Vereinbarkeit von Beruf und Familie - Neue Rollenbilder

Immer mehr Väter wünschen sich mehr Zeit für die Familie. Auf die familiären Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter müssen die Unternehmen reagieren, wollen sie sich zukunftsfähig ausrichten. Abgesehen von der gesetzlich geregelten Elternzeit kommt es auch auf die Firmenkultur an.

Das Bild von der Familie und die Rolle der Väter bei der Erziehung der Kinder wandelt sich. Der Anteil der Väter, die Elternzeit nehmen und Elterngeld beziehen, ist nach Angaben des Bundesfamilienministeriums (Väterreport 2023) gestiegen. So bezog im Jahr 2008 im Durchschnitt der Vater jedes fünften Kindes Elterngeld, im Jahr 2020 lag die Quote bei knapp 44 Prozent. Zur Wahrheit gehört freilich auch: Die Erziehung des Nachwuchses ist zwischen Vater und Mutter weiter ungleich verteilt. Frauen beziehen laut einer aktuellen Studie der Bertelsmann-Stiftung im Schnitt 11,6 Monate Elterngeld, Männer nur 2,8 Monate.

Aber auch nach der Elternzeit wünschen sich die Väter mehr Zeit für die Familie. Das belegen Zahlen des Allenbach-Instituts: Im Jahr 1993 hatten Väter an einem Wochentag durchschnittlich 1,9 Stunden Zeit für ihre Kinder, 2019 waren es bereits drei Stunden. Eine partnerschaftliche Lebensweise lässt sich für viele Väter aber nur schwer mit beruflichen Anforderungen vereinbaren. So sind 86 Prozent der erwerbstätigen Väter laut dem Väterreport weiterhin in Vollzeit tätig.

Die Unternehmen tun aber gut daran, diese Quote nicht als selbstverständlich hinzunehmen. So haben laut einer repräsentativen Umfrage der Prognos AG aus dem Jahr 2022 rund 450.000 Väter mindestens einmal den Job gewechselt, weil sie eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie erreichen wollten. Unternehmen sollten ihre Personalpolitik deshalb auch auf die Väterförderung ausrichten.

Einen verstärkten Trend bei Vätern, Elternzeit zu nehmen, kann auch Manuel Becker, Head of Culture beim IT-Dienstleister Bucs IT in Wuppertal, für sein Unternehmen vermelden. „In den letzten drei Jahren haben 15 Männer bei uns Elternzeit in Anspruch genommen – das sind 100 Prozent unserer Mitarbeiter, die in dieser Zeit Väter wurden“, berichtet er. Rund ein Drittel der Väter sei zudem länger als die üblichen zwei Monate in Elternzeit gewesen. Und die Bedeutung der Familie werde auch vom Management vorgelebt. „Auch unser Gründer und Geschäftsführer Robert Stübner war länger in Elternzeit – er geht also mit gutem Beispiel voran.“

Dass junge Eltern sich Zeit für den Nachwuchs nehmen, sei in seinem Unternehmen „kein Karriereknick“, sondern werde als „Teil unserer gesellschaftlichen Verantwortung“ verstanden, sagt Becker. Das Thema beschränke sich zudem nicht auf Geburt und Betreuung der Babys. Im Rahmen ihres zweimal im Jahr veranstalteten Formates „Open Friday“ habe man bereits mehrere Veranstaltungen zum Thema „Beruf und Familie“ organisiert. Zudem biete man Eltern die Möglichkeit, bei Bedarf auch Kinder in Meetings mitzubringen.

Für die Mitarbeiter gebe es eine breite Palette an Optionen; man erwarte aber auch, „dass die Eltern aktiv auf uns zukommen“, betont Becker. Das Unternehmen, das 107 Beschäftigte hat, schaffe zudem flexible Arbeitsbedingungen – so gibt es keine festen Arbeitszeiten, die Möglichkeit zu Homeoffice-Tätigkeiten sowie ein freies Budget, das Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zum Beispiel für Maßnahmen wie Supervision „bei herausfordernden privaten Situationen“ nutzen können.

Becker verweist auch darauf, dass es wichtig ist, einer falsch verstandenen „Heldenkultur“ im Unternehmen etwas entgegenzusetzen. „Wer wegen der Familie früher geht, wird bei uns nicht schief angeschaut“, sagt er. Für diese Firmenkultur ist Bucs IT bereits mehrfach ausgezeichnet worden. Das unabhängige Institut „Great Place To Work“ hat den IT-Dienstleister zum mittlerweile achten Mal in Folge zu den besten Arbeitgebern Deutschlands gekürt. Für die Bewertung wurden mehr als 1.000 Unternehmen in Deutschland untersucht und über 420.000 Beschäftigte befragt.

