Citys im Wandel - Weitblick
Die Innenstädte im Bergischen Städtedreieck verändern sich. Umgestaltungs-Konzepte liegen bereit oder werden schon umgesetzt. Die Frage ist: Wie soll die Innenstadt der Zukunft aussehen?
Konsumfreie, saubere Areale. Grünflächen, Sitzgelegenheiten, Wasserspiele, Gemeinschaftsgärten. Bouleplatz, überdachte Bühne. Kleine Gastronomien. Inhabergeführte Geschäfte. Häuser des Wissens, der Urbanen Produktion. Beleuchtung. Barrierefreie Wege, fußläufige Entfernungen. Ruhe-Inseln, belebte Flecken. Platz für alle Generationen, Vielfalt. So könnte grob ein Modell einer modernen, nachhaltigen Innenstadt aussehen. Die Akteure? Handel und Dienstleistung. Kommune und Stadtdienste. Eigentümer. Vereine. Politik. Initiativen. Bildungsstätten, Kirchen. Bürger. Sie alle sollten mitsprechen bei der Planung einer zukunftsfähigen Innenstadt. Ein nicht eben geringes Maß an Komplexität ist programmiert. Insbesondere bei dezentral strukturierten Städten mit mehreren Zentren. Ganz zu schweigen von heterogenen Zuständigkeiten, Interessen, Vorgaben. Wagen wir einen Versuch, uns ein Bild zu machen: Wie schreitet die Innenstadtentwicklung im Bergischen Städtedreieck voran?
Die Strategie „Wuppertal 2025 – mehr Lebensqualität für Wuppertal“ bündelt 13 Schlüsselprojekte, um die Stadt zukunftsfähig zu machen. Ein Projekt aus dem Strauß ist die Qualitätsoffensive Innenstadt. Nach dem Start im Juni 2016 tauschten sich Interessengruppen, Akteure und Bewohner über Vision und Handlungsleitfaden für Elberfeld aus. Eines der vereinbarten Ziele: fast alle Stadtplätze, die wesentlichen Fußgängerzonen und Verkehrsachsen neugestalten, darunter Wall, Neumarkt, Karlsplatz, Platz am Kolk. Daraus entstand das 2019 vom Rat der Stadt beschlossene ISEK Innenstadt Elberfeld (Integriertes Städtebauliches Entwicklungskonzept). Das zielt neben nachhaltiger Entwicklung unter anderem auf Klimaschutz ab und integriert die Projekte der Qualitätsoffensive. Klingt gut. Die Kritik: Die Umsetzung dauert zu lange.
Die ISEK-Elberfeld-Umsetzung umfasst das Projekt „Elberfeld 2030“. Zwecks Synergieeffekten sind daran die Wuppertaler Stadtwerke mit der Ausweitung ihres Fernwärmenetzes bis in die City beteiligt. Dafür müssen 24 Kilometer Rohre verlegt werden. Abgeschlossen ist das Projekt „Talwärme“ wohl erst 2034. Da braucht es einen langen Atem: Notwendiges Übel ist der Aufriss zahlreicher Straßen in der Innenstadt. Ihrer Neugestaltung gehen jede Menge Straßenlöcher voraus. Aktuell befindet sich die Wanderbaustelle in der Fußgängerzone an der Poststraße. Dort verzögert es sich wegen neuer Gesetzesauflagen, zudem müssen archäologische Funde umfassend untersucht werden. Baustellen-Betroffene haben eine Ansprechperson – ein Ergebnis der Innenstadtkonferenz Elberfeld im Mai. Ein Sofort-Programm, um die Situation etwas zu entspannen. „In der Innenstadt zu bauen ist Millimeterarbeit“, sagt Rüdiger Bleck, Leiter des Wuppertaler Ressorts Stadtentwicklung und Städtebau. „Rettungswege, Erreichbarkeit der Läden, Bodendenkmalpflege: Auflagen machen die Bauarbeiten anspruchsvoll. Trotzdem ist es ein Meilenstein, da wir langfristig in die Gestaltung des öffentlichen Raumes und die Attraktivitätssteigerung der Innenstadt investieren.“ Dies jedoch nachvollziehbar an Bürger und Händler zu kommunizieren, sei schwer. Dennoch gibt es erste Maßnahmen zur Innenstadt-Aufwertung: die Neugestaltung des Von-der-Heydt-Platzes mit goldenen Bänken. „Parallel haben wir schon viele Nebenachsen in der Elberfelder und der Barmer City saniert.“
