Gegen den Trend - Investitionen in der Krise
Hinter der Wirtschaft liegen harte Jahre – und Unsicherheit bestimmt den Blick in die Zukunft. Zugleich haben Unternehmen aus dem Bergischen gerade jetzt im großen Stil investiert.
Hochbau, Tiefbau, Innenausbau – es gab schon bessere Zeiten für Projekte dieser Art, vorsichtig formuliert. Umso erstaunlicher ist es – zumindest auf den ersten Blick – wenn ein Baustoffhandel gerade jetzt viel Geld in die Hand nimmt. So geschehen bei der Staba-Schermuly GmbH & Co. KG. Die Solinger haben im vergangenen Jahr etwa 180.000 Euro in eine neue Betonanlage investiert. „Wir befinden uns in einer schwierigen Phase. Hohe Energiepreise, Fachkräftemangel und die schwache Nachfrage belasten Industrie und Mittelstand“, sagt auch Andreas Claaßen. Doch der Geschäftsführer liefert gleich darauf eine einleuchtende Erklärung für die Investition: „Dank unserer neuen Betonanlage können wir unser Serviceangebot weiter ausbauen. Unsere Kunden profitieren davon, dass sie ihren Beton nicht mehr in einem externen Betonwerk abholen müssen – stattdessen erhalten sie alles direkt bei uns vor Ort, schnell und unkompliziert für ihre Baustellen.“
Durch diese Investition steigere das Unternehmen Umsatz am Standort, sodass sich die Anschaffung wirtschaftlich schnell amortisiere. Zumal man bei Staba-Schermuly auf bessere Zeiten hofft: „Trotz eines spürbaren Umsatzrückgangs im Jahr 2024 blicken wir optimistisch in die Zukunft. Wir gehen davon aus, dass der Tiefpunkt erreicht ist und streben für 2025 eine leichte Umsatzsteigerung an. Durch gezielte Investitionen, Prozessoptimierungen und eine stärkere Kundenorientierung wollen wir uns stabilisieren und wieder Wachstum generieren“, so Claaßen. Positiv bewertet er die fallenden Zinsen, „die hoffentlich wieder zu mehr Investitionen und Wachstum führen“.
Insgesamt allerdings steckt der Wirtschaft das vergangene Jahr in den Knochen. Fast die Hälfte der Unternehmen musste Umsatz- und Ertragseinbußen gegenüber dem Vorjahr verkraften, wie der IHK-Konjunkturbericht zum Jahresbeginn 2025 feststellt. Und ein allgemeiner Trend der Besserung war zunächst nicht erkennbar: Die Umfrageteilnehmer bewerteten ihre Geschäftslage ähnlich wie im Herbst 2024: 18 Prozent bezeichnen ihre Lage als gut, 47 Prozent als befriedigend und 35 Prozent als schlecht. Doch während einerseits Warnungen vor Deindustrialisierung nicht leiser werden, geben einige Firmen viel Geld aus für Erweiterungen, Maschinen und Transformation.
Prominentes Beispiel ist der Remscheider Heiztechnikspezialist Vaillant: An seinem Stammsitz hat er kürzlich eine neue Fabrik zur Herstellung von Elektronikkomponenten in Betrieb genommen. Aus dieser Fabrik werden weltweit alle Standorte der Vaillant Group mit Elektronikbaugruppen beliefert, die für Regelung und Steuerung moderner Wärmepumpensysteme und Gasheizgeräte notwendig sind. „Der Ausbau der Elektronikfertigung ist Teil unserer langfristigen Unternehmensstrategie. Unser Ziel ist, als Weltmarktführer bei Gasheizgeräten auch eine führende Position im europäischen Wärmepumpenmarkt einzunehmen. Investitionen in den Ausbau des Produktionsnetzwerks und der Wärmepumpenentwicklung beschleunigen die laufende Transformation der Vaillant Group“, sagte CEO Dr. Norbert Schiedeck laut Pressemittelung.
Ein weiteres Beispiel aus Remscheid ist die Karl Diederichs GmbH & Co. KG (Dirostahl). Der Schmiedespezialist ist besonders von den hohen Energiepreisen betroffen. „Die Metallerzeugung und Metallverarbeitung in Deutschland leidet massiv unter den im internationalen Vergleich sehr hohen Energiekosten für Strom und Erdgas“, sagt Geschäftsführer Markus Lüke. Und nicht nur das: „Der Maschinenbau als einer unserer Hauptabnehmerbereiche ist geprägt von deutlicher Investitionszurückhaltung und entsprechend schwacher Nachfrage. Die Energiewende – und damit verbunden unser wichtiger Kundenbereich des Windkraftgetriebebaus – schwächelt ebenfalls massiv, einerseits durch schleppende Genehmigungsverfahren in Deutschland und Europa und andererseits durch massive Konkurrenz aus den asiatischen Ländern.
