Arbeitszufriedenheit - Überzeugen durch Authentizität
Im Interview spricht Prof. Michael Fallgatter von der Bergischen Universität über die fünf Dimensionen von Arbeitszufriedenheit – und warum er den Begriff „Work-Life-Balance“ nicht mag.
Herr Prof. Fallgatter, für ein nachhaltig erfolgreiches Employer Branding muss die Arbeitgebermarke auch tatsächlich stark sein – was gehört dazu?
Die Begriffe Employer Branding und Arbeitgebermarke sind weit verbreitet und tragen die Vorstellung in sich, dass man – ähnlich wie beim Gang durch den Supermarkt – unwillkürlich zu einer bestimmten Chips- oder Schokoladensorte greift. Doch Arbeitgeber wirken oft deshalb attraktiv, weil ihre Produkte oder Dienstleistungen positiv auf sie abstrahlen.
Wann aber wirken die eigentlichen Employer Branding-Aktivitäten?
Solche Aktivitäten wirken nur dann, wenn bei Bewerbenden die Erwartung einer mittelfristigen Arbeitszufriedenheit entsteht. Sie beruht auf fünf Dimensionen: Arbeitsaufgabe, Perspektiven, Vergütung, Kolleginnen und Kollegen sowie Führung. Wer überzeugen will, sollte zeigen, wie diese Dimensionen gestaltet sind. Authentische Einblicke durch Mitarbeitende wirken glaubwürdiger als Hochglanzfilme.
Stichwort Vergütung: Welche Rolle spielen Gehalt und Lohn?
Die Rolle von Lohn und Gehalt ist unverändert groß. Das Sozioökonomische Panel, die größte und am längsten laufende multidisziplinäre Langzeitstudie dieser Art in Deutschland, zeigt seit den 1980er-Jahren, dass Karriere und finanzielle Ansprüche stabil hohe Bedeutung besitzen. Auch heutige Generationen streben nach Geld und wollen sich ähnlich viel leisten wie frühere.
Sie haben das positive „Abstrahlen“ von Produkten und Dienstleistungen genannt: Wie wichtig ist das Geschäftsmodell für das Employer Branding? Wie sehr braucht man eine Identifikation mit dem täglichen Tun?
Das Geschäftsmodell vermittelt, was im Unternehmen getan wird. Genauso leitet man unweigerlich Vorstellungen zu Aufgaben, Kolleginnen und Führung ab. Arbeitszufriedenheit als solche wird jedoch nicht durch das Geschäftsmodell festgelegt. Gleichwohl scheinen es manche Branchen einfacher zu haben als andere. Leicht haben es in der Tat Branchen, die sichtbar, sinnstiftend und kommunikativ geübt sind – etwa Gesundheitswesen, Bildung oder erneuerbare Energien. Schwieriger ist es dort, wo Routine dominiert. Entscheidend ist jedoch die Kommunikation: Auch Handwerksbetriebe können faszinieren, wenn sie zeigen, welchen Wert ihre Arbeit schafft. Der Eindruck von mittelfristiger Arbeitszufriedenheit hängt nicht an der Branche.
Welche Perspektiven können Unternehmen ihren Mitarbeitenden noch bieten, wenn die Zukunft mehr denn je unberechenbar scheint?
Konkurrenzdruck, neue Technologien, Zölle oder Krisen schaffen Unsicherheit. Das erschwert langfristige Planung, erlaubt aber weiterhin mittelfristige Arbeitszufriedenheit. Umweltunsicherheit verändert nur den Rahmen, in dem Erwartungen entstehen. Arbeitgebermarketing und Rekrutierung lassen sich auch unter Unsicherheit gezielt gestalten.
30 Jahre oder mehr in einer Firma – wird es das in naher Zukunft überhaupt noch geben?
Wenn Unternehmen so lange bestehen, wird es auch weiterhin lange Beschäftigungszeiten geben. Angesprochen ist die organisationale Selbstbindung, oft Commitment genannt. Sie beruht auf drei Dimensionen: affektiv, kalkulatorisch und normativ. Affektiv wirken Kolleginnen und Kollegen bindend. Kalkulatorisch wägen Menschen ab, was ein Verbleib relativ zu einem Wechsel bringt. Normativ entsteht Bindung durch gefühlte Verpflichtung, etwa nach Investitionen in die Qualifikation. Umbrüche und Optionen nehmen zu. Dies ist jedoch kein Argument, warum es langjährige Beschäftigungsverhältnisse nicht mehr geben sollte.
Die „Work-Life-Balance“ ist ein fest etabliertes Schlagwort – zu Recht?
Ich mag den Begriff nicht. Er stellt Arbeit dem Leben gegenüber – eine falsche Vorstellung. Arbeit ist ein Teil des Lebens: Sie bringt Struktur, schafft Beziehungen und prägt Identität. Zudem stammt der Begriff nicht von den Jüngeren. Geprägt haben ihn die Babyboomer, die am Ende ihres Berufslebens feststellen, dass für vieles keine Zeit blieb. Jüngere greifen das Thema nur auf. Sie können es sich leisten, denn der Arbeitsmarkt ist von Knappheit geprägt.
Das Gespräch führte Daniel Boss.