Design - Nur schöne Optik?
Keine Frage: Die äußere Gestalt eines Produkts ist ein wichtiger Faktor. Doch im komplexen Designprozess geht es um weitaus mehr.
Schwarz oder weiß? Eine leicht abgewandelte Form dieser Frage hat in der jüngeren Vergangenheit für besondere Aufmerksamkeit beim Thermomix-Hersteller Vorwerk gesorgt. Als das größte Direktvertriebsunternehmen Europas und weltweit führend im Direktvertrieb hochwertiger Haushaltsgeräte, überraschte Vorwerk die Fans der Multifunktions-Küchenmaschine Anfang des vergangenen Jahres mit einer kleinen Sensation: Für kurze Zeit und in einer limitierten Auflage war der Thermomix neben dem klassischen Weiß erstmals auch in einer anderen Farbe erhältlich. Damit war die interne Frage – Immer nur weiß oder auch mal schwarz? – eindeutig beantwortet worden. Zu den Befürwortern dieser Ausnahme gehörte Jan Delfs. „Die Black Edition war produktpolitisch eine Revolution“, sagt der Chefdesigner des Unternehmens. „Aus Kundensicht war dieser Schritt absolut erforderlich.“ Denn Schwarz sei eben in vielen Haushalten inzwischen das neue Weiß. „Man braucht nur die Küchenkataloge aufzuschlagen oder sich im Internet umzuschauen – sogar Waschmaschinen gibt es als Black-Version.“ Es wäre also „unklug“, sich gegen den Zeitgeist zu stemmen, so der Designer. „Dabei geht es gerade für Vorwerk natürlich nicht darum, auf jeden Trend aufzuspringen. Aber die wirklichen großen Strömungen müssen wir im Blick behalten und gegebenenfalls auch auf sie reagieren.“
Das ist einer der Aufgabenbereiche seines Teams, das im Kern aus fünf Design-Spezialisten besteht. Es ist für die Gestaltung sämtlicher Vorwerk-Produkte verantwortlich. Dazu gehört natürlich auch der Kobold. Im vergangenen Jahr präsentierte man den neuen VK7 Akku-Staubsauger, für den Vorwerk zum wiederholten Male einen Red Dot Design Award erhalten hat. An dessen Entwicklung war das Design-Team maßgeblich beteiligt. Unter anderem wurde eine „Boost-Funktion“ eingeführt. Diese Extra-Power soll sowohl beim Saugen als auch beim Saugwischen eine erhöhte Reinigungsleistung bringen. Jan Delfs vergleicht den neuen Knopf mit einem Auto-Kickdown, bei dem man in den Sitz gedrückt wird und so die volle Leistung spürt. Es gehe beim Design immer auch darum, Emotionen zu wecken. Das sei insbesondere im Reinigungs-Bereich wichtig, denn: „Jeder will eine saubere Wohnung haben – aber niemand hat wirklich Lust aufs Saubermachen.“
Wie wichtig man bei Vorwerk das Produkterlebnis nimmt, beweist auch die Tatsache, dass zwei Verpackungs-Experten das Design-Team ergänzen. Sie kümmern sich ausschließlich darum, wie die Ware bei der Kundschaft „ankommt“. Das Kundenerlebnis fange mit der Vorfreude an, betont der Chefdesigner. Unter Berücksichtigung von legalen und wirtschaftlichen Anforderungen – „die in der Regel wenig sexy sind“ –, entstehen Verpackungslösungen, die auch das Gefühl und ästhetische Empfinden ansprechen sollen.„In diesem Zusammenhang spielt das Thema Nachhaltigkeit eine große Rolle“, sagt Jan Delfs. Beim neuen System VK7 habe man komplett auf nachhaltige Verpackung gesetzt und den „Plastik-Footprint“ stark reduziert.
