Umgang mit dem Offboarding - Auf Wiedersehen

Wenn Mitarbeitende gehen oder entlassen werden – welche Herausforderungen bestehen, wie macht man es richtig und was sagt das über die Firmenkultur aus? Offboarding, ein Thema, das viele beschäftigt.

Wir verabschieden uns. Von Dingen. Von Menschen. Privat und beruflich. Das ist manchmal schwer. Nicht immer machen wir es richtig. Auch im beruflichen Kontext sollte eine wertschätzende „Abschiedskultur“ Standard sein. Ist sie es auch? Wir haben nachgefragt, bei Firmenlenkern und HR-Experten. Wie geht das, Offboarding?

Vor einigen Monaten postete der Solinger Unternehmer Stefan Richartz einen Beitrag auf LinkedIn: „Ich denke, Kündigungen haben auch etwas Positives!“ Er erklärte: „Wenn eine Seite unglücklich ist, ist ‚gute‘ Arbeit schwer.“ Auf die rhetorische Frage „Wie sollte man sich nun verhalten?“, antwortete er sich selbst: „Fair und mit Vertrauen“.

Seit 125 Jahren gibt es das Unternehmen Richartz in Solingen-Merscheid, das sich auf die Produktion von Taschenmessern spezialisiert hatte. Dann kam der 11. Septem­ber 2001, ein Tag, der für das Traditionsunternehmen vieles veränderte. „Nach den Terroranschlägen konnten wir Taschenmesser kaum noch verkaufen, plötzlich wurden sie in erster Linie nur noch als Waffen gesehen“, blickt Stefan Richartz zurück. Konsequenz: Die Produktion wurde weitgehend nach Asien verlagert, das Team in Solingen verkleinert und Mitarbeiter, auch langjährige, mussten entlassen werden. „Das hat uns schon sehr beschäftigt damals, weil eine Situation entstanden war, die das Unternehmen in eine Notlage brachte und wir schnell handeln mussten“, bestätigt Birgitta Richartz, die im Unternehmen unter anderem für Organisation und Finanzen zuständig ist.

Birgitta und Stefan Richartz dachten um, setzten auf den B-to-B-Vertrieb von so genannten Multi-Tools, praktischen Alltagshelfern/Multifunktionsprodukten, die sowohl zum Beispiel einen Sechskantschlüssel wie auch ein Mini-Taschenmesser bereithalten. Damit kam der Erfolg zurück. Viele Richartz-Produkte erzielen Auszeichnungen wie den renommierten Design-Award Red Dot, die Marke wurde 2025 als „Marke des Jahrhunderts“ gefeiert. Heute beschäftigt Richartz 35 Mitarbeitende, vor allem in den Bereichen Entwicklung, Kreation und Vertrieb, und Tochter Luisa ist seit einem Jahr ins Unter­nehmen mit eingestiegen. „Als familiengeführter Mittelständler ist es uns wichtig, dass wir mit Menschen zusammenarbeiten, die genau wie wir Spaß an dem haben, was wir gemeinsam leisten“, betont Stefan Richartz.

Immer wieder gibt es aber auch bei Richartz die Situation, dass man sich von Mitarbei­tern trennt. „Im letzten Jahr hat ein langjähriger Mitarbeiter gekündigt, er wollte sich weiterentwickeln. Das fand ich schon schade. Uns war sehr wichtig, dass wir in der verbleibenden Zeit wertschätzend und zuverlässig bis zum letzten Tag zusammen­arbeiten. Und dann verabschiedet man sich auch mit einem guten Gefühl“, sagt Birgitta Richartz. Es gibt natürlich auch den anderen Fall: Die Kündigung wird ausgesprochen, der Mitarbeiter zieht sich zurück, meldet sich krank, die Chance auf ein Austrittsgespräch auf Augenhöhe ist vergeben. Davon berichtete Stefan Richartz auch via LinkedIn – dass dies schlechter Stil sei, Enttäuschung im Team zurücklasse und die „Brücke“ somit zerstört sei.

