Werkzeug - Rekordverdächtig

Gedore in Remscheid stellt Werkzeuge her. Für den Profibedarf und in sehr großen Größen. Unter anderem werden Schraubenschlüssel für den Einsatz auf Bohrinseln produziert. Die wiegen über 80 Kilogramm. Das Portfolio ist breit und umfasst 16.000 verschiedene Produkte.

Der größte Fallhammer am Produktionsstandort an der Lange Straße in Remscheid hat ein eigenes Fundament und wiegt über 200 Tonnen. Der Schabotte genannte Amboss geht vier Meter in die Tiefe und ist vom restlichen Fundament der Werkshalle von Gedore entkoppelt. Sonst würde die ganze Umgebung die Schläge spüren. Wenn der Hammer der Gesenkschmiede – Bär genannt – von oben auf den glühend heißen Stahl kracht, tut er das mit einer Energie von 125 Kilo­joule. Das entspricht der Energie eines Gewichtes mit 12,5 Tonnen, das aus einem Meter Höhe herabfällt. Der Bär sei einer der schwersten in NRW, sagt Werksleiter Daniel Lammich. Er führt die Bergische Wirtschaft heute im ersten Teil des Rundgangs durch die Schmiede des Traditionsherstellers – bevor es im zweiten Teil weiter zum wenige Kilometer entfernten Hauptstandort geht.

Gedore ist ein Remscheider Werkzeughersteller von Weltrang. Die Firma hat Produktionsstandorte in Deutschland – allein zwei in Remscheid –, Österreich, Brasilien und Südafrika und Vertriebsorganisationen in vielen weiteren Ländern. Gegründet wurde das Unternehmen 1919. Der Name Gedore setzt sich aus den ersten Buchstaben der Wörter Gebrüder Dowidat Remscheid zusammen. Bis heute ist das Unternehmen in Familienhand und der Stadt Remscheid treu.

Das Hauptwerk sitzt in Lüttringhausen, die ausgelagerte Schmiede an der Lange Straße im Alt-Remscheider Vieringhausen. Dort werden die Schmiederohlinge hergestellt für die Werkzeuge der Marke Gedore – etwa Maulschlüssel, Ringschlüssel, Zangen –, oder für Äxte der Marke Ochsenkopf und vieles mehr. Lammich führt mit offensichtlicher Begeisterung durch die Halle. Er ist Werksleiter der Schmiede, aber schon seit vielen Jahren in anderen Positionen bei Gedore, erzählt er. „Ich bin mit dem Stahlgeruch groß geworden“ – Ausbildung, Weiterbildung, Studium. „Für mich ist auch viel Hobby dabei“, sagt er. Beruf und Berufung – dabei ist das Arbeitsumfeld rau.

Es ist laut und heiß, die Arbeit hart und anstrengend – mehrere Öfen laufen in der Halle, grünliche und rote Flammen lodern, erhitzen den Stahl auf 1.280 Grad, bevor die heißen Stahlteile von Mitarbeitenden im Team in die Gesenke gelegt werden und die Fallhämmer auf sie krachen. In der Halle gibt es mehrere in verschiedenen Größen – nicht alle im Superlativ, aber alle mit beeindruckender Kraft. Jeder Mitarbeiter hat eine Aufgabe – bei den Temperaturen und der Kraft der Fallhämmer sind Abstimmung, Präzision und Konzentration gefragt. Für jedes Werkzeug gibt es ein anderes Gesenk, eine andere Form, in die der heiße Stahl gelegt wird und durch den Fallhammer in Form gepresst wird. 1.000 Tonnen Stahl werden hier im Jahr verarbeitet, sagt Lammich. 1.000 bis 5.000 Rohlinge am Tag.

Die Gedore-Werkzeuge, die an der Lange Straße vorbereitet werden, sind nicht nur für den Normalnutzer gedacht. Das schwerste Teil ist ein 84 Kilogramm schwerer Schlagschlüssel. „Der wird auf Bohrinseln benutzt, um Schrauben zu lösen“, erklärt Lammich. „Unser Markenversprechen ‚Werkzeuge fürs Leben‘ nehmen wir ernst. Unsere Werkzeuge sind für eine extrem lange Lebensdauer gefertigt“, sagt er. „Der Bedarf sinkt aber nicht. Denn wenn etwa auf einer Bohrinsel ein Teil herunterfällt, dann ist es eben weg“, sagt er und grinst.

An der Remscheider Straße in Lüttringhausen hat Gedore den Hauptsitz. Jan Westerwick ist hier Werksleiter. Während an der Lange Straße nur geschmiedet wird, finden hier auch die weiteren Produktionsschritte in ihrer ganzen Tiefe statt – und in einem Mix aus traditioneller Schmiedetechnik und automatisierten Produktionsschritten. Hier sehen Besucher alles vom Schmieden bis zum Galvanisieren, Verpacken und Versenden. Innovationen begegnen dem Besucher an jeder Ecke.