Jan Delfs ist auch bei der Beschreibung seines Aufgabenfelds kreativ: „Simplexity“ nennt er das Ziel bei jedem Projekt. Gemeint ist, dem Kunden eine attraktive Einfachheit in einer komplexen Welt zu vermitteln. „Keiner kauft doch freiwillig etwas Kompliziertes. Gefragt sind helfende Systeme mit Mehrwert im Alltag.“
Design wird vielfach nur mit dem Aussehen, der reinen Optik gleichgesetzt. Zweifellos ist die äußere Gestalt eines Produkts, also Farbgebung oder Form, ein zentrales Element. Doch gutes Design beinhaltet etwa auch Funktionalität und Identifikation für den Nutzer („symbolische Funktion“). Die Bandbreite reicht von Möbeln, die als „Design-Objekte“ seit Jahren Kultstatus genießen, bis hin zum Handwerkszeug. Die Storch-Ciret Group ist auf die Herstellung von Malerwerkzeug spezialisiert. Dieses richtet sich sowohl an gewerbliche als auch an private Endverbraucher. Zu den zentralen Produkten gehören Pinsel und Farbwalzen. Diese zwei Produktfamilien werden in Eigenproduktion hergestellt. „Damit haben wir den größtmöglichen Einfluss auf das Produktdesign“, erklärt Karl Siepelmeyer, Leiter Produktmanagement Storch.
„Denn das Produktdesign ist uns im Rahmen der Produktentwicklung sehr wichtig“, so Karl Siepelmeyer. Deshalb arbeitet die Storch-Ciret Gruppe seit Jahren mit ihrem festen Partner Stotz-Design aus Wuppertal zusammen. „Eine Zusammenarbeit, die sich bewährt hat und nicht zuletzt geholfen hat, unsere Innovationskraft zu stärken“, resümiert Karl Siepelmeyer. Erst wenn das Design steht, geht es dann in einem zweiten Schritt in die technische Umsetzungsprüfung – und das gemeinsam mit der Produktion in Tschechien. „Warum wir in dieser Reihenfolge vorgehen, ist einfach: Uns ist unsere Innovationskraft wichtig. Und diese entfaltet sich, so unsere Überzeugung, wenn wir uns bei der Produktentwicklung und Gestaltung frei machen von etwaigen Einschränkungen technischer Natur. Diese können wir immer noch im Anschluss lösen“, sagt Karl Siepelmeyer.
Vielleicht wird sich manch Außenstehender fragen: Welche Innovationen kann es bei Malerwerkzeug schon geben? Doch da täuscht man sich, betont Karl Siepelmeyer, und nennt als aktuelles Beispiel das Farbwalzen-Griffsystem „Lock-it“. Es verfügt unter anderem über einen Bajonett-Verschluss zwischen Griff und Verlängerungsstab, was ein Abfallen der Rolle – womöglich noch in den Farbeimer – verhindern soll. „Das System wurde vor zwölf Jahren eingeführt und zuletzt gründlich optimiert“, so Siepelmeyer. „Der Materialeinsatz wurde deutlich reduziert, das Produkt ist also leichter in der Handhabung und schont zugleich Ressourcen bei Herstellung und Logistik.“ Zudem wurde an der Ergonomie gefeilt. „Der Griff liegt jetzt noch besser in der Hand.“ Etwa anderthalb Jahre habe dieser Prozess gedauert. „Die Folgekosten einer solchen Anpassung sollte man nicht unterschätzen“, meint der Produktmanager. „Ein neues Griffdesign bedeutet auch ein neues Spritzguss-Werkzeug.“ Deshalb mache es auch Sinn, rechtzeitig vor dem totalen Verschleiß einer bestehenden Spritzguss-Form über ein neues Design nachzudenken. Getestet werden die Prototypen von Profis: „Wir haben zwei Anwendungstechniker im Unternehmen, die jede Neuerung umfangreichen Praxistests unterziehen.“
Auch bei Storch-Ciret wird Nachhaltigkeit im Produktdesign immer wichtiger. Produkte werden hier nach der 3R-Methode (Reduce/Reuse/Recycle) entwickelt. Das gelte für die gesamte Lebensdauer: Mit einem stabilen Pinsel kann der Maler länger arbeiten. „Mehr Nachhaltigkeit lässt sich jedoch nicht nur durch optimierte Produkte erreichen. Es braucht auch ein entsprechendes Verhalten der Anwender.“ Sein Beispiel: „Anstatt günstige Pinsel zu kaufen und diese nach einmaligem Gebrauch in den Müll zu werfen, sollten Betriebe besser hochwertige Produkte wählen – und diese nach getaner Arbeit auswaschen, um eine Wiederverwendung im Sinne der Nachhaltigkeit zu ermöglichen.“
