Innovationskraft - Stark mit neuen Ideen

Das Bergische Land war schon immer für erfolgreiche Neuheiten gut. Und auch die aktuellen Zahlen rund um Patentanmeldungen und Forschungsausgaben können sich sehen lassen. Wir haben mit Unternehmen aus der Region über ihre innovative Arbeit gesprochen.

Schon in den 1960er-Jahren war das heute legendäre „Deuser Band“ zum Muskeltraining in zahllosen Sportvereinen und Fitnessstudios zu finden. „Es ist ein sehr gutes Beispiel dafür, dass aus Solingen heraus Produkte entstehen können, die weltweit Maßstäbe setzen“, sagt Sascha Scheerer, Assistent der Geschäftsführung der Deuser Sports GmbH. „Wir verstehen Innovation aber nicht nur als Entwicklung neuer Geräte, sondern als einen ganzheitlichen Prozess: von der Produkt­idee über die Materialauswahl bis hin zu Produktionsverfahren. Gerade in der Sportbranche, die von Trends und sich verändernden Bedürfnissen bestimmt ist, sind Innovationen unbedingt erforderlich“, betont Scheerer. Dabei müssten diese nicht zwangsweise „disruptiv“ sein: „Häufig reicht schon eine kleine Änderung für eine spürbare Verbesserung.“

Bei Deuser lege man Wert auf eine offene Unternehmenskultur, „in der Ideen jederzeit Platz haben“. Es gilt: Jeder Mitarbeiter darf Vorschläge einbringen – egal ob aus dem Vertrieb, der Produktion oder dem Marketing. „Innovation entsteht oft durch den Perspektivwechsel. Gleichzeitig arbeiten wir eng mit Trainern, Physiotherapeuten und Sportlern zusammen, die uns direktes Feedback geben. Dadurch erkennen wir schnell, wo Verbesserungen oder neue Lösungen gebraucht werden.“ Hinzu kommt die Zusammenarbeit mit jungen Firmen wie dem Start-up Straffr. „Gemein­sam ist es uns gelungen, zwei innovative Bundles zu entwickeln, die das Beste aus beiden Welten verbinden: die jahrzehntelange Erfahrung von Deuser Sports in der Produktentwicklung und das digitale Know-how von Straffr“, erklärt Scheerer. Über eine App können Trainingsübungen anschaulich und interaktiv dargestellt werden. „Wir schätzen die Dynamik und Unbefangenheit von Start-ups sehr. Deshalb kooperieren wir immer wieder mit jungen Unternehmen, die frische Ideen in den Bereichen Digitalisierung, Sensorik oder App-basierte Trainingssteuerung ein­bringen. So entstehen Synergien, die beiden Seiten nutzen – und am Ende den Sportlerinnen und Sportlern.“

Das Bergische Städtedreieck ist für seine Innovationskraft berühmt. Dafür stehen weltweit seit Jahrzehnten erfolgreiche Produkte wie Aspirin, Thermomix oder die Rauhfaser-Tapete. Erst im vergangenen Jahr feierte das Schiedsrichter-Kamera­system Refcam des Wuppertaler Unternehmens Riedel beim Spiel zwischen Eintracht Frankfurt und dem VfL Wolfsburg sein Bundesliga-Debüt. Diese Mini-Kamera für Sportübertragungen erlaubt durch Integration von Easy5G, einem privaten 5G-Netz, völlig neue Perspektiven, etwa Echtzeitbilder aus der Sicht von Schiedsrichtern. „Die Refcam zeigt exemplarisch, wie Riedel neue Technologien nutzerzentriert in innovative Produkte überführt“, sagt Andreas Mohnke, Business Integration Manager Strategy & Innovation.

Ein innovationsfreundliches Umfeld entsteht bei Riedel nach seiner Aussage durch strategische Weichenstellungen: Rund zwanzig Prozent der Belegschaft arbeiten in der Entwicklung. Weitere zehn Prozent sind Auszubildende und duale Studenten im Wuppertaler Headquarter. „Darüber hinaus engagieren wir uns in internationalen Standardisierungsgremien und wirken aktiv an der Gestaltung zukünftiger Technologien mit. Unsere Unternehmenskultur fördert kreatives Denken, Offenheit für neue Ansätze und Experimentierfreude“, so Mohnke.

