Modularer Kompetenzerwerb - kleine Schritte zum Erfolg gehen
Die Teilqualifizierung (TQ) bietet Unternehmen eine gute Möglichkeit, die Kompetenzen im Team deutlich zu erhöhen.
„Eine abgeschlossene Berufsausbildung war das, was ich mir schon immer gewünscht habe. Ich bin stolz, dass ich das jetzt geschafft habe“, sagt Stefan Hellwinkel. „Die Prüfungen waren gut zu schaffen – wir waren ja gut vorbereitet“, fügt seine Kollegin Nadine Kuganeswaran hinzu. „Damit bin ich auch für meine Kinder ein gutes Vorbild“, findet Sandra Müller. Kevin Adam möchte nach seinem Abschluss noch das dritte Lehrjahr anschließen und den Abschluss als Einzelhandelskaufmann machen. „Ich möchte auf den ersten Arbeitsmarkt, vielleicht sogar mich selbstständig machen“, erklärt er. Die Begeisterung ist hör- und spürbar bei den langjährigen Mitarbeiterinnen und -mitarbeitern von Proviel, der Wuppertaler Werkstatt für Menschen mit psychischer Erkrankung. Verständlich, haben sie doch die IHK-Ausbildung zur Verkäuferin/Verkäufer mit Bravour bestanden.
Möglich wurde dies durch die Kooperation mit der Bergischen IHK – und zwei Buchstaben. Im Rahmen von TQ, kurz für Teilqualifizierungen, wurden die gesamten Ausbildungsinhalte in fünf Module aufgeteilt. Somit konnten sich Interessenten jedem Themenbereich einzeln und in ihrem individuellen Tempo widmen. Am Abschluss eines jeden Moduls stand eine Kompetenzfeststellung, für die Prüferinnen und Prüfer der IHK in den CAP-Lebensmittelmarkt zu Proviel kamen. „Durch diese individuellen Anpassungsmöglichkeiten bei den Teilqualifizierungen und die Chance, im Fall einer nicht bestandenen Kompetenzfeststellung unkompliziert wiederholen zu können, lässt sich der Prüfungsdruck für die Menschen mit psychischen Erkrankungen sehr gut reduzieren“, sagt Proviel-Geschäftsführer Christoph Nieder. „Die Niedrigschwelligkeit macht den Erfolg von TQ aus.“ Seit 2016 bietet Proviel TQ an. Neben den Bereichen Fachlagerist/-in und Verkäufer/-in besteht seit dem vergangenen Jahr auch die Möglichkeit, sich zur Fachkraft Metalltechnik qualifizieren zu lassen.
Bei Proviel ist dieses Angebot fest etabliert. Grundsätzlich spielt es allerdings keine Rolle, ob eine psychische oder körperliche Beeinträchtigung vorliegt: TQ stehen allen Menschen offen, die beruflich einen oder mehrere Schritte nach vorne machen möchten. Sie bieten eine Chance, nach und nach berufliche Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten – begleitend zur täglichen Arbeit – zu erwerben, und am Ende einen Berufsabschluss nachzuholen. Abgeleitet aus anerkannten Ausbildungsberufen, bilden sie abgegrenzte und bundesweit standardisierte Bausteine des jeweiligen Berufs. Diese Bausteine können separat durchlaufen werden. Jeder Baustein endet mit einer Kompetenzfeststellung, die den Qualifizierungserfolg zertifiziert. Damit wird auch den Menschen eine Qualifikation ermöglicht, die bislang keine Ausbildung erfolgreich durchlaufen konnten.
Diese Qualifizierungschance richtet sich an Erwachsene über 25 Jahre, die entweder arbeitslos sind oder denen Arbeitslosigkeit droht. Auch Geflüchtete mit guter Bleibeperspektive sind eine Zielgruppe. „Zugewanderte, deren im Ausland erworbener Berufsabschluss hierzulande nicht anerkannt wird, können dies unter bestimmten Bedingungen erreichen – mittels TQ“, erklärt Carmen Bartl-Zorn, die bei der Bergischen IHK für den Geschäftsbereich Aus- und Weiterbildung zuständig ist.
