Wirtschaftspolitik - Arbeit erleichtern

Was wünschen sich bergische Unternehmer von einer neuen Bundesregierung? Wir haben verschiedene Branchenvertreter gefragt. Im Fokus stehen Bürokratie, Energiekosten und Arbeitsbedingungen.

Viele Unternehmen im Bergischen Städte­dreieck stehen unter großem Druck. Ein beträchtlicher Teil von ihnen schätzt die Aussichten mittel- und langfristig als wenig rosig ein. Mit dem Wechsel der Bundesregierung gibt es jetzt eine neue Chance, die Rahmenbedingungen für den Wirtschaftsstandort Deutschland zu verbessern. Einig sind sich die Unternehmensvertreter über alle Branchen hinweg, dass die größten Probleme die hohen Energiekosten, zu viel Bürokratie und die geringe Bereitschaft zu Arbeit sind.

„In Deutschland sind die Arbeitskosten sehr hoch: Wir zahlen gute Löhne, aber die Arbeit ist nicht mehr nur gut. Wir haben hohe Ausfälle und viele Menschen haben keine positive Einstellung mehr gegenüber ihrem Arbeitsplatz“, bemängelt Peter Cöllen, Geschäftsführender Gesellschafter eines Bergischen Autozulieferers und Vorsitzender des IHK-Industrieausschusses. Durch Werke unter anderem in China und Mexiko hat er den direkten Vergleich. Dort würden die Menschen durchschnittlich mehr schaffen in ihrer Arbeitszeit. Deshalb fordert Cöllen von der Politik, den Kündigungsschutz zu lockern. Es müsse möglich sein, Arbeitnehmer, die ihre Arbeit nicht adäquat erledigen, auch wieder loszuwerden. Außerdem sollten seiner Ansicht nach Politiker auch akzeptieren, dass Werke geschlossen werden müssen. „Es geht einfach nicht, dass jeder betriebswirtschaftlich unsinnige Arbeitsplatz, etwa bei Überkapazität, erhalten wird. Wir brauchen mehr Bereitschaft zur Veränderung!“ In den Schulen müssten MINT-Fächer intensiver unterrichtet werden, um die Schülerinnen und Schüler stärker für Technologie und Innovationen zu interessieren. Nur so gelinge der Kampf gegen den Fachkräftemangel.

Die hohen Energiepreise treffen nicht nur Industrien mit einem hohen Energieverbrauch, sondern auch alle, die Aluminium, Stahl und synthetische Materialien wie Kunststoffe verarbeiten, sagt Peter Cöllen: „Hier liegen die Materialkosten in Deutschland um zehn bis zwanzig Prozent höher als in asiatischen und amerikanischen Märkten.“ Niedrigere Energie- und Rohstoffpreise seien deshalb entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Produkte. Gerade gegenüber China sei Deutschland weder preislich konkurrenzfähig noch schnell genug in der Modernisierung des Angebots.

Für die geringe Bereitschaft der Menschen, Vollzeit zu arbeiten, sieht Steuerexperte Peter Krämer von der WPK Beratung noch einen weiteren Punkt: Normal- und Gutverdiener müssen bei einer Arbeitszeiterhöhung rund die Hälfte des zusätzlichen Verdiensts als Steuer und Sozialversicherung abgeben. Das führe dazu, dass viele sich lieber privat etwas beschränken und weniger arbeiten, oder dass sie einen Teilzeitjob mit einem Minijob kombinieren. „Dadurch verlieren wir unglaublich viel Arbeitskapazität“, bemängelt Peter Krämer. Deshalb empfiehlt er der neuen Bundesregierung, die Steuern und Abgaben auf Arbeitseinkommen zu senken und stattdessen eher die Umsatzsteuer zu erhöhen.

Ein weiteres Problem sieht Peter Krämer darin, dass die Sozialversicherungsbeiträge nicht auf tatsächlich gezahltes Arbeitseinkommen anfallen, sondern auf den Betrag, der den Arbeitnehmern nach Ansicht der Rentenversicherung zusteht. Arbeitet jemand beispielsweise regelmäßig nachts, so bekommt er sozialversicherungs­freie Nachtzuschläge. Während Urlaub oder Krankheit erhält er diese Nachtzuschläge aber nicht. Trotzdem erhebe die Rentenversicherung Arbeitgeberbeiträge von 40 Prozent auf diese nicht gezahlten Zuschläge, warnt Peter Krämer: „Das sind bei drei oder vier Prüfungsjahren schnell viele Tausend Euro Nachzahlung für das Unternehmen. Diese Regelung versteht niemand, damit greift die Rentenversicherung in den betrieblichen Rechtsfrieden ein.“

Ähnlich problematisch sei die Besteuerung bei der Unternehmensnachfolge. Verschenkt eine Unternehmerin ihr Unternehmen an einen langjährigen Mitarbeiter oder an eine Nichte, so gebe es jede Menge Ausnahmen und Sonderregeln bei der Schenkungsteuer. „Fachleute brauchen Tage dafür, um das auszurechnen“, sagt Krämer. Besonders schwierig seien jedoch die verbleibenden Unsicherheiten. Einige Regeln greifen nur, wenn das Unternehmen fünf Jahre bestehen bleibt. Funktioniert das nicht – etwa wegen Krankheit oder einer unvorhersehbaren Änderung der Marktlage – müssen oft Hunderttausende Euro an Steuern nachbezahlt werden. Das schreckt potenzielle und dringend benötigte Unternehmensnachfolger ab.

Insgesamt sieht Peter Krämer kritisch, dass Unternehmen in Deutschland mit Körperschaft- und Gewerbesteuer rund fünf bis acht Prozent mehr Steuern auf ihre Ergebnisse zahlen als in den meisten europäischen Ländern. „Wir verlieren dadurch Arbeitsplätze ins europäische Ausland“, beobachtet der Steuerfachmann.