Ortswechsel: Die Galeria Kaufhof schließt zum 31. Januar 2024. Was mit der 1910 bis 1912 erbauten Immobilie am zentralen Verbindungspunkt Neumarkt passiert, ist bis zum Redaktionsschluss unklar. Das Wuppertaler Ressort für Stadtentwicklung und Städtebau wirbt Fördermittel ein, um im Schließungsfall mit Maßnahmen zur Um- oder Neunutzung zu unterstützen. Eine potenzielle Herausforderung, die sich aber meistern lässt – das machen andere Städte vor. In Lünen wird ein ehemaliges Hertie-Gebäude, das lange leer gestanden hatte, seit etwa sechs Jahren erfolgreich im Mix genutzt. Ins Erdgeschoss zogen inhabergeführte Geschäfte, darüber gibt es Arztpraxen und Wohnungen, teils mit Gärten. Die Aufwertung spiegelte sich in der Ansiedlung neuer Ladenlokale im Umkreis. Gleicher Effekt in Oldenburg, nachdem man ein Gebäude nicht mehr für den Einzelhandel reservierte, weil das Konzept nicht aufging. Nun besteht das „Core“ aus einer belebten Markthalle mit Street-Food-Ecken und Arealen für Austausch, einer Bühne, Bar, Wohnungen, Co-Working-Space. Ein „urbanes Umfeld“ als „Nährboden für modernes Arbeiten und Leben“, ein „Schaufenster für Hochschulen, etablierte und neue Unternehmen sowie Kulturangebote“, heißt es auf der Core-Website. Diese und weitere Beispiele machen Hoffnung, dass auch das Galeria-Gebäude in Wuppertal künftig zu einer Schnittstelle für verschiedene Disziplinen, Aktivitäten und Zielgruppen werden kann.
Es gibt schon jetzt positive Veränderungen in der Elberfelder City. Dr. Marco Trienes, bis Oktober stellvertretender Vorstand der Wuppertaler Wirtschaftsförderung (WF), benennt Weiterentwicklungs-Bausteine am Döppersberg, etwa Ansiedlungen entlang der Geschäftsbrücke, die moderne Sparkassen-Filiale im runderneuerten Köbo-Haus, den Wupperpark Ost mit Tourismus-Info, der 2023 öffnende Club im Tiefbunker. Unter der modernisierten Schwebebahn-Haltestelle zog Gastronomie ein. Auch das Gebäude der ehemaligen Bundesbahndirektion bekommt neue Mieter: Einheiten von Stadtverwaltung, Bergischer Uni, Jobcenter. Ein IT-Unternehmen ist schon da. In der Rathaus Galerie am anderen Ende der City habe man dank Investitionsbereitschaft des Eigentümers „den Tiefpunkt überwunden“, sagt Trienes. Hohe Leerstände an der Adresse Klotzbahn 5 seien passé – weil Misch-Nutzung reinen Einzelhandel ablöse. „Hier funktioniert bereits im Kleinen, was Vorbild für die Innenstadt sein kann. Die muss ebenfalls multifunktionaler werden.“ Vorigen Herbst zogen die ersten Lehrstühle des Instituts für Psychologie der Bergischen Uni in die Rathaus Galerie ein. An der Friedrichstraße sitzt die IU Internationale Hochschule GmbH. Für Trienes ein „urban integrierter Wissenschaftsstandort, der den Norden der City positiv verändern wird“.