Auch kleinere Unternehmen können nach Ansicht von Jutta Diefenbach, Geschäftsführerin der Diefenbach Verpackungen GmbH in Solingen, das Thema „Elternzeit für Väter“ unterstützen. „Wenn wir frühzeitig in die Planung des werdenden Vaters einbezogen werden, können wir für den betreffenden Zeitraum umdisponieren. In der Produktion können wir die Arbeitsvorbereitung anpassen oder für diese Zeit eine Aushilfe einstellen“, betont Diefenbach.

Grundsätzlich stehe man „dem Thema offen gegenüber“ und unterstütze auch männliche Mitarbeiter, ihre Elternzeit zu planen. Gerade in einem Familienunternehmen sei es wichtig, dass die Beschäftigten die Möglichkeit haben, Familie und Erwerbstätigkeit miteinander zu vereinbaren, sagt die Geschäftsführerin. Und das betreffe nicht nur die Kindererziehung. „Mittlerweile berücksichtigen wir nicht nur Kindererziehungszeiten, sondern auch die Anforderungen, die die Pflege von Angehörigen mit sich bringt.“

In der Sache gibt Diefenbach aber auch zu bedenken, dass der Wechsel des Mannes vom Job in die Familie auch eine wirkliche Entlastung der Mutter mit sich bringen und dafür sorgen sollte, dass sich der Vater in die Erziehung des Kindes mit einbringt und die Bindung zum Nachwuchs festigt. Die Auszeit vom Beruf sollte dazu dienen, ein möglichst gleichberechtigtes Miteinander zwischen den Eltern in Fragen der Kinderbetreuung zu finden, das auch nach der Rückkehr in den Beruf weiterverfolgt werden kann.

Nach Ansicht der Geschäftsführerin könnte es auch eine gute Option sein, wenn beide Elternteile in Teilzeit – etwa 20 bis 30 Stunden pro Woche – arbeiten. Der Mutter würde damit nicht mehr die „alleinige Verantwortung für die Familienarbeit“ zugewiesen. Beide Elternteile könnten gemeinsam die Bindung zum Kind stärken. Gegebenenfalls würde es Familien auch helfen, wenn sie eine finanzielle Unterstützung für eine Haushaltshilfe oder einen Babysitter erhielten, um zumindest in Teilzeit arbeiten zu können. „Wer sich drei Jahre oder länger ausschließlich auf das Kind oder die Kinder konzentriert, hat es schwer, im Beruf wieder Fuß zu fassen“, erklärt Diefenbach.

Im Unternehmen von Torsten Kretzer, Geschäftsführer der Kretzer Scheren GmbH aus Solingen, sind Väter, die Elternzeit nehmen, in den vergangenen zehn Jahren zwar mehr geworden. Allerdings sei die Elternzeit bei Vätern im Vergleich zu Müttern in seinem Betrieb „noch immer die Ausnahme“. Der Scherenhersteller hat derzeit etwa 40 Mitarbeiter.

Man unterstütze jeden Beschäftigten dabei, seine Elternzeit zu nehmen. Dabei sei es grundsätzlich egal, ob es sich um Mütter oder Väter mit Einsatzbereich in der Produktion oder in der Verwaltung handele. Auch als industrieller Betrieb sei die Umsetzung von Elternzeit für die männlichen Beschäftigten kein Problem. „Unsere Mitarbeiter wissen, dass wir bei der Elternzeit keine Unterschiede machen”, betont Kretzer.

Das Thema „Work-Life-Balance” sei aus seiner Sicht „schon immer ein Thema” gewesen, erklärt der Geschäftsführer. Allerdings scheine der Aspekt der Freizeit in den vergangenen Jahren bei den Mitarbeitern immer mehr Gewicht erhalten zu haben. Dabei sei der Leistungsgedanke gerade in einem industriell geprägten Betrieb nach wie vor von großer Bedeutung und dürfe nicht vernachlässigt werden.

Für einen möglichst pragmatischen Umgang mit der Elternzeit von Vätern plädiert Rüdiger Theis, Gründer und Geschäftsführer des Mikrocomputerherstellers Wiesemann & Theis in Wuppertal. Bislang hätten in etwa einem Dutzend Fällen junge Väter in seinem Unternehmen Elternzeit beantragt. Die Bereitschaft und der Wunsch von Vätern, sich stärker in die Betreuung und Erziehung des Nachwuchses einzubringen, sei in den vergangenen Jahren zwar deutlich gewachsen, berichtet er. Allerdings gebe es eher selten den Wunsch der Väter, gleich einen längeren Zeitraum von etwa zwei Monaten zu nehmen.