Gleichwohl wurden zuletzt Millionen in den Standort investiert. „Die Investitionen bei Dirostahl betrafen zuletzt vor allem zwei Themen – die Modernisierung und der Ausbau der mechanischen Bearbeitung sowie die weitere Verbesserung der Energieeffizienz in energieintensiven Fertigungsbereichen“, berichtet Lüke. Die mechanische Bearbeitung gewinne immer weiter an Bedeutung, da Kunden Fertigungsschritte outsourcen. „Somit ist es für uns entscheidend, dass wir zusätzliche Bearbeitungsschritte mit einer höheren Fertigungstiefe anbieten können. Zudem weisen die modernen Maschinen eine höhere Produktivität und Effizienz auf, so dass wir wettbewerbsfähiger anbieten können.“
Vor allem die Produktionsschritte der sogenannten Warmumformung sind aufgrund der notwendigen Prozesstemperatur von 1.200 Grad Celcius sehr energieintensiv. „Aufgrund der bereits jetzt sehr hohen Energiekosten im internationalen Wettbewerb ist es nötig, ständig den Energieverbrauch zu überwachen und effizientere Techniken einzusetzen“, sagt Geschäftsführer und IHK-Vizepräsident Dr. Roman Diederichs. Dies werde mit weiter steigenden Energiekosten insbesondere für Erdgas und Energienebenkosten immer wichtiger – „da internationale Wettbewerber nicht mit diesen Kosten belastet werden“.
Wichtig wären daher geringere Produktionskosten am Standort Deutschland. Diederichs: „Die Energiekosten müssten sinken, sowohl für Strom als auch für Erdgas. Dazu wären bei Strom deutlich reduzierte Netzentgelte, eine Stromsteuer auf dem EU-Minimum und eine sichere Versorgung durch günstige und grundlastfähige Erzeugungskapazitäten entscheidend.“ Und bei Erdgas, das politisch noch kürzlich als „notwendige Brückentechnologie“ betrachtet wurde, wäre seiner Meinung nach ein Aussetzen der Steigerungen von CO2-Kosten für die Industrie nötig, „solange keine wettbewerbsfähige Alternative als grüner Energieträger in ausreichender Menge zur Verfügung steht“.
Für ein investitionsfreudigeres Klima brauche es nach Ansicht der Dirostahl-Leitung zudem ein Ende der „überbordenden Bürokratie in der EU und in Deutschland“. Ähnlich sieht das der Wuppertaler Unternehmer Dr. Andreas Groß, ebenfalls IHK-Vizepräsident. Der Geschäftsführer der Berger Gruppe schlägt unter anderem vor, neue Bestimmungen und Gesetze nur noch an zwei Terminen im Jahr zu verabschieden und keine neuen Gesetze auf den Weg zu bringen, ohne gleichzeitig andere, unnötige abzuschaffen. Überhaupt müssten jetzt „mutige und kluge Entscheidungen für unsere industrielle und gesellschaftliche Entwicklung getroffen werden“.
Denn Deutschland befindet sich laut Groß bereits seit Jahren in einem stark veränderten industriellen Umfeld, das durch die überproportional starke wirtschaftliche Entwicklung in Ostasien nachhaltig neu definiert werde. „Erkennbar wird diese Entwicklung plakativ in der Automobil-Industrie, allerdings auch immer stärker in den Bereichen Maschinenbau – mit dem damit verbundenen Komponentenbau – und insbesondere der Robotik.“ So würden immer leistungsfähigere und gleichzeitig deutlich preiswertere Automobile, Maschinen, Anlagen und Komponenten insbesondere aus China angeboten.