Weitere vielversprechende Perspektiven bietet das Projekt InnenBandStadt, das der Bund bis Ende August 2025 fördert. „Wuppertal ist eine polyzentrische Bandstadt“, sagt Trienes. Elberfeld und Barmen weisen demnach unterschiedliche Strukturen, Entwicklungen und Zentralitäten auf. Allerdings finde man viele zentrale Funktion auf der verbindenden Achse wie den Campus Haspel der Bergischen Universität, das Museum für Frühindustrialisierung und das Engels-Haus sowie das Opernhaus. „Die Achse kann und soll so viel mehr sein als ein Transferraum.“ Dazu soll das Projekt erste Anstöße geben, etwa durch temporäre Ansätze und Reallabore. Im Rahmen des Projekts bestehe die Aufgabe der Wirtschaftsförderung darin, neue Konzepte in leeren Ladenlokalen anzusiedeln. Dabei gehe es nicht nur um Einzelhandel, sondern etwa auch um urbane Produktion, gemeinnützige Aktivitäten, Kultur oder Gastronomie. Trienes: „Die Konzepte sollen einen Beitrag zur Attraktivitätssteigerung und Multifunktionalität leisten. Wir wollen Unternehmen für einen Standort in der City begeistern. Die ausgewählten Unternehmen erhalten eine zeitlich befristete Mietreduzierung sowie ein Coachingprogramm.“
Der Platz am Kolk wurde kürzlich zur Bühne der ersten InnenBandStadt-Aktion: Er wurde autofrei und bot Platz für Zusammenkunft und Events – ein Schritt in die Zukunft, ein Eindruck davon, wie sich Orte in der Innenstadt künftig nutzen ließen. Die Aktion geht, ebenso wie die weiter oben beschriebene Qualitätsoffensive, zurück auf die Initiative des BDA – Bund Deutscher Architektinnen und Architekten Wuppertal, der die Stadtspitze seit Jahren zur Entwicklung der City-Zentren berät. Markus Rathke, erster Vorsitzender des BDA, ist stolz darauf, dass die Stadt knapp 45 Millionen Euro Fördermittel für die Projekte der Qualitätsoffensive erhielt. „Ein Riesenerfolg, der die neue Herangehensweise zeigt: Man hat jetzt verstanden, dass es für nachhaltige Innenstadtentwicklung einen Masterplan und die Beteiligung der Öffentlichkeit braucht. Als Basis zur Generierung von Fördergeldern und zur Planungssicherheit an den einzelnen Standorten.“ Ein Flickenteppich aus Einzel-Maßnahmen sei nicht zielführend. „Die Innenstadt erhält ihre Existenzberechtigung nicht allein durch den Handel. Gebraucht werden öffentliche Räume mit echter Qualität.“ Bei der Stadtverwaltung sieht Rathke mittlerweile die Bereitschaft, „jahrzehntelange Blockaden aufzugeben.“ Zwar bremse die Fernwärme-Wanderbaustelle die Aufbruchstimmung massiv, aber man müsse nach vorn sehen. „Der BDA glaubt trotz aller Widrigkeiten an die Stadt. Bei den Ideen der internationalen Architektur-Stars für das Pina-Bausch-Zentrum kommt doch wieder Enthusiasmus auf. Dann wird auch die Kluse wieder stark.“
Und dieses Interesse, der Innenstadt neue Strahlkraft zu verleihen, teilten doch alle Beteiligten, findet Katrin Becker, Center-Managerin der Wuppertaler City-Arkaden und IHK-Vizepräsidentin. „Wir haben alles dafür. Wir müssen es nur sinnvoll zusammensetzen.“ Und die Öffentlichkeit mitnehmen – gerade mit Blick auf die Langzeit-Baustelle bedürfe es offener, sichtbarer Kommunikation. Doch auch die Beteiligten müssten enger zusammenrücken. Teilweise pralle williges Ehrenamt auf starre Strukturen, mal sei Historie, mal seien Zuständigkeits-Unsicherheiten ein Hemmschuh. „Die Situation ist nicht entspannt. Zwar kann es niemanden geben, der sich den Hut aufsetzt. Aber es geht auch nicht darum, was eine Person oder Gruppe will, sondern darum, was alle zusammen wollen. Da müsste einer schlicht sagen: Wir fangen damit jetzt an, um die Entwicklung voranzutreiben.“ Das sei etwa beim Einzelhandel unabdingbar. „Sollte eine Immobilie wie der Kaufhof nächstes Jahr tatsächlich leer stehen, muss das restliche Umfeld stimmen, um die Zeit bis zu einer Nachvermietung zu überbrücken.“ Natürlich profitierten auch die City-Arkaden von einer lebendigeren Innenstadt. Wichtig für letztere: das Gesamtkonzept. „Es geht nicht mehr nur um Einkaufen, sondern auch um Arbeit und Leben. Das passiert nicht mehr an getrennten Orten. Wir müssen den Menschen passende Perspektiven aufzeigen. Diesen Blick über den Tellerrand hatte unsere Stadt wegen der gewachsenen Industrie bisher nicht nötig. Das hat sich geändert.“ Immobilienbesitzer sollten etwa besser über die Bedürfnisse der Menschen in der City aufgeklärt werden, um entsprechend mitzuentscheiden. Selbstverständlich gehört dazu, Wünsche und Entwicklungen zu erkennen. Was diejenigen brauchen, die tatsächlich in die Innenstadt kommen, wurde lange vernachlässigt. Auch die Wege, die diese Menschen machen, sind entscheidend, um die Zukunft der Innenstadt in die richtige Bahn zu lenken. Langsam setzt sich diese Erkenntnis durch.