Westerwick und der Geschäftsführende Gesellschafter Dr. Christian Dowidat zeigen eine automatische Schmiedelinie. Vor gut einem Jahr habe die Firma hier viel investiert, erklärt Westerwick. Sie fertigt Steckschlüsseleinsätze der Größen 8 bis 54 Millimeter. „Wir setzen natürlich auf Automatisierung, um mit dem industriellen Fortschritt zu gehen“, sagt Westerwick. Die Stahlteile werden induktiv erhitzt und automatisiert warm umgeformt, laufen über ein Fließband in einen Sammelcontainer. Alle sechs bis sieben Sekunden komme ein fertiges Teil aus der Linie. „Dreimal so schnell wie beim manuellen Schmiedeprozess.“ Und deutlich weniger anstrengend für die Beschäftigten. Ein Mitarbeiter überwacht den Prozess vor der Maschine und am Bildschirm. Die Maschine sei zum Teil eine eigene Entwicklung, die darin genutzten Werkzeuge seien selbst entwickelt worden, die Konstruktion käme aus eigenem Haus.

Westerwick betont, dass die Automatisierung von Schmiedeprozessen auch wichtig sei, um Mitarbeitende zu gewinnen. „Neue Mitarbeiter, die die alten Prozesse kennen, zu finden, ist schwierig.“ Gleichwohl werden auch alte Maschinen nicht sofort komplett aussortiert. Wenn etwas ausfalle, könne die Produktion an alten Maschinen weitergehen. So entsteht der spannende Eindruck einer modernen Produktion mit einem Touch von nostalgischer Industriekultur.

Das Gelände in Lüttringhausen ist gut 40.000 Quadratmeter groß. Seit 1926 hat die Firma ihren Sitz hier. Christian Dowidat ist seit 2019 Geschäftsführer – in vierter Generation. Für ihn ist Remscheid klar der Hauptstandort, ganz ohne Zweifel. „Wir ziehen hier eher zusammen, holen mehr Produktionsschritte hierher“, sagt er. Da man die Logistik ausgelagert habe, habe man deutlich an Platz für andere Produktionsschritte gewonnen und solche aus Solingen und Großbritannien an den Stammsitz geholt. „Wir investieren hier und wünschen uns, hier weiter zu wachsen“, sagt er. Dafür brauche es vor allem ein nachbarschaftliches Miteinander zwischen Industriebetrieben und Anwohnern und einen guten Draht zur Stadt und der Region. Dowidat hat Ingenieurswissenschaft in Dortmund studiert. Er wirkt wie ein pragmatischer Mann. Er mache sich nichts aus Titeln oder rein formalen Rahmendaten. Ihm gehe es darum, „dass die Zahlen zeigen, dass funktioniert, was wir tun“, sagt er.

Das Werk ist auf Besucher eingerichtet. An den Decken hängen Schilder mit Beschreibungen auf Englisch und Deutsch, in welchem Produktionsbereich man sich gerade befindet, welche Technologie eingesetzt wird, oder wie viele entsprechende Teile hier gefertigt werden. Katja Klama-Fröhlich, Assistentin der Geschäftsführung, erklärt, dass die Schilder seit einem Jahr in den Hallen hängen - für die regelmäßig kommenden Besuchergruppen. Neben Mitarbeitenden aus den anderen Gedore-Werken und geschäftlichen Besuchern seien das etwa auch Schülergruppen, die sie hier durchführe. „Wir wollen der Region etwas zurückgeben und offen sein für Interessenten aus Remscheid und den anderen Städten, zeigen, was wir tun“. Die Schilder unterstützten sie bei den Werksführungen.

Die Steckschlüsseleinsätze werden in einem Mehrspindel-Drehautomaten abgelängt, überdreht und der Antriebsvierkant weiter ausgeformt. Nach dem Durchlaufen einer Trommelwaschanlage erfolgt das Stempeln mit Größenangaben, Typenbezeichnung und dem Markennamen. Die Maschine dafür wurde ebenfalls im Haus entwickelt. „Wir sparen damit zwei Sekunden pro Einsatz“, sagt Jan Westerwick. Und verdeutlicht, was so eine Zahl bedeutet: „Das ergab eine Produktionssteigerung von 15 Prozent.“

Die Produktion von Stahlteilen wie Steckschlüsseleinsätzen ist mit viel Wissen und Erfahrung verbunden – und deren Qualität wird im laufenden Prozess permanent überprüft. Die Steckschlüsseleinsätze werden, nachdem sie gestempelt worden sind, im Vergütungsprozess noch einmal bis zur Rotglut erhitzt, abgeschreckt und erneut zum sogenannten Anlassen erhitzt. Dowidat liest die aktuellen Daten an den Messinstrumenten ab, um dem Reporter den Prozess zu erklären. „Um das Gefüge zu strukturieren“, sagt er. Ohne diese letzte Erhitzung wäre das Material zu spröde, könnte brechen. Dann prüft ein Mitarbeiter die Materialhärte. Wie tief er eine Markierung in das Material setzen kann, lasse Rückschlüsse auf den Prozess zu, erklärt Dowidat.

