kann und für viele Menschen Alltagsbegleiter, Ermöglicher von Lebensmodellen und Kulturgut ist“. Wichtig sei auch, dass jedes Antriebskonzept, das heute mit einem Neufahrzeug erworben wird, „zukunftssicher sei und daher mit einer Kaufempfehlung versehen werden kann“. Erforderlich ist nach Ansicht von Söhngen eine „Revision des EU-Verbrennerverbots und echte Technologieoffenheit“ sowie der Ausbau der Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge.
Der Präsident der Bergischen Industrie- und Handelskammer (IHK), Henner Pasch, verweist als Ursache für die aktuelle Situation auf eine „völlig intransparente Förderkulisse des Bundes für E-Fahrzeuge und Ladestationen und eine skurrile Modellpolitik der Hersteller“. Zudem hätten es die großen deutschen Autohersteller „total versäumt, die Fahrzeuge digital aufzurüsten“. Hinzu komme, dass die E-Autos im Vergleich zu Verbrennern in Deutschland noch „an vielen Stellen zu teuer“ seien und der Autokäufer oder die Autokäuferin für unter 30.000 Euro kein familientaugliches Fahrzeug erhalte. Nach Ansicht von Pasch muss sich die Branche in dieser Frage auch ein Stück weit ehrlich machen: „Diese eklatanten Fehler kann die Autoindustrie nicht der Politik anlasten.“
Wobei auch auf politischer Seite viele Fehlentscheidungen zu konstatieren seien. So sei derzeit das Laden an Schnellladesäulen in Deutschland noch viel zu teuer und das Fahren mit einem Stromer über weitere Strecken zu unattraktiv. Nach Ansicht von Pasch müsste die Errichtung der Ladeinfrastruktur zentral erfolgen und die Versorgung mit Ladesäulen vor allem an den Autobahnraststätten ausgebaut werden. Für ihn sei es unverständlich, warum eine private Gesellschaft wie Tank & Rast eine Konzession von der Bundesregierung bekomme und nicht zugleich den Auftrag dafür erhalte, für eine angemessene Infrastruktur mit Ladesäulen zu sorgen. Notwendig sei auch ein einheitlicher E-Mobilitätspreis an den Ladesäulen der Autobahnraststätten, derzeit liege der Preis in Deutschland – anders etwa als in Skandinavien – noch viel zu hoch. Eine auch von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck vorgeschlagene Kaufprämie für E-Autos hält Pasch dagegen nicht für nötig.
Für die Zulieferer der Automobilindustrie sei die aktuelle Situation auch deshalb schwierig, weil sie von den Aufträgen der Autohersteller abhängig sind und ihr Geschäftsmodell vor allem über hohe Stückzahlen funktioniert, betonte der IHK-Präsident. Und mit der Umstellung auf E-Fahrzeuge werden weniger Teile für Motorblock, Vergaser, Betriebsstoffe, Abgasanlage und Tanks benötigt. Zulieferer, die sich weitgehend oder gar ausschließlich auf diese Teile spezialisiert haben, sehen ihr Geschäftsmodell in der Folge infrage gestellt.
Als „alarmierend“ nimmt auch Stephan A. Vogelskamp, Geschäftsführer des Branchenclusters Automotiveland NRW, die aktuelle Stimmung in der Branche wahr. Eine falsche Modellpolitik der deutschen Hersteller, ein Mangel an E-Fahrzeugen im unteren Preissegment, ein zu zögerliches Bekenntnis zur E-Mobilität und zu wenig Verständnis für die digitale Vernetzung der Fahrzeuge seien fundamentale Fehler der Autohersteller. Von politischer Seite sei überdies zu wenig gemacht worden, um den Ausbau der Ladestruktur voranzubringen. Zudem habe sich die Politik nie ernsthaft die Frage gestellt: „Wie soll ich die Bürger dazu motivieren, auf ein E-Auto umzusteigen?“
Die Folge: Die Nachfrage nach E-Fahrzeugen stagniert oder sinkt sogar. Angesichts steigender Strom- und fallender Benzinpreise wird das Fahren mit Stromern auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht unattraktiv. Dabei führt nach Vogelskamp kein Weg am Ausstieg aus dem Verbrenner und Umstieg auf die E-Mobilität vorbei. Das mache nicht nur das vom EU-Parlament beschlossene Verbot für Verbrenner-Pkw bei Neuwagen ab 2035 deutlich, sondern auch der Blick nach China oder auch Skandinavien, wo der Umstieg auf die E-Mobilität bereits vorgelebt werde. „Und kein Hersteller produziert nur für den deutschen Markt.“ Auch die Diskussion um sogenannte E-Fuels, also klimaneutral hergestellte Kraftstoffe, hält Vogelskamp nicht für zielführend. „Das ist ein Nischenthema!“
Vogelskamp wünscht sich von der Automobilbranche eine „vernünftige Modellpolitik“, eine bessere Effizienz in den Autofabriken und die Herstellung preisgünstigerer Batterien. Auf politischer Ebene warnt er vor Strafzöllen auf chinesische Fahrzeuge. Zudem müsse die Politik mehr dafür tun, eine flächendeckende Ladeinfrastruktur zu etablieren. Bei den Zulieferern sieht der Geschäftsführer die Notwendigkeit, verstärkt auf „intelligente Fertigung“ und Digitalisierung zu setzen. Zudem müssten die Unternehmen auch prüfen, ob sie gegebenenfalls auf „Substitutionsmärkte“ ausweichen können. So könnten sie etwa Fertigungsaufträge für die Unterhaltungselektronik, Verteidigung und Militär oder Luft- und Raumfahrttechnik übernehmen. Wie das klappen kann, darüber soll am 13. Dezember eine „Zukunftskonferenz“ informieren, die in Wuppertal unter dem Titel „Trends und Transformationspfade der NRW-Automotive-Industrie“ stattfindet. Zu der Veranstaltung wird auch NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur erwartet.
Text: Michael Bosse