Derweil steht dem Remscheider Allee-Center ab dem 1. September seine Neueröffnungswoche bevor. Die Modernisierung erfolgte überwiegend während des laufenden Geschäftsbetriebs. Financier von mehr als 25 Millionen Euro ist der Vermögensverwalter DWS, Planung und Umsetzung liegen beim Center-Betreiber ECE Marketplaces. Eine mutige und unternehmerische Entscheidung in herausfordernden Zeiten, findet Center-Manager Nelson Vlijt. „Ansatz war, uns als innerstädtisches Center zukunftssicher aufzustellen. Abseits von Miet-Erträgen.“ Teil des Ergebnisses sei neben der Neuansiedlung mehrerer Shops der Zusammenhalt der Centergemeinschaft. „Viele Krisen sind im öffentlichen Fokus, da ist uns eine offene Kommunikation wichtig, die Identität schafft“, sagt Vlijt. Etwa gab es im März ein Retailer-Event zur Vorstellung des Standorts Innenstadt. „Das Gefühl dafür, wer oder was der Standort eigentlich ist, geht ohne Frequenz und Lebendigkeit verloren. Wir konnten potenziellen Mietern mit echten Kunden und authentischen Schilderungen bestehender Mietpartner entscheidenden Input geben.“ Anders formuliert: Neue profitieren von Bestehenden, Laufkundschaft spielt eine wichtige Rolle. Im besten Fall befruchten sich Center und Alleestraße gegenseitig zu einem attraktiven Aufenthalt in der Innenstadt.
Wie also die Alleestraße wieder lebendiger machen? Auch dafür ist Kommunikation das A und O. Vlijt sieht da Optimierungspotenzial. Erste Erfolge seien in Form von Sitzbänken und eines Beleuchtungskonzepts schon erzielt, sagt der einstige Vorsitzende der Ende 2020 ausgelaufenen Immobilien- und Standortgemeinschaft (ISG) Alleestraße e. V.: sichtbare Maßnahmen aus dem 2015 beschlossenen Revitalisierungskonzept. Eine große Herausforderung sei die Menge der Akteure mit ihren jeweiligen Perspektiven sowie unterschiedlich ausgeprägter Veränderungs- und Kooperationsbereitschaft. „Über den Weg zu einer lebendigen Innenstadt besteht nicht immer dieselbe Auffassung. Doch einem produktiven Austausch müssen sich alle stellen.“ Für Vlijt gehören zu einer zukunftsfähigen City mehr Funktionen, Besuchsanlässe, vor allem in Erdgeschosslagen. In den oberen Etagen hätten sich Wohn- und Arbeitsraum teils schon etabliert. Um die zentrale innerstädtische Lage als Nutzenbündel in alle Richtungen aufzubauen und zu kommunizieren, sei eine professionelle Führung der Marke „Innenstadt“ essenziell. „Die Ansiedlung von neuen Konzepten muss attraktiv gemacht werden, um Investitionen zu fördern.“ Für ein gemeinsames Vermarktungs- und Aktionsbudget wäre die ISG Alleestraße ein Vehikel gewesen. Die ISG öffentlichen Rechts war zur Aufwertung der Alleestraße gegründet und diesem Zweck bis zum offiziellen Auslauf 2021 gerecht geworden. Eine Weiterführung wäre wünschenswert gewesen, kam aber bisher nicht zustande.
