Improvisation - musikalische Begegnung
Nach dem Tod des Free Jazz-Musikers Peter Kowald haben Freunde im früheren Studio seines Wohnhauses seinen „Ort“ wiederbelebt. Dort finden seit 20 Jahren Konzerte, Sessions, Ausstellungen und Gespräche statt.
Von außen sieht man dem Haus nicht an, dass sich darin ein hochkarätiger Kulturort befindet. Das Mehrfamilienhaus an der Wuppertaler Luisenstraße 116 wirkt unauffällig. Besonders wird der „Ort“ erst durch die Begegnungen, die dort stattfinden. Denn das war das Konzept seines Erschaffers, des Kontrabassisten und Free Jazzers Peter Kowald: Künstler aus der ganzen Welt nach Wuppertal holen, gemeinsam musizieren, reden, Visionen entwickeln. Nach seinem plötzlichen Tod 2002 gründeten Freunde den Verein „Peter Kowald Gesellschaft“ und nutzen seitdem das frühere Studio von Peter Kowald als Ort für Konzerte, Ausstellungen, Experimente und Gespräche, so wie er es selbst noch geplant hatte. Den „Ort“ hatte Peter Kowald 1994 etabliert, als der Weltenbummler bei „365 Tage am Ort“ ein Jahr lang die Stadt nicht verließ und stattdessen Musiker aus aller Welt nach Wuppertal einlud.
In den allermeisten Fällen wird dort improvisiert. „Wir bieten hier ein einmaliges Erlebnis, etwas, das nicht wiederholbar ist. Das bringt eine große Intensität des Erlebens mit“, betonen Gunda Gottschalk und Anne-Kathrin Reif aus dem zehnköpfigen Organisationsteam. Auch der Raum wirkt improvisiert, mit frischer Kunst an rauen Wänden, einer Theke in der einen Ecke und einem Flügel in der anderen. Höchstens 75 Leute passen hinein. „Dadurch entsteht eine große Nähe zu den Musikern“, sagt Anne-Kathrin Reif. Das schätzen sowohl die Musiker, die gerne hier auftreten, als auch das Publikum. Viele bleiben nach dem Konzert, trinken gemeinsam mit den Musikern etwas, tauschen sich aus.
Fast jedes Jahr wurde der Ort seit 2010 durch den Landesmusikrat NRW und die Staatskanzlei NRW mit dem Spielstättenprogrammpreis für Jazz und improvisierte Musik ausgezeichnet. Auch den Bundesspielstättenpreis Applaus erhielt der Ort mehrfach, so auch 2024. Die Gelder sind wichtig für das Überleben des Vereins. Jedes Jahr bangt er wieder, ob der Etat reicht, um weiter die Miete zu begleichen und das Programm fortzuführen. „Zu unseren Grundsätzen zählt, dass wir den Künstlern eine Gage bezahlen“, erklärt Gunda Gottschalk. Einen Artist in Residence, der einen Monat lang im Ort experimentiert und neue Ideen testet, gibt es seit der Corona-Pandemie aus finanziellen Gründen zum allgemeinen Bedauern nicht mehr. Gerettet wurde der Ort in der Vergangenheit schon mehrfach durch Künstler, die ihre Werke zugunsten des Ort verkauften.
Die vier Kuratoren des Ort sind alle international erfolgreiche und bestens vernetzte Künstler. So können sie Musiker oder Tänzer aus der ganzen Welt nach Wuppertal holen, von deren Qualität sie überzeugt sind. Dabei wird gezielt darauf geachtet, zu etwa gleichen Teilen Frauen eine Bühne zu bieten.
Seit 2010 funktioniert das auch über Wuppertal hinaus: Mit den Soundtrips NRW in Kooperation mit dem Kultursekretariat improvisieren Künstlerinnen und Künstler aus Europa, Japan und den USA in 15 Städten in NRW. Dabei werden den internationalen Gästen Ensembles aus NRW zur Seite gestellt. Die gezielte Begegnung im Ort gilt nicht nur den Kulturen und Ländern, sondern auch verschiedenen Generationen und Musikstilen. Erfreut stellt das Team fest, dass aus dem kleinen Kreis bekannter Besucher inzwischen ein bunt gemischtes Publikum geworden ist. „Es ist wertvoll, im kulturellen Sinne zusammenzukommen und sich auch einmal neuen Dingen auszusetzen“, betont Gunda Gottschalk. Der Verein möchte neue Erfahrungen ermöglichen und den Horizont erweitern. So kommen inzwischen junge Musizierende aus ganz NRW zu den Sessions, die alle zwei Monate ohne Publikum stattfinden. Und immer mehr Wuppertaler finden den unauffälligen Veranstaltungsort mit dem spannenden Programm.
Text: Tanja Heil