Das Handwerk steht auch bei der Maurerfreund GmbH in Remscheid im Mittelpunkt. Geschäftsführer Dominik Limbach erläutert die vier Aspekte von Design bei den Maurer- und Glättekellen: „Am wichtigsten ist uns das ergonomische Design. Hier wollen wir den Komfort und die Benutzerfreundlichkeit verbessern. Somit berücksichtigen wir unter anderem die Handhabung, den Griff und das Gewicht.“ Dann komme das ästhetische Design: „Das Gesamterscheinungsbild, die Form, die Farben und die Oberflächengestaltung müssen attraktiv sein, um ansprechend auszusehen. Idealerweise erzeugen wir eine Markenidentität und ein einheitliches Erscheinungsbild für Produkte derselben Marke.“ Der dritte Aspekt ist das funktionale Design. „Hierzu gehört die richtige Auswahl an Materialien und die Formgebung der Kellen.“ Beim Herstellungsdesign „Made in Germany“ schließlich soll verdeutlicht werden, dass die Kellen nach deutschen Herstellungsstandards und -verfahren hergestellt werden, „womit wir den positiven Ruf der deutschen Produkte nutzen“. Dominik Limbach hat im Laufe seiner Karriere gelernt, „dass ein Unternehmen immer ein Drittel seines Gewinns oder seiner Ressourcen in Forschung und Entwicklung investieren sollte – also auch ins Design. Diesen Anhaltswert halte ich für sehr sinnvoll und wir handeln entsprechend.“
Doch wie läuft der Designprozess in dem 25-Mitarbeiter-Unternehmen konkret ab? „Im ersten Schritt beginnt die Marktforschung und Analyse der Produktanforderungen“, erklärt der Geschäftsführer. „So untersuchen wir die Bedürfnisse und Vorlieben der Benutzer. Kellen werden in der Regel für viele unterschiedliche Arbeiten genutzt, was die Komplexität deutlich erhöht.“ Daraus wird die Konzeptentwicklung abgeleitet. Das Team entwickelt mehrere Designkonzepte, die verschiedene Formen, Größen, Materialien und Merkmale umfassen. „Jetzt werden Prototypen aus den Designkonzepten erstellt und von den Benutzern getestet.“ Ihre Meinung und die funktionellen Tests helfen dabei, die besten Aspekte der Prototypen zu identifizieren. Die Prototypen werden evaluiert und verfeinert. „Das Feedback bezüglich Funktionalität, Ergonomie und Haltbarkeit wird als Grundlage in vielen Wiederholungen genutzt, um im Rahmen der technischen Möglichkeiten das Produkt zu verbessern.“ Nach der endgültigen Festlegung des Designs wird das Material ausgewählt, das für das Produkt verwendet werden soll. „Am Ende kann die Massenproduktion gestartet werden.“ Dominik Limbach betont, dass der Designprozess nie abgeschlossen ist: „Wir können immer weiteres Feedback in zukünftige Modelle einbringen.“
Für das Design nimmt das Unternehmen mitunter externe Hilfe in Anspruch – Stichwort nachhaltige Maurerkelle: „Dank der engen Zusammenarbeit mit dem Institut für Produktinnovation der Bergischen Universität Wuppertal konnten wir während des gesamten Entwicklungsprozesses auf eine umfassende Expertise im Bereich der ressourceneffizienten Produktgestaltung zurückgreifen“, sagt der Geschäftsführer. Auf Basis einer Materialdatenbank erfolgte beispielsweise eine Bewertung und Auswahl geeigneter Materialklassen unter Berücksichtigung von Ökodesign-Aspekten. Ebenso zeichnete das Institut für die Bewertung des „Product Carbon Footprint“ verantwortlich. „Die Kooperation zwischen Institut und uns führte nicht nur zu guten Ergebnissen, sondern auch zu einem wertvollen Wissenstransfer mit Best-Practice-Ansätzen für zukünftigeProjekte.“