Mitten im Transformationsprozess Trennung vom Betriebsleiter In dritter Generation leitet Inga Bauer das familiengeführte Unternehmen „Bauer & Böcker“ in Remscheid. Dadurch, dass sie marktgetrieben vor elf Jahren stark auf Innovationen setzen und sich von traditionellen Produkten verabschieden musste, war auch sie gezwungen, ihr Team umzustrukturieren und Entlassungen auszusprechen. Hatten sich die Vorgänger-Genera­tionen hauptsächlich mit der Produktion von Rohrsteckschlüsseln beschäftigt, setzte Inga Bauer auf eine Neuausrichtung des Unternehmens: Heute umfassen die Geschäftsbereiche von „Bauer & Böcker“ die Entwicklung von LED-Leuchten für Arbeits-, Büro- und Home-Umgebungen, Inspektionswerkzeuge und Magnettechnik. Zwölf Mitarbeiter beschäftigt das Unternehmen am Standort in Vieringhausen. „Natürlich kostet es viel Kraft, sich von Mitarbeitern zu trennen, gerade wenn sie sich viele Jahre stark für das Unternehmen eingebracht haben“, berichtet Inga Bauer. „Aber sie zu halten hätte noch mehr Kraft gekostet und die konsequente Neuausrichtung verhindert.“ So musste sie sich „nach einem vier Jahren dauernden Konfliktprozess“ mitten im Transformationsprozess vom Betriebsleiter trennen, weil der den Weg nicht mitgehen wollte: „Das hat das Unter­nehmen einen hohen fünfstelligen Euro-Betrag gekostet und stellte eine extrem schwierige Personalentscheidung dar. Aber wir brauchten zu diesem Zeitpunkt eine Führungskraft mit anderen Qualifikationen, da half alles nichts.“ Auch die Zeit danach war für sie nicht einfach: „Das Team konnte meine Entscheidung nicht nachvollziehen und hat rebelliert. Ich weiß, dass diese Neuausrichtung auch von den Mitarbeitern einiges abverlangt hat, aber ohne diesen Schnitt würde es das Unternehmen heute nicht mehr geben.“

Nach und nach kam dann der Erfolg und auch der Belegschaft wurde klar, dass es für eine Transformation nicht nur eine gute Idee, sondern auch Menschen braucht, die sie mittragen, sagt Inga Bauer zurückblickend. Sie ist stolz darauf, dass trotz des Change Prozesses die durchschnittliche Mitarbeiterzugehörigkeit 14 Jahre beträgt. In der Zeit als Firmenchefin hat sie schon einiges erlebt: Mitarbeiter, die nach einer Kündigung, egal von wem ausgesprochen, plötzlich bis zum Ausscheiden krank sind, dass Firmenwagen in einem vernachlässigten Zustand zurückgegeben wurden, und dass Inventar plötzlich fehlte. Ihr Learning: „Grundsätzlich stehe ich für eine ausgeprägte Kommunikations-Kultur bei wöchentlichen Shop-Floor-Meetings, Einzel- und Führungskreisgesprächen, um einen verträglichen Mix aus Fördern und Fordern hinzubekommen. Aber, wenn es nicht mehr passt, sollte man sich so schnell wie möglich wieder trennen, denn sonst gerät auch die Atmosphäre im ganzen Team in Mitleidenschaft.“ Sie meint, dass das deutsche Kündigungsrecht für die heu­tigen wirtschaftlichen Herausforderungen eine Anpassung erfahren sollte: „Durch das deutsche Arbeitsrecht sitzen Arbeitnehmer am längeren Hebel. Auch das trägt dazu bei, dass unsere Wirtschaft sich nicht schnell genug auf Veränderungen einstellen kann und agiler wird.“

Sven Dahlmann arbeitet seit über zehn Jahren beim Wuppertaler Unternehmen Gebr. Becker GmbH, einem in vierter Generation geführten Familienunternehmen, das sich auf Komponenten der Vakuum- und Drucklufttechnologie, unter anderem Vakuumpumpen, spezialisiert hat. Als HR Director ist er für rund 1.100 Mitarbeiter an weltweit 17 Standorten zuständig, leitet das HR-Team mit neun Mitarbeitenden. Der Wuppertaler sieht sich als „Prozessgestalter“, möchte als Vermittler zwischen den einzelnen Gewerken Lösungswege aufzeigen. Neben dem Recruiting beschäftigt er sich schon seit Längerem auch strategisch mit dem Thema Offboarding: „Dieser Prozess betrifft so fünf Prozent unserer Beleg­schaft jährlich. Natürlich sind da auch Menschen dabei, die wir gern halten würden. Wir führen wenn möglich ein vertiefendes Austrittsgespräch, im Rahmen dessen wir besonderen Leistungsträgern auch gern ein Comeback-Ticket anbieten. Falls sie es sich nach Wochen oder Monaten doch noch einmal anders überlegen, können sie dann mithilfe eines personalisierten QR-Codes bequem und direkt mit uns in Kontakt treten.“