Dem harten Wettbewerb zum Trotz befindet sich die Berger-Gruppe seit etwa 20 Jahren kontinuierlich auf einem Wachstumskurs, der sich unter anderem in vier baulichen Erweiterungen widerspiegelt. Zuletzt entstand in Wuppertal eine weitere Montagehalle mit zusätzlichen Büroräumen und Entwicklungscenter. „So können wir unsere Produktionskapazität verstetigen“, sagt Groß. Für die Gießerei- und Schmiede-Industrie wurden zudem in den vergangenen Jahren neue Verfahren und Kompetenzen entwickelt und der Markteintritt erreicht. „Insgesamt wurden Automation und Robotik immer wichtiger und haben den strategischen Vorteil der Firma gegenüber Marktbegleitern definiert.“ Sowohl neue Prozesse mit einem hohen Grad an Automation als auch zusätzliche Prozesse mit Roboter-Einsatz konnten mit einem hohen Innovationstempo umgesetzt werden. „Wir glauben daher an eine weitere positive Entwicklung unseres Unternehmens.“
Eine große Herausforderung beim Wachstum gegen den Trend liegt in der Finanzierung. „Die Zinswende hat viele Finanzierungen verteuert, insbesondere für größere Investitions- und Expansionsprojekte. Einige Unternehmen warten vor diesem Hintergrund eher ab in der Hoffnung, mittelfristig wieder mit einem günstigeren Zinsniveau planen zu können“, sagt Holger Iborg, stellvertretendes Vorstandsmitglied der Stadtsparkasse Wuppertal. Hier könnten beispielsweise Fördermittel – zumindest bei ausgewählten Investitionen – „eine Brücke bauen“. Hinzu kommen regulatorische Anforderungen: Banken sind dazu angehalten, eine umfangreichere Informationsbasis zu schaffen, unter anderem in Bezug auf Nachhaltigkeitskriterien (ESG) sowie das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. „In der Konsequenz reichert dies den Finanzierungsprozess mit zusätzlichen Inhalten an und macht ihn komplexer“, so Iborg. Und das hemme Kreditenscheidungen auf Kundenseite.
Unternehmen, die trotz der aktuellen Unsicherheiten investieren wollen oder müssen, sollten frühzeitig das Gespräch mit Banken, Steuerberatern, Wirtschaftsprüfern, der Wirtschaftsförderung und der IHK suchen, rät Iborg. „Diese Institutionen können dabei helfen, Risiken zu minimieren und passende Finanzierungsmodelle zu finden.“ Als Beispiele für alternative Finanzierungsformen nennt er unter anderem Beteiligungsmodelle mit externen Investoren oder Beteiligungsgesellschaften, das Leasen von Investitionsgütern und das Factoring, also den Verkauf von Forderungen zur kurzfristigen Liquiditätssteigerung. Keinesfalls sollten Unternehmen das Thema Nachhaltigkeit außer Acht lassen, wenn sie Geld in die Hand nehmen: „Da ESG-Kriterien zunehmend an Bedeutung gewinnen, sollte man frühzeitig prüfen, wie sich Nachhaltigkeitsaspekte in die Investitionen integrieren lassen, um so die Finanzierungsvorgänge zukunftsfähig zu gestalten.“
Nachhaltigkeit war auch ein Aspekt beim Bau des neuen Verwaltungsgebäudes der Evertz Group in den vergangenen Monaten. Das Gebäude entspricht mit Photovoltaik-Anlage und einer Luft-Wärmepumpe dem Standard KfW 55. „Für uns ist es das Ziel, dass wir Effizienz auf allen Ebenen schaffen – und dazu gehören die Themen Energie und Ressourcen“, sagt Jil Evertz als Vertreterin der dritten Generation bei dem Solinger Unternehmen, das auf die Weiterverarbeitung von Halbzeug spezialisiert ist. „Wir möchten mit dem neuen Gebäude mehr Modernität und Offenheit in den Arbeitsalltag bringen. Ebenfalls soll es eine Perspektive bieten und eine Basis schaffen für eine neue Generation unseres Familienunternehmens.“
Die neue Verwaltung hat drei Etagen und zirka 1.200 Quadratmeter Bruttogeschossfläche. Umgezogen ist die rund 30-köpfige Belegschaft, die zuvor am Rand der Innenstadt gearbeitet hatte. „Die Größenstruktur des alten Gebäudes, das in Zeiten vor der Digitalisierung mit mehr als 60 Mitarbeitern besetzt war, hat nicht mehr gepasst.“ Es sei einfach an der Zeit gewesen, etwas zu ändern. „Insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Markt sich schnell verändert und wir sowohl für Kunden, Partner und auch Mitarbeiter als Unternehmen interessant bleiben möchten.“ Das Unternehmen habe eine Verkaufsoption für das alte Verwaltungsgebäude erhalten und diese auch genutzt. Für Jil Evertz hatte diese Entscheidung also weniger mit einer bewussten Investition trotz Krise zu tun, sondern vielmehr mit einer logischen Weiterentwicklung. „Natürlich möchten wir mit dem Neubau auch ein Zeichen setzen für den deutschen Mittelstand, der so wichtig ist für unsere Gesamtwirtschaft.“
Die Fähigkeit, sich den vielfältigen Herausforderungen anzupassen, werde letztlich entscheidend für die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens sein – „ebenso wie die Ausrichtung auf eine nachhaltige Wirtschaft“, betont Jil Evertz. Sie sieht darin auch riesige Chancen: „Neue Technologien und Produktionsmethoden können unseren Arbeitsalltag optimieren und sich gleichzeitig ressourcenschonend auswirken.“
Text: Daniel Boss