Jetzt begegnen uns auch wieder die größeren Maulschlüssel, die an der Lange Straße geschmiedet wurden. Sie werden in einem Mix aus automatischer und manueller Arbeit weiterbehandelt. In einem abgetrennten Bereich werden sie automatisch aufgereiht und von einem Roboterarm gegriffen und mehrfach geschliffen. Danach gehen die Maulschlüssel weiter zum Mitarbeiter, der sie vergütet und sandstrahlt bevor sie in der Galvanik ihre finale Oberflächenbehandlung erhalten.

Maulschlüssel, Steckschlüsseleinsätze und jedes andere Teil aus Stahl – alle werden in der hauseigenen Galvanikanlage behandelt. Hermann Fischer ist der Mann, den sie hier „Chrom-Guru“ nennen. Der Prozess unter seiner Leitung sorgt für die perfekte Optik. Gedore wird bald eine neue Chrom-III-Anlage in Betrieb nehmen, die höhere Umweltauflagen erfüllen soll als die vorherige Chrom-VI-Anlage. Vieles an der Anlage wurde ebenfalls selbst entwickelt. Dazu habe man schon vor sieben Jahren in eine abwasserfreie Anlage mit Verdampfungstechnik investiert – die spare 300.000 Liter Wasser im Jahr und den Einsatz von sehr viel Chemie. Die Abwärme werde genutzt, um die Halle zu heizen.

Gedore bietet auch Services rund um die Werkzeuge wie Reparatur und Kalibrierung an – die Drehmomentschlüssel, für die der Hersteller unter anderem bekannt ist, werden auch nach 40 Jahren noch zur Neukalibrierung angenommen. Auch die elektronischen Drehmomentschlüssel, die die Firma seit den 80er-Jahren herstellt, werden teils mit 20 Jahre alter Software noch gewartet. Allen Weiterentwicklungen zum Trotz.

Schon konventionelle Drehmomentschlüs­sel seien hochkomplex, erklärt Westerwick, und bestünden aus bis zu 30 perfekt abgestimmten Einzelteilen. Die elektronischen Drehmomentschlüssel werden komplett im Haus entwickelt und in der Abteilung von Reiner Kahrmann hergestellt. Die Spanne reicht dabei von einfachen Drehmomentschlüsseln bis zur Oberklasse –hochkomplexen Messgeräten. Letztere seien gerade dort wichtig, wo Drehmoment und Drehwinkel auch elektronisch nachgehalten werden müssen – in der Industrie, im Motorenbau oder der Flugzeugtechnik, sagt Kahrmann. In der Elektronikabteilung sitzen eigens dafür fünf spezialisierte Mitarbeitende.

Wenn die perfekte Schicht aus Chrom und Nickel auf den Stahlteilen aufgetragen ist, gehen die Werkzeuge zur Verpackung und in den Versand. Auch hier gibt es Automatisierungsprozesse. Werkzeugsätze und Sortimente werden am Tisch von geschulten Mitarbeiterinnen zusammengestellt. Der Tisch ist wie ein U aufgebaut – oberhalb der höhenverstellbaren Tischplatte sind alle möglichen Schlüsselvarianten in einzelnen Boxen verstaut. Wenn die Mitarbeiterin eine Bestellung einscannt, erkennt die Software die genau Zusammensetzung des bestellten Sets und gibt per Lichtsignal genau die Boxen an, aus denen die Mitarbeiterin die passenden Schlüssel nehmen muss. Abteilungsleiter Thomas Kutz sagt, diese Entwicklung sei rund vier Jahre alt, es gebe zwei dieser Anlagen, eine dritte folge in Kürze – „Wir sind dadurch vier Mal schneller geworden beim Verpacken der Ware.“

Andere Teile – kleine und riesengroße – sind in riesigen Regalreihen aufgereiht. Die vielen Produkte, die in Remscheid gefertigt werden, brauchen ihren Raum. Teile, die vor wenigen Arbeitsschritten noch glühend rot und 1.280 Grad heiß waren und jetzt zur Perfektion geschmiedet, geschliffen und veredelt wurden. Sie warten auf ihren langjährigen Einsatz bei Kunden weltweit – als Werkzeuge fürs Leben.

Text: Eike Rüdebusch

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