Zwei Monate im Block seien vielen jungen Vätern „zu starr“ und würden ihren Wünschen in der Regel nicht gerecht. Viel öfter wollten die Väter einen oder mehrere Tage freinehmen, um sich um die Familie zu kümmern. „Das können dann auch mal ein halber Tag oder zwei bis drei Tage sein, die sie freinehmen möchten“, erklärt Theis. Um diesen oft recht kurzfristigen Anfragen gerecht zu werden, hat Rüdiger Theis vor etwa zehn Jahren ein Tool entwickelt und ins Intranet gestellt. Damit sei es einfacher geworden, die jeweiligen „Zeitbedürfnisse“ der etwa 60 Beschäftigten zu berücksichtigen.

Auch mit Blick auf die eigene Familie weiß Theis, wie wichtig es ist, den Mitarbeitern neben einem positiven Betriebsklima auch familiäre Freiräume zu ermöglichen. Arbeit ist Leben und „Leben enthält auch viel Arbeit“. Diese Arbeit in der privaten Welt könne von einem berufstätigen Paar nicht vollständig geleistet werden, ohne die berufliche Sphäre zu belasten. „Darum steht die berufliche Welt unter Druck, möglichst vorteilhafte Bedingungen zur Verfügung zu stellen, welche zugleich die Nachteile für die berufliche Welt in Grenzen halten. Dies ist weniger durch neue Strukturen, sondern vielmehr durch eine offene, vertrauensvolle und allseits engagierte Haltung zu erreichen“, erklärt er.

Auch wenn es in Fragen der Kinderbetreuung und Erziehung nach wie vor zwischen Frauen und Männern die sozusagen klassische Geschlechterteilung gebe, sei die „Asymmetrie deutlich weniger krass als früher“, betont Theis. Väter wollten sich in der Kindererziehung stärker engagieren, auch wenn Mütter weiterhin erste Ansprechpartnerin für das Kind blieben. Themen wie Charakterbildung und frühkindliche Bildung interessieren Theis übrigens so sehr, dass er bereits 2002 die Winzig-Stiftung gründete, die Projekte im frühkindlichen Bereich fördert.

Einen „Mentalitätswandel“ in Richtung mehr Gleichberechtigung in der Kindererziehung hat auch Oliver Kempkes, geschäftsführender Gesellschafter der Kuli Hebezeuge - Helmut Kempkes GmbH aus Remscheid, festgestellt. Allerdings mit dem schon erwähnten Unterschied in der Länge der Elternzeit. „Nach unserer Erfahrung nehmen Mütter längere Elternzeiten von mindestens einem Jahr, während Väter ihre Elternzeit auf einzelne Monate beschränken“, sagt er.

Ein festes Schema für Väter, die Elternzeit nehmen wollen, gebe es deshalb in seinem Unternehmen nicht. „Dafür sind die Anforderungen für die einzelnen Väter zu individuell. Es wird gemeinsam abgesprochen, wie die Umsetzung aussieht“, erklärt Kempkes. Die dabei umgesetzten Modelle könnten ganz unterschiedlich ausfallen: „Ein Vater hat während der Elternzeit für sein erstes Kind auch stundenweise noch bei uns gearbeitet. Und falls die gesetzliche Elternzeit nicht passt, ermöglichen wir stattdessen Urlaub.“

Gerade als Familienunternehmen, das rund 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat, sei es ihm als Geschäftsführer wichtig, dass eine Unternehmenskultur gelebt wird, bei der die Wünsche der Beschäftigten ohne großen Aufwand „miteinander geregelt“ werden können, betont Kempkes. So habe man etwa mit einem Mitarbeiter in der Produktion andere Arbeitszeiten vereinbart, weil er zunächst sein Kind in die Kita habe bringen wollen. Gerade in der Produktion sei das zwar nicht ganz leicht gewesen, man habe aber trotzdem eine praktikable Lösung für alle gefunden. „Wenn man mit Beschäftigten zufrieden ist, schaut man, dass es passt“, erläutert Kempkes. Man könne gerade in Zeiten des Fachkräftemangels auf erfahrene Mitarbeiter nicht verzichten.

Text: Michael Bosse

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