Zwei-, dreimal sei dieser Prozess erfolgreich gewesen und das Unternehmen konnte so wertvolle Mitarbeiter wieder zurückgewinnen, sagt Sven Dahlmann: „Wichtig ist, dass man seinem Gegenüber offen gegenübertritt, auch Kritik annimmt und insgesamt einen menschlichen Umgang pflegt.“ Das gelte auch für die unangenehmeren Gespräche, in denen Kollegen gekündigt werden muss: „Wir schauen dann auch darauf: Was braucht die- oder derjenige, um sich umorientieren zu können? Und selbst, wenn nur vor Gericht eine Einigung erzielt werden konnte, wünsche ich mir, dass man sich danach noch einmal zusammensetzt und den Prozess beleuchtet.“ Wertschätzende Ausstiegsgespräche, so Sven Dahlmann, gehörten zur Unternehmenskultur: „Das muss gelernt werden und kann sich entwickeln. Ruhig und besonnen sollte man an ein solches Gespräch herangehen. Gerade, wenn ein Mitarbeiter aufgrund einer Kündigung sehr emotional reagiert, ist das besonders wichtig.“

Er lädt dazu ein, das Thema Offboarding zu enttabuisieren und konkret Guidelines zu formulieren: „Diejenigen, die ausscheiden, sind ja genauso Botschafter des Unter­nehmens wie diejenigen, die onboarden oder schon lange bei uns arbeiten. Wenn ich mich also von Anfang bis Ende des Arbeitsverhältnisses so verhalte, dass man sich respektvoll in die Augen schauen kann, sollte auch eine Trennung kein Problem sein, sondern Teil eines normalen Prozesses, einer Entwicklung des Unternehmens. Klarheit tut da gut.“ Zuletzt berichtet er von einer Begegnung von Miteigentümerin Dr. Dorothee Becker: „Eine langjährige Führungskraft, von der wir uns in diesem Jahr getrennt hatten, suchte nach der Trennung noch einmal das Gespräch mit ihr und bedankte sich dafür, dass man sich im Rahmen der Gespräche nicht als Gegner gegenübergestanden habe, sondern wir fair die Interessen des Unter­nehmens vertreten hatten, er seine. Dass Menschen diese Wertschätzung wahrnehmen, ist mir sehr wichtig.“

„Meiner Meinung nach findet das Thema Offboarding viel zu wenig Beachtung beziehungsweise wird unterschätzt“, sagt Christoph Bader, „dabei bietet es für beide Seiten viele Chancen.“ Diese Chancen lägen aufseiten der Arbeitnehmer vor allem darin, die eigene Performance sowie fachliche und persönliche Entwicklung zu reflektieren. Für Arbeitgeber birgt die Auseinandersetzung mit dem Weggang geschätzter Mitarbeiter vor allem ein großes Potenzial, die eigene Unternehmenskultur spiegeln zu lassen. „Wenn ich, kurz bevor der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin das Unternehmen verlässt, die Chance bekomme, ein ehrliches Feedback zu erhalten, ist das für mich als Führungskraft ein Geschenk, das ich gar nicht genug wertschätzen kann.“ Christoph Bader, der seit 18 Jahren zusammen mit Silke Otto als geschäftsführender Gesellschafter die werteorientierte Beratungsagentur Wertefabrik in Wuppertal leitet, appelliert daher an Personal-Verantwortliche und Führungskräfte, ein solch vertrauensvolles Gespräch in einem möglichst entspannten Rahmen auf jeden Fall anzubieten – natürlich nur dann, wenn das Tischtuch nicht zerschnitten ist.

„Ich habe auch schon erlebt, dass solche Gespräche mit etwas Abstand von zwei, drei Wochen erfolgt sind. Sie bieten dem Unternehmen eine unbezahlbare Chance, eine Einschätzung von außen zu erhalten, also von jemandem, der zwar einerseits genau weiß, wie das Unternehmen tickt, sich aber unbelastet ‚trauen‘ kann, klar zu definieren, was seiner Meinung nach gut und was nicht gut lief“, so der studierte Betriebswirt und Organisationsentwickler. Am Ende gehe es um Unternehmenskultur und „Anstand in der Arbeitswelt“, so Christoph Bader, angelehnt an die Thesen von Reinhard K. Sprengler in seinem Buch „Das anständige Unternehmen“. „Sowohl diejenigen, die die Trennung von Unternehmensseite vollziehen, als auch diejenigen, die das Unternehmen verlassen, sind Botschafter der Firma – erstere als diejenigen, die eine wertebasierte Unternehmenskultur bestenfalls bis ins Offboar­ding tragen, und zweitere, die am neuen Arbeitsplatz und in ihrem Umfeld von der Art und Weise berichten, wie sie verabschiedet wurden.“