Von der Innenstadt als Ort der Kommunikation spricht auch Christina Kutschaty, Leiterin Fachdienst Stadtentwicklung, Verkehrs- und Bauleitplanung bei der Stadt Remscheid. Indem sich die äußere Identität verändere, indem architektonische Charakteristika herausgearbeitet und Grünflächen mit Wasserstellen erschlossen würden, erhöhe sich – insbesondere angesichts des Klimawandels – die Aufenthaltsqualität. Die wiederum fördere die Ansiedlung von Gastronomie und weiteren Betrieben. Dritte Orte jenseits von Handel und Gastronomie seien vielversprechende Treffpunkte für unterschiedliche Zielgruppen. „Sie können vielfältige, niederschwellige Plattformen im Stadtzentrum sein, wo sich Menschen austauschen. Über Banales, Kunst, Kultur, Reparatur, Gesundheitsvorsorge, Nachhaltigkeit.“
Das seit 13 Jahren leer stehende ehemalige SinnLeffers-Gebäude soll nach dem geplanten Abriss so ein Ort werden, mit Kultur und Gastronomie. Die Stadt steht in Verhandlung mit dem Grundstückseigentümer. Auch das gegenüberliegende ehemalige Kino wartet auf den Kauf seitens der Stadt. Danach soll es zugunsten eines Durchgangs zum neuen Busbahnhof abgerissen werden. Neben den beiden Großprojekten macht sich auf der Alleestraße vor allem im unteren Abschnitt der Leerstand bemerkbar – etwa 20 der etwas mehr als 100 Ladenlokale sind nicht vermietet. In einem davon arbeiten seit September 2022 zwei Innenstadtmanager. Auch ein Sanierungsmanagement soll dort einziehen, berichtet Kutschaty, und ab Januar einmal wöchentlich Bürgerfragen beantworten. Zukunftsmanager David R. Froessler akquiriert von dort neue Mieter. Im Dezember endet planmäßig seine Verpflichtung. „Wir schreiben die Stelle neu aus“, sagt Kutschaty. Die Stadt sei zentraler Akteur und Impulsgeber und ermögliche wichtige Investitionen, so Kutschaty. „Aber nicht unter alleiniger Hoheit, sondern immer unter Teilhabe von Öffentlichkeit und Politik. Wir können ein Grundgerüst bilden, in dem sich andere wiederfinden, und müssen eng mit Eigentümern und Bewohnern zusammenarbeiten. Immerhin planen wir nicht für die Kommune, sondern für ihre Menschen.“ Die Leerstände an der Alleestraße bräuchten ein strategisches Management mit Blick auf Langzeit- statt auf temporäre Nutzung. „Wir starten vor dem Hintergrund der Sanierungssatzung mit dem Rahmenplan, Einzelhandel vorwiegend im oberen Drittel der Alleestraße und im restlichen Teil Wohnen, Dienstleistung, Freizeit und Gastronomie zu konzentrieren“, schildert Kutschaty. Außerdem hat die Stadt im Juni einen Versuch, die Alleestraße in beide Richtungen per Rad befahrbar zu machen, gestartet. Das könnte ein zusätzlicher Frequenzbringer sein.
