Dreherei - Erfolgreich in der Nische
Anja Müller führt die Erich u. Paul Kamp Fassondreherei und Maschinenbau GmbH & Co. KG, die sich auf Einzelteile und Kleinstserien spezialisiert hat.
Anja Müller hat eine Weile überlegt, ob sie selbst noch das CNC-Programmieren lernen soll. Schließlich verwarf sie den Gedanken. „Ich habe fähige Mitarbeiter, die das Programmieren und alles Technische perfekt beherrschen.“ Vor rund vier Jahren übernahm Anja Müller die Erich u. Paul Kamp Fassondreherei und Maschinenbau GmbH & Co. KG, die ihr Mann jahrzehntelang geführt hatte. Paul-Werner Müller, ein gelernter Dreher und Maschinenbaumeister, war nach längerer schwerer Krankheit gestorben. „Bis zu seinem letzten Tag stand er noch an der Drehbank“, erzählt Anja Müller.
Und er nutzte die Zeit, die ihm noch blieb, um seiner Frau alles Nötige für die Fortführung des Traditionsbetriebs in Solingen beizubringen. Sie hatte zwar schon vorher „das Büro gemacht“, aber vom Drehen und Fräsen habe sie keine Ahnung gehabt. „Die wichtigste Grundlage für diese Aufgabe habe ich allerdings mitgebracht: Ich bin es seit dem Abitur gewohnt, selbstständig zu arbeiten.“ Gleich nach der Schule habe sie ihre erste Firma gegründet. „Autodidaktisch“ sei sie durchs Leben gegangen. „Meine Leidenschaft war der Vertrieb. Kalkulieren und verhandeln kann ich also.“
Auch beim Tod ihres Mannes führte sie ein eigenes Unternehmen. „Das habe ich aber dann zugunsten der Dreherei aufgegeben. Beide Unternehmen parallel war dauerhaft einfach nicht machbar.“ Bereut habe sie die Entscheidung nie. „Es macht mir großen Spaß. Besonders gefällt mir in dieser Branche, dass sich alles exakt berechnen und auch nachmessen lässt.“ Allerdings könnte die Frauenquote ihrer Ansicht nach höher sein. „Es sind leider nach wie vor nicht viele Frauen in der Branche unterwegs.“
Nun steht die geschäftsführende Gesellschafterin für die dritte Familiengeneration bei Kamp. Nach den Brüdern Erich und Paul übernahm deren Verwandter Werner Müller das Ruder. Dann folgte dessen Sohn Paul-Werner Müller. Gegründet wurde der Betrieb 1938. „Wir hatten im vergangenen Jahr 85-Jähriges. Das haben wir allerdings völlig verschwitzt“, so Anja Müller. „Das 90-Jährige werden wir aber feiern, versprochen!“ Der Betrieb befindet sich nach wie vor an der Bonner Straße. Es gibt ein Büro und drei Hallen: Eine dient als Lager, in den anderen stehen die Maschinen. „Wir verfügen über fünf moderne CNC-Anlagen zum Drehen und Fräsen. Hinzu kommen konventionelle Maschinen, die zwar schon viele Jahre auf dem Buckel haben, aber tadellos funktionieren.“ Auch sonst sei manches noch „old school“, wie die Geschäftsführerin es lächelnd formuliert. Eine Internetseite sucht man vergebens. Der Kontakt zu Kunden und Lieferanten läuft über E-Mail, Telefon und Fax. „Das klappt wunderbar.“
Das Team besteht neben Anja Müller aus drei gelernten Drehern. Sie stellen vor allem Einzelteile und Kleinstserien her. Während des Interviews öffnet die Unternehmerin den aktuellen Auftragsordner und zählt verschiedene Positionen auf: „Drei Teile, zwei Teile, zehn Teile“. Das seien die üblichen Mengen. „Damit besetzen wir erfolgreich eine Nische. Viele Betriebe fangen erst bei Stückzahl 500 aufwärts an.“ Zu den Stammkunden gehören große Konzerne, vor allem im Logistikbereich. Die Solinger liefern zum Beispiel Ersatzzeile für Kräne, Rolltreppen und Regalbediengeräte, wie auch kleinere Ersatzteile für Produktionsmaschinen. Das Ersatzteilgeschäft macht etwa 95 Prozent des Umsatzes aus – im „Ernstfall“ sei man in der Lage, Teile innerhalb von ein bis zwei Werktagen zu fertigen. Die Nachfrage sei nach wie vor gut.
In der nächsten Zeit will sich die Firmeninhaberin intensiv um die eigene Nachfolge kümmern. Aus ihrer Familie steht niemand bereit und das gesamte Kamp-Team ist im Schnitt Mitte 50. „Ideal wäre es, wenn wir einen Auszubildenden finden würden, der sich nach einigen Jahren auch die Geschäftsführung zutrauen würde.“ Aber auch ein studierter Maschinenbauer mit Lust am Drehen und Fräsen sei vorstellbar.
Anja Müller plant, noch mehrere Jahre das Unternehmen zu führen. Die Solingerin wohnt nur wenige Gehminuten vom Betrieb entfernt. „In einem Haus, das schon von den Gründern bewohnt wurde.“ Der morgendliche Spaziergang zur Arbeit sei für sie ein festes Ritual. „Wenn ich dann im Büro ankommen, bin ich wach und bereit für den Tag.“
Text: Daniel Boss