In diesem Zusammenhang weist er auch auf die Rolle von Alumni-Netzwerken hin, die es vor allem an Hochschulen und in größeren Unternehmen zunehmend gibt: „Sie bieten Zugang zu Veranstaltungen und Networking und fördern so das Community-Building. Auch mittelständische Unternehmen sollten nach diesem Vorbild überlegen, welche Angebote sie scheidenden Mitarbeitenden machen können.“ Grundsätzlich befürwortet er, das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer als eine „Leistungspartnerschaft“ zu betrachten. „Auf dieser Basis gelingt es aus meiner Sicht recht gut, auch im Falle einer Kündigung auf die Situation eher rational zu reagieren“, so Christoph Bader.

Beim Wuppertaler Unternehmen Riedel Communication“ mit rund 30 Standorten in Europa, Asien, Amerika und Australien arbeiten aktuell über 1.000 Menschen welt­­weit. Ingenieure, Software-Entwickler und Veranstaltungstechniker, sorgen für die Kommunikationstechnik unter anderem von Olympischen Spielen, Fußball-WMs und Formel 1-Rennen. Christian Rath ist seit 2013 dabei, seit 2025 „Head of Organizational Development“: „Grundsätzlich ist mir und uns sehr wichtig, dass alles, was wir tun, mit einer wertschätzenden Haltung geschieht, auch, wenn wir uns von Menschen verabschieden. Es nutzt der tollste festgeschriebene Prozess nichts, wenn diese Grundvoraussetzung nicht greift.“ Zu dieser respektvollen Unternehmenskultur gehören auch Exit-Interviews: „Da besprechen wir: Was können wir besser machen? Was läuft gut?“ Mit den Ergebnissen setzen sich gegebenenfalls auch die „People Business Partner“ auseinander, sagt er: „Daraus kann Entwicklungsbedarf entstehen, das besprechen wir dann.“ Denn klar ist für ihn: „Der ausscheidende Mitar­beiter ist nicht von Hierarchie beeinflusst, kann frei von gefühlten Einschränkungen sprechen. Also wollen wir gern auch daraus lernen.“

Als durch die Corona-Pandemie das Geschäftsfeld von Riedel stark eingeschränkt war, entschied sich die Führung, sich von circa zehn Prozent der Belegschaft zu tren­nen: „Das ist uns extrem schwergefallen. Aber wir haben vor allem am Standort Wuppertal versucht, den Mitarbeitern über eine Beschäftigungsgesellschaft Unterstützung bei einer Neuorientierung zu bieten. Dafür haben wir auch Geld in die Hand genommen. Das Ergebnis war toll: Rund 80 Prozent unserer Leute konnten Tätigkeiten in ganz anderen Bereichen außerhalb unserer Branche finden. Genau das war ja unser Ziel – dass sie neue Perspektiven finden. So sind wir auch mit vielen von ihnen im Gespräch geblieben, und ja, einige wenige sind dann tatsächlich zurückgekommen. Das belegt ja, dass sich unsere Haltung des ‚Türen offen-Haltens‘ bewährt.“ Denn seiner Meinung nach beweist sich Kultur gerade in schwie­rigen Zeiten: „Auch deshalb wurden damals alle rund 80 Führungskräfte auf das Führen von solchen Kündigungsgesprächen durch Schulungen vorbereitet. Nicht alle mussten diese Gespräche führen, aber sie sollten wissen, wie es den anderen damit geht.“

Im internationalen Vergleich nimmt Chris­tian Rath große Unterschiede wahr: „Bei den Kollegen in Nordamerika sind Exit-Gespräche gelernte Kultur. Es gibt eine konkrete Erwartung, dass das stattfindet, und man würde es merkwürdig finden, wenn wir nicht dazu einladen. Da wird dann auch ziemlich offen gesprochen, cards on the table. In Asien hingegen gibt es diese Art von Gesprächen kaum, Feedbacks sind eher indirekt.“

Wer geht, muss auch digital und technisch „abgenabelt“ werden. Darauf verweist Lars Rückemann, Geschäftsführer bei Codecentric in Solingen. Er erinnert daran, dass beim Austritt eines Mitarbeitenden neben der Rückgabe von Geräten auch Zugänge gesperrt und Wissen kontrolliert übergeben werden sollten.

Text: Liane Rapp

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