In Remscheid-Lennep indes rückt der Bau eines Outlet-Centers näher. Die Dezentralität erfordert es, dass sich die Stadt neben der Alleestraße auch um dieses zweite Zentrum mit seiner historischen Altstadt kümmern muss – und eben wohl bald auch um ein Outlet Center, das möglichst keine Kundschaft abwirbt. Am 19. Juni stimmte der Stadtrat dem Verkauf des 7,5 Hektar großen Geländes im Bereich von Röntgen-Stadion, Jahnplatz und Kirmesplatz an Unternehmer Philipp Dommermuth zu. „Jetzt geht es darum, die Eckpunkte zugunsten von Synergie-Effekten zu gestalten“, sagt Bärbel Beck, Vizepräsidentin der Bergischen IHK. Die Vollversammlung begrüße ebenso wie das Präsidium die Planungen – mit wenigen Gegenstimmen. Doch es gebe weiterhin hohen Informationsbedarf, insbesondere zum Timing der Maßnahmen, zur Positionierung mit hochwertigen Marken und zur räumlichen Anbindung an die Lenneper Altstadt. „Die Bautätigkeiten sollten möglichst in einem Schritt erfolgen, ohne Unterbrechungen, die das Ganze in die Länge ziehen“, sagt Beck. Ein „Soft Opening“ mit zunächst etwa 14.000 und im Nachgang weiteren 4.000 Quadratmetern sei nicht wünschenswert, zwischen der Fertigstellung beider Bauabschnitte dürften keinesfalls noch einmal fünf Jahre liegen. „Wir brauchen Planungssicherheit für die gesamte Stadt, um Perspektiven zu haben.“ Zudem solle von Beginn an gewährleistet sein, dass Kundschaft in ansprechender, bewirtschafteter Umgebung schnell in die Altstadt gelangen könne – ohne Zwischenlösungen wie provisorische Grünflächen. Eine passive Landschaft auf Zeit ebenso wie eine Folge-Baustelle zwischen erster Centerfläche und Altstadt sei zu vermeiden. „Es geht nicht einfach um ein stimmiges Outlet. Stadt und Umland müssen mitgenommen werden. Inklusive Anwohner“, sagt Beck. Als Inhaberin des Modehauses Johann in Lennep spricht sie auch für den Einzelhandel: „Der Stadtteil muss erhalten und konkurrenzfähig bleiben. Verweildauer, Parkkapazitäten, Verkehrsaufkommen, Warensortiment: Das gilt es vorab unabhängig prüfen zu lassen.“ Durch das Center würden etwa die ohnehin knappen Parkplätze mit direktem Altstadt-Anschluss überbaut werden – bisher ohne geplanten Ersatz.
Natürlich sei es schwierig, bei der Lösungsfindung sämtliche Beteiligten zufriedenzustellen. Über allem stehe jedoch die Frage nach dem Leitbild – des Stadtteils, der Stadt, des Städtedreiecks. Tourismus, Kultur und Lebendigkeit seien Stichworte. Alles, was Frequenz bringe und die Orte auch für nachfolgende Generationen lebenswert mache, sei wichtig, damit diese weiter funktionierten. „Menschen suchen Individualität.“
Die Stadtverwaltung Solingen hat mithilfe des Anmietungsfonds „WIN – Wagen. Investieren. Nutzen.“ rund 20 neue Mieter für die vom Leerstand geplagte Hauptstraße und weitere Straßen in der Fußgängerzone gewonnen, darunter Nachhilfeschule, Gastronomie, Salzgrotte mit Kindercafé. Als Stadt teure Ladenlokale in Citylagen anzumieten und fondsgestützt preiswerter unterzuvermieten, sehen viele als richtigen Schritt. Um Mieter zu ermutigen, auch neue Nutzungskonzepte auszuprobieren. Natürlich sind Unternehmen à la Textil-Discounter und Süßwaren-Outlet – siehe Wuppertaler Wall – mit Blick auf hohe Mieten im Vorteil, weil sie sich diese eher leisten können. In der Folge fehlt den Innenstädten jedoch das Charakteristische. Ein Alleinstellungsmerkmal ist aber notwendig, um die individuelle Strahlkraft zu erhöhen, Publikum zu holen und zu halten.
Eine weitere Neuansiedlung an der Solinger Hauptstraße ist die Gläserne Werkstatt, ein Projekt der Stadtentwicklungsgesellschaft Solingen GmbH & Co. KG, eröffnet im Oktober 2022. „Sie macht neue Nutzung in der Innenstadt lebendig, ist kreativer Ort, Plattform für regionale Produkte und Produzenten und bringt urbane Produktion zurück“, sagt Programmleiterin Gloria Göllmann. „Sie ist Zukunftswerkstatt für die Gesellschaft und Treffpunkt für Menschen, die sich für ein gutes, nachhaltiges Leben stark machen.“ In den ersten sechs Monaten gab es mehr als 100 Veranstaltungen. Das tut Hauptstraße und Umgebung gut. Unabhängig davon verzeichnet auch das Bachtor Centrum wieder mehr Mieter. Im Herbst soll der Mühlenplatz vor den Clemens-Galerien nach einigen Bauverzögerungen fertig saniert sein. Der Abriss der Immobilien-Kombo der ehemaligen Kaufhäuser Peek & Cloppenburg sowie Galeria Kaufhof verschiebt sich weiter.