Nicht nur im Sinne der Ressourcenschonung ist Design auch die Kunst des Weglassens. Robin Reuschel spricht in diesem Zusammenhang von „Minimalismus“: „Wir befreien uns bewusst von überflüssigem Ballast und konzentrieren uns auf das Wesentliche“, so der Geschäftsführer der Messer-Manufaktur Kleng in Solingen. Ganz konkret heißt das: „Wir verzichten auf ein großes Sortiment mit 20 verschiedenen Messertypen für unterschiedliche Spezialeinsatzgebiete, sondern fokussieren uns auf genau die drei Messer, die man in der Küche wirklich braucht.“ Das Start-up geht nach dem Leitsatz „Form follows function“ in jeden Designprozess. „Wir setzen uns intensiv mit den Bedürfnissen der Nutzer auseinander und versuchen zu erkennen, was möglicherweise nicht optimal funktioniert“, sagt Robin Reuschel. Als Beispiel nennt er den selbstschärfenden Messerblock, der die „Wate“, also die Schneide, bei jedem Einstecken und Herausnehmen leicht nachpoliert. Doch der Weg zu solchen Lösungen kann mühsam sein. „Jedes gute Design erfordert viele Wiederholungen und viel Engagement. In unserem Fall haben wir fast zwei Jahre gebraucht, um verschiedene Optionen zu entwickeln, zu testen und wieder zu verwerfen. Bis wir letztendlich unser Produktdesign gefunden hatten.“
Das junge Unternehmen arbeitet eng mit Experten aus verschiedenen Bereichen zusammen, neben Profi-Köchen, Messermachern und Schreinern sind das auch externe Designer. „Ihr Feedback und ihre Perspektiven waren von unschätzbarem Wert und haben uns geholfen, das Design kontinuierlich zu verbessern.“ Robin Reuschel glaubt fest daran, „dass Design kein Zufall ist“. Es erfordere Hingabe, Geduld und die Bereitschaft, sich immer wieder in Frage zu stellen. „Denn nur so können wir am Ende ein innovatives Produktdesign entwickeln, das nicht nur funktional, ästhetisch und nachhaltig ist, sondern auch die Bedürfnisse in der Küche erfüllt. Dieser Prozess der kontinuierlichen Verbesserung ist es, der unsere Produkte zu etwas Besonderem macht und sie von der Masse abhebt.“
Eine große Herausforderung besteht ihm zufolge darin, dass Design-Vorstellungen leider oft auf die harte Realität treffen – so lässt sich nicht alles immer genau so umsetzen, wie im Entwurf vorgesehen. Beim ersten Kleng-Produkt, das japanisches Design, Solinger Messertradition und moderne Technologie vereinen soll, gab es besonders viel Reibung. „Nicht ein einziges Element des ersten Entwurfs hat es bis zum Endprodukt geschafft“, erzählt der Geschäftsführer. Bis zur finalen Abnahme lagen weit mehr als 20 verschiedene Prototypen mit Dutzenden von Variationen. Eine Vielzahl an Hürden gilt es zu überspringen oder aus dem Weg zu räumen. Dazu gehören die Fertigungsmöglichkeiten: „Da wir klein sind und lokal produzieren, müssen wir oftmals auf komplexe Maschinen verzichten und dafür auf klassisches Handwerk zurückgreifen.“ Die Wirtschaftlichkeit ist ein weiterer Faktor. „Besonders bei sehr kleinen Stückmengen müssen genau überlegen, welche Materialien und Formen wir verwenden wollen.“ Aber genau das habe das Team dazu gebracht, neue Materialien auszuprobieren und die Formen ebenso lange zu optimieren, „bis sich Design und Umsetzbarkeit in der Balance befinden“.
Auch ohne genaue Zahlen zu kennen, wird durch diese Schilderungen klar, dass man bei Kleng einen erheblichen Teil der Zeit, Ressourcen und finanziellen Mittel in den Designprozess steckt. „Wir sind davon überzeugt, dass dieser Prozess von entscheidender Bedeutung ist. Denn letztendlich möchten wir Produkte entwickeln, die nicht nur gut aussehen, sondern auch echte Probleme lösen und die Schärfe-Bedürfnisse unserer Kunden erfüllen.“
Belohnung für all’ die Mühen ist natürlich an erster Stelle das Kundenfeedback, sprich der Umsatz. Doch auch mit renommierten Auszeichnungen schmücken sich Unternehmen verständlicherweise gern. „Gerade für uns, die wir noch jung am Markt sind, haben Designpreise eine große Bedeutung, denn sie können Türen öffnen“, meint der Kleng-Chef. Die Solinger haben bereits den Red Dot Design Award „Best of the Best“ erhalten. Im Rahmen des German Design Award gab es eine „Special Mention“-Würdigung. „Wir sehen das als Ansporn, weiterhin kreative und nachhaltige Designs zu entwickeln und einen positiven Beitrag zur Designwelt und zur Gesellschaft insgesamt zu leisten.“
Text: Daniel Boss