Die aktuellen Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache. So ist die Patentintensität in der Region mit rund 144 Anmeldungen je 100.000 Beschäftigten „die zweithöchste in NRW“, wie das Regionalwirtschaftliche Profil 2024 der NRW.Bank festhält. Der Forschungsoutput konzentriert sich demnach überwiegend auf die Städte Remscheid (320 Patente) und Wuppertal (122 Patente). Und: Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung (F&E) der Unternehmen im Städtedreieck sind seit Jahren höher als im Landesdurchschnitt. Sie machten im Jahr 2021 rund 4,4 Prozent der Brutto­wertschöpfung aus (NRW: 1,4 Prozent). „In keiner Wirtschaftsregion waren die Ausgaben höher“, konstatiert der Report. Wuppertal – mit dem Forschungs- und Entwicklungszentrum der Bayer AG – sticht hier besonders hervor. Der Anteil der F&E-Ausgaben an der Bruttowertschöpfung betrug laut Regionalwirtschaft­lichem Profil zuletzt 6,3 Prozent.

Die Auswertung hebt zudem die positive Entwicklung hervor, die sich von Gesamt-NRW abhebt: „Die Unternehmen geben zunehmend mehr Geld für F&E aus.“ Im Jahr 2007 lagen die Ausgaben demnach bei 357 Millionen Euro, 2021 waren es bereits mehr als 937 Millionen Euro. Das spiegelt sich im Personal wider: „Im Jahr 2007 waren 9,4 von 1.000 Erwerbstätigen im F&E-Bereich beschäftigt, 2021 waren es bereits 15,3 Vollzeitäquivalente. Auch hier belegt das Städtedreieck mit weitem Abstand die Spitzenposition unter den Wirtschaftsregionen.“

So sorgt die Region mit dafür, dass sich Deutschland mit Blick auf die Zahlen 2024 „Europameister im Erfinden“ nennen darf. Laut Patent Index 2024 des Europäischen Patentamts belegt Deutschland – nach Spitzenreiter USA und vor Japan, China und Südkorea – bei den europäischen Pa­tent­­anmeldungen mit etwas mehr als 25.000 Erfindungen den zweiten Platz.

Die damit zwangsläufig verbundenen, zumeist langjährigen Investitionen sind eine Herausforderung für die Unternehmen, wie Volker Nötzel erklärt. „Einige unserer digi­talen Konstruktionstools sind beispielsweise durch eine Reihe von Forschungsprojekten über Jahrzehnte entstanden. Diese dann in die Praxis zu transferieren, erfordert finanzielle Vorleistung, aber auch eine klare Linie innerhalb des Unternehmens“, so der Geschäftsführer der Schumacher Precision Tools GmbH. Ein Weg, der einmal eingeschlagen wurde, müsse manchmal auch in schwierigeren konjunkturellen Lagen oder bei „externen Ereignissen“ – Stichwort KI – durchgehalten und „smart angepasst“ werden.

Die Remscheider können auf eine Reihe von Innovationen in den letzten Jahren verweisen, unter anderem auf ihre Entwicklungen im Bereich der Raumfahrt. „Wir haben für höchst anspruchsvolle Produkte aus der Satellitentechnik Werkzeuge auf einem neuen Präzisionsniveau konstruiert, deren Einsatz simuliert, und diese dann gefertigt.“ In 36.000 Kilometer Entfernung von der Erdoberfläche dürfe nichts schief laufen bei den Gewinden – sonst drohe der wirtschaftliche Totalschaden des Satelliten. „Die Möglichkeit zur Wartung gibt es nicht.“ Auch aktuell gibt es einige neue Projekte, „die wir mit Hochdruck vorantreiben“, so Nötzel. Dabei geht es unter anderem um die Fertigung von Sonderwerkzeugen, auch in „außergewöhnlichen Substraten“ wie beispielsweise Vollhartmetall, in kürzester Zeit.

„Innovationskraft durch Forschung und Entwicklung“ spielt in dem Unternehmen seit mehr als 30 Jahren eine entscheidende Rolle. Dabei punktet der Mittelständler – vor allem im Wettbewerb mit den ganz Großen am Markt – durch die „flexible Umsetzung der wissenschaftlich entwickelten Innovationen“. Dies wiederum gelingt nur mit technologischer Expertise und überproportional hohen Investitionen in Forschung und Entwicklung. Nicht zu vergessen: „Die Schaffung einer innovativen Infrastruktur in den jeweiligen Entwicklungsprozessen.“

Bei eintreffenden Kundenanfragen werden mögliche Verbesserungen der Konstruktion und eine Optimierung der Produktion immer gleich mitgedacht. „Erforderlich sind entsprechende Freiheiten des Teams, neue Ansätze mittels digitaler Einsatz­simula­tion vor Produktionsbeginn zu testen und gegebenenfalls schrittweise zu optimieren. Sonst kommen wir nicht voran“, sagt Nötzel. Die permanente Weiterentwicklung ist sozusagen Tagesgeschäft. Wichtig sei eine Kombination aus weitreichendem digitalen Know-how bei der Konstruktion und physischer Entwicklung, an der Schneide’ des Werkzeugs in der Produktion sowie der digitalen Begleitung des Produkts beim Anwender. Alles das findet unter der Überschrift des Innovationsprojekts „Horizon 2030“ statt.