Die IHK wirbt aktiv für die TQ-Möglichkeit, „die noch viel zu wenig genutzt wird“, wie Carmen Bartl-Zorn sagt. Das sieht auch Alexander Lampe so, Geschäftsführer des Berufsbildungszentrums der Remscheider Metall- und Elektroindustrie GmbH, kurz BZI. „Die Teilqualifizierung ist ein wichtiges und gutes Instrument, das wir gerne anbieten. Allerdings müssen wir die Akzeptanz sowohl bei den Unternehmen als auch bei den potenziellen Teilnehmerinnen und Teilnehmer noch deutlich erhöhen.“
Häufig liege es an falschen und zu kurz gedachten Erwartungen: „Für schnelle und einfache Erfolge sind Teilqualifizierungen das falsche Mittel“, sagt Lampe. „Bei einem Betrachtungszeitraum von wenigen Jahren aber sieht die Sache ganz anders aus. Dann lassen sich die Früchte einer sinnvollen Qualifizierung fachlich und insbesondere auch finanziell ernten.“
Ob weitere Kompetenzen beim Messen und Regeln oder die Handhabung von Maschinen und Anlagen – das BZI-Team und seine Kunden machen gute Erfahrungen mit Teilqualifikationen. „Es lassen sich diverse Referenzbeispiele anführen.“ Und am Ende steht womöglich sogar die IHK-Abschlussprüfung, „was sich viele An- und Ungelernte anfangs niemals hätten träumen lassen“, so Lampe. Entscheidend seien meist die ersten Gespräche mit Interessierten. „Es gilt, bei allen Beteiligten die anfänglichen Bedenken vor dem vermeintlichen Aufwand oder die Angst vor dem Scheitern von Beginn an auszuräumen. Dies alles ist unbegründet, aber man muss es ernst nehmen und eben erklären.“ In jedem Fall geht es um eine individuelle Lösung: „Eine pauschale TQ nach Schema F funktioniert nicht.“
Sorgen um die Anerkennung der Teilqualifizierungen sind unbegründet: Wie unter anderem auf der offiziellen Info-Webseite chance-tq.de zu lesen ist, werden TQ „auf Basis der aktuellen Ausbildungsordnung und des Rahmenlehrplanes eines Ausbildungsberufes und unter Berücksichtigung von Arbeits- und Geschäftsprozessen entwickelt“. Dadurch sei sichergestellt, dass die abgeleiteten TQ abschlussorientiert und berufsanschlussfähig sind. „Die einzelnen TQ decken in der Summe alle Aspekte eines Berufsbildes ab. Bildungsangebote mit berufsanschlussfähigen TQ bereiten in systematischen, aufeinander-folgenden Schritten auf einen Berufsabschluss vor.“ Der Berufsabschluss wird über eine Teilnahme an der Abschlussprüfung, einer sogenannten „Externenprüfung“ bei der IHK ermöglicht. „Doch bereits nach der ersten Kompetenzfeststellung hat man etwas Handfestes zum Vorweisen“, betont Bartl-Zorn. Wird eine Kompetenzfeststellung bei einer IHK durchgeführt, gibt es ein IHK-Zertifikat.
Gerade in konjunkturell schwierigen Zeiten sieht die IHK-Geschäftsführerin eine gute Gelegenheit zur Weiterqualifizierung in dieser Form: „Unternehmen, die vielleicht sogar Kurzarbeit angemeldet haben, können diese Phase sinnvoll überbrücken. Und wenn dann die Konjunktur wieder anzieht, hat man sofort die Kompetenzen und Fähigkeiten im Team.“ So lasse sich das strukturelle Arbeitskräfteproblem zumindest ein wenig abmildern. Verschiedene Bildungsträger im Städtedreieck bieten TQ an. „Wichtig ist, dass für die jeweiligen Berufsfelder ausreichend Teilnehmende zusammenkommen, damit es sich für die Anbieter rechnet“, erklärt Carmen Bartl-Zorn.
Welche Erfolge mit der richtigen Einstellung und dem nötigen Willen erreicht werden können, zeigt das Beispiel des CAP-Marktes bei Proviel: Die ersten Fünf konnten mit den anderen Azubis der Wuppertaler Einzelhandelsbetriebe zusammen zur schriftlichen und mündlichen IHK-Abschlussprüfung antreten – und problemlos ihr Wissen abrufen. Teilweise erhielten sie Bestnoten.
Auch in den Abteilungen Lager/Logistik und Metalltechnik wird diese Möglichkeit angeboten, so haben inzwischen mehr als zwei Dutzend weitere Mitarbeitende einzelne Teilqualifizierungsbausteine (TQ) abgeschlossen. „Wir freuen uns sehr, dass diese Möglichkeit der Qualifizierung so gut angenommen wird und unsere Mitarbeitenden nun Schwarz auf Weiß von der IHK bestätigt bekommen haben, dass sie hervorragende Verkäufer sind“, freut sich Proviel-Geschäftsführer Christoph Nieder.
Text: Daniel Boss