Jan Peter Coblenz, Geschäftsführer der Brangs + Heinrich GmbH, vertritt den Großhandel und fordert dringend eine Reduzierung der Berichtspflichten. „Diese belasten und überfordern den Mittelstand sehr“, warnt Coblenz. Weniger vorgeschriebene Berichte sieht er als direktes Konjunkturprogramm. Auch die Innovationsbereitschaft der Unternehmen würde dadurch erhöht. Außerdem spricht sich Jan Peter Coblenz gegen die Subventionierung einzelner Unternehmen oder Branchen aus und empfiehlt stattdessen, alle Unternehmen gleichmäßig zu entlasten und ihnen auch mehr Verantwortung zurückzugeben. „Die Unternehmer sollen selbst entscheiden, wie sie agieren. Es bringt nichts, wenn ich einen Markt aufbaue, der ohne Subventionen nicht existiert.“

International befürwortet Coblenz Freihandelsabkommen: „Wir leben vom Freihandel und einfachen Strukturen. Den Wettbewerb stärke ich nicht, indem ich Zölle erhebe.“ Auf regionaler Ebene betont der Unternehmer, wie wichtig eine attraktive Stadt ist, um gute Arbeitnehmer zu gewinnen. Dafür sei jedoch eine faire Finanzierung der Kommunen nötig.

Eine Neuaufteilung der Zuständigkeiten zwischen Bund, Ländern und Kommunen fordert Jörg Heynkes, Vorsitzender des IHK-Ausschusses für Digitale Wirtschaft. „Wir brauchen eine umfassende Staats­reform. Es kann doch nicht sein, dass wir 16 verschiedene Baugesetzverordnungen, 16 Eichgesetze und 16 Datenschutzverordnungen – plus noch die des Bundes – in Deutschland haben. Wir müssen vieles europäisch denken und schaffen es noch nicht einmal, dass bundesweit einheitliche Regeln gelten.“ Der Bund müsse in vielen Bereichen einheitliche Standards festlegen. Die Länder müssten sich auf das fokussieren, was unbedingt dezentral entschieden werden muss. „Nur so können wir die notwendige Innovationsfähigkeit, Flexibilität und Agilität entwickeln und unsere Chancen im globalen Wettbewerb entscheidend stärken. Seit Beginn der Digitalisierung fallen wir immer weiter zurück. Wir sind in allem zu langsam, auch weil wir durch den heutigen Föderalismus so überbürokratisiert sind“, ärgert sich Jörg Heynkes.

Für entscheidend hält Jörg Heynkes auch, dass der begonnene Umbau der Energiewirtschaft fortgesetzt wird. „Es ist zuletzt viel passiert beim Ausbau der Stromnetze und beim Ausbau der Erneuerbaren Energien. Jetzt müssen die Pläne für den Bau des Wasserstoffnetzes, der Elektrolyseure und der Gas-Ersatzkraftwerke für die Dunkelflauten umgesetzt werden. Das müssen wir beschleunigen, dann wird die Energiewende komplett.“ Dafür sei es sinn­voll, den Netzausbau über einen langen Zeitraum zu finanzieren – etwa über 30 bis 40 Jahre. Schließlich sei auch die Nutzungsdauer langfristig angelegt. Und durch so eine langfristige Finanzierung könnten die Netzentgelte sowie die Stromsteuer sinken und damit die Stromkosten für alle reduziert werden.

Außenhandels-Ausschuss-Vorsitzender Curt Mertens sieht im Ausland nach wie vor eine große Wertschätzung für deutsche Produkte – und trotzdem, so seine Erfahrung, kaufen die Kunden im europäischen und internationalen Ausland häufig eher Produkte aus anderen Ländern, weil diese günstiger, unkomplizierter und damit wirtschaftlicher sind. „Bürokratische Vorschriften der Produktspezifikation bis hin zur Dokumentation erschweren den Export aus Deutschland deutlich mehr als in den Ländern unserer Wettbewerber“, sagt Mertens. Die Regulation bis ins kleinste Detail stelle besonders KMU vor oft schwer lösbare Herausforderungen. Vereinfachung und Übergangsfristen wären deshalb wünschenswert. „Da könnte Digitalisierung eine Verbesserung bringen –besonders bei den Behörden“, hofft Mertens. Wichtig für den deutschen Mittelstand seitens der Politik seien intensive Anstrengungen in allen Wirtschaftsbereichen für eine langfristige Planungssicherheit.

Angesichts der Verkaufsplattformen für Konsumgüter aus China, die sich auch in Deutschland großer Beliebtheit erfreuen, fordert Mertens mehr Fairness im internationalen Wettbewerb. Schließlich sei es wenig sinnvoll, wenn deutsche Produzenten Lieferketten kontrollieren, die Deutschen dann aber Billigware ohne jede Kontrolle aus China kaufen. Auch um solche Probleme zu vermeiden, wünscht er sich einen besseren laufenden Austausch zwischen Politik und Wirtschaft. Außerdem sei mehr gemeinschaftliches Denken, Handeln und Umsetzen in der EU nötig. Um dem Fachkräftemangel zu begegnen, schlägt Mertens Ausbildungskooperationen auch über die Grenzen der Bundesländer hinweg vor. „Denn Bildung ist der Schlüssel zu Innovation, Wettbewerbsfähigkeit und sozialem Fortschritt. Nur durch gut ausgebildete Fachkräfte kann eine Nation langfristig Wohlstand sichern und im globalen Wettbewerb bestehen.“

Text: Tanja Heil

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