Ein wertvoller Standortfaktor ist ein wissenschaftliches Umfeld und Netzwerk. „Durch die Bergische Universität gibt es Zugang zu Talenten, was für ein Start-up wie uns natürlich entscheidend ist“, sagt etwa Dr. Tobias Klinke, selbst ehemals Forscher am Lehrstuhl für Marketing und nun Co-Founder der Experial GmbH mit Sitz in Wuppertal. „Auch der starke Mittel­stand und die größeren Unternehmen in der Region eröffnen Potenzial – und wir erleben hier eine hohe Offenheit gegenüber innovativen Ideen und jungen Unter­nehmen“, sagt Klinke.

Das Start-up entwickelt KI-gestützte digitale Zwillinge für die Marktforschung. „Die Innovation hinter Experial besteht darin, Marktforschung um ein Hundertfaches schneller und günstiger zu machen – indem wir menschliche Teilnehmer durch digitale Simulationen der jeweiligen Zielgruppen ersetzen. Statt aufwendige, teure und oft langwierige Befragungen durchzuführen, nutzen wir die digitalen Zwillinge von Zielgruppen, um Präferenzen, Meinungen und Perspektiven zu simulieren.“ Dafür gab es den bereits mit 50.000 Euro dotierten EHI-Wissenschaftspreis 2025 in der Kategorie „Bestes Start-up“, über den sich Klinke und Mitgründer Nader Fadl freuen konnten.

Die Idee war aus der eigenen Forschung und der Praxiserfahrung heraus entstanden. „Wir haben zunächst an der Uni, später auch in der Anwendung immer wieder gesehen, dass die meisten Menschen schlicht keine Lust haben, an Befragungen teilzunehmen. Man muss sie bezahlen, es dauert lange – und trotzdem sind Moti­vation und Datenqualität oft gering. Mit dem Aufkommen leistungsfähiger Sprach­modelle haben wir uns gefragt: Können wir menschliche Denk- und Entscheidungsprozesse nicht einfach simulieren? Die Antwort war ja – und genau das ist heute das Herzstück von Experial“, so Klinke.

Aus seiner Sicht beginnt Innovation damit, ein Themenfeld oder einen Themenkomplex in der Tiefe zu verstehen. „Dieses tiefe Wissen ist entscheidend, um nicht nur das offensichtliche Problem zu erkennen, sondern auch das Problem hinter dem Problem aufzudecken. Nur dann kann man Lösungen entwickeln, die nachhaltig wirken.“ Genauso wichtig sei ein guter Überblick darüber, was aktuell möglich ist. „In einem technologischen Umfeld wie unserem bedeutet das vor allem, den Stand der Technik zu kennen und Entwicklungen aufmerksam zu verfolgen, um Chancen früh zu erkennen.“ Und schließlich brauche es Freiraum – sowohl zeitlich als auch mental. „Wer dauerhaft im operativen Tagesgeschäft steckt oder unter hohem Druck arbeitet, hat selten die geistige Freiheit, kreativ zu denken und neue Ideen zu entwickeln.“

Nicht zu unterschätzen sind bürokratische Hürden. „Von komplexen Zulassungsverfahren über langwierige Zertifizierungen bis hin zu Förderprogrammen, die zwar gut gemeint, aber mit zum Teil aufwändigen Antragswegen verbunden sind – all das verzögert Innovationsprozesse spürbar“, sagt Sascha Scheerer von Deuser Sports. „Für ein mittelständisches Unternehmen wie unseres bedeutet das: Wir investieren nicht nur Zeit und Geld in Forschung, Materialtests und Produkttests, sondern auch erhebliche Ressourcen in administrative Abläufe. Diese Formalitäten sind teilweise ebenso aufwendig wie die eigentliche Produktentwicklung.“ Hinzu kommt das Marktrisiko: „Selbst wenn ein Gerät technisch ausgereift ist, entscheidet am Ende der Kunde über Erfolg oder Misserfolg.“

„Innovationen erfordern Mut, Risikobereitschaft und finanzielle Vorleistungen“, sagt Andreas Mohnke von Riedel. Der alleinige Eigentümer des Unternehmens, Thomas Riedel, stehe persönlich für den Innovationskurs und ermögliche langfristige Entwicklungsprojekte. „Riedel verfolgt keine kurzfristige Gewinnorientierung, sondern setzt auf eine nachhaltige Innovationsstrategie – auch wenn einzelne Projekte scheitern können.“ Die Unternehmensentwicklung der letzten zehn Jahre bestätigt diesen Kurs. Mit 250 Millionen Euro wurde der Umsatz nahezu vervierfacht, die Mitarbeiteranzahl mit aktuell etwa 1.100 weltweit verdreifacht.

Text: Daniel Bosse

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