Der Solinger Leitfaden für eine zukunftsfähige Innenstadt liegt dem 2019 beschlossenen Integrierten städtebaulichen Entwicklungskonzept „City 2030“ zugrunde. Dafür hatte die Stadt externe Gutachter hinzugeholt. Anwohner, Immobilieneigentümer und weitere Akteure brachten Ideen ein, wie der öffentliche Raum gestaltet, Grünflächen aufgewertet und leere Gebäude umgenutzt werden können. „Die Stadt hat sich frühzeitig auf den Weg gemacht, um ein Solingen von Morgen zu konzipieren“, kommentiert Stadtplanerin Miriam Macdonald. Die fortschreitende Transformation in Bereichen wie Handel, Mobilität und Freizeitgestaltung mache neue Angebote zu Wohnen, Gastronomie, Bildung und Kultur notwendig. Um neue Zielgruppen in die Stadt zu holen, müssten neue Anlässe geschaffen werden. „Die Leute fordern es nach der Pandemie wieder ein, draußen etwas zu erleben. Nicht nur Veranstaltungen, sondern auch Aufenthaltsräume“, sagt Macdonald.
Dabei darf auch nicht der Konsum im Vordergrund stehen. Wohlstandsshoppen hat ausgedient, jetzt laden in erneuerten Innenstädten Orte dazu ein, dort einfach nur zu sein. Das soll auch im Bergischen Städtedreieck eins der Ziele sein: dass Menschen schlicht die Umgebung genießen. „Dazu gehört das passende Mobilitätskonzept“, sagt Stadtplanerin Macdonald. Fußgänger und Fahrradfahrer spielten eine zunehmend wichtige Rolle. „Wir dürfen uns nicht nur darauf eingrenzen, wie die Menschen in die Stadt hinein- und wieder hinauskommen. Wir müssen Möglichkeiten schaffen, sich in der City zu bewegen.“ Auch hinter diesem Gedanken steht der Mensch als Dreh- und Angelpunkt. Seine Bedürfnisse zählen, eine moderne Innenstadt darf nicht für Autos gebaut sein. Seit Herbst unterstützen zwei Solingerinnen das Innenstadtmanagement in Networking und Kommunikation. Vor diesem Hintergrund entstand das Solinger CityLab: Unterschiedliche Akteure lassen Projekte entstehen – und fördern damit ein Gemeinschaftsgefühl. „Damit kann sich ein neuer Geist entwickeln.“
Eine Aufwertung der Innenstadt kann eben nicht losgelöst von den Menschen betrachtet werden. Sie gehören in den Fokus. „Wollen wir unsere Städte entwickeln, müssen wir uns entwickeln. Nicht auf eigenen Strukturen beharren, sondern gemeinsam ergründen, wer wir sind und was wir wollen“, sagt Gloria Göllmann. Dass Ansichten aufeinanderprallten, müsse man aushalten. „Gesellschaft, Menschen, Gemeinschaft – das ist Arbeit. Wie in einer Beziehung.“ Derzeit seien Kommunikation und Vermittlung von Zielen in Sachen Zukunft der Innenstadt noch schwierig. Man brauche gemeinsame Visionen sowie den Mut, Offenheit und die Flexibilität, bei einem Schritt in die falsche Richtung den nächsten eben in eine andere zu machen. „Alle wollen Glück und Sicherheit in der Stadt finden. Der Markt regelt das gerade nicht – das müssen jetzt die Menschen machen. Deren Vertrauen zu gewinnen, ist für die Verwaltung bisher nicht einfach, weil Rahmenbedingungen und Mechanismen dazwischen kommen können. Verstehen wir aber die Richtung, kommt auch Verständnis.“ Essenziell sei die Suche nach Spielraum: Wo werden Veränderungen schnell sichtbar? Förderprogramme seien in der Zukunft verankert und damit für die Menschen im Hier und Jetzt schwer verständlich, sagt Göllmann. „Weil sie nicht sofort etwas verändern, persönliche Herausforderungen lösen oder Ängste nehmen. Da müssen wir noch Kommunikationsarbeit leisten.“ Stadtentwicklung geht in viele Richtungen. Angesichts dessen ist für Göllmann eine der tragenden Fragen: „Wie wollen wir in Zukunft miteinander leben?“
Text: Tonia Sorrentino