Theorie und Praxis - Vielfältige Anforderungen
Prof. Andreas Kalweit, diplomierter Ingenieur und Designer, betont im Interview den Nachhaltigkeitsaspekt bei der Produktgestaltung.
Herr Prof. Kalweit, an der Bergischen Universität sind Sie Prodekan der Fakultät für Design und Kunst – worin besteht der Unterschied zwischen beiden Bereichen?
Stark vereinfacht gesagt, muss im Gegensatz zur Kunst das Design einem Zweck dienen. Design kann als eine formgerechte und funktionale Gestaltgebung von Produkten verstanden werden, die den vorab definierten Anforderungen gerecht wird. Dabei werden Produkte nicht nur als handfeste Gegenstände unseres Alltags betrachtet, sondern auch immaterielle Güter, wie beispielsweise Apps, Software oder auch Dienstleistungskonzepte. Ohne detaillierter auf die Begrifflichkeiten einzugehen, kann man sagen, dass in der Kunst die freie Entfaltung im Vordergrund steht, während im Design vielfältige Anforderungen erfüllt werden müssen.
Woran lässt sich gutes Design erkennen?
Dafür ist es wichtig zu klären, unter welchen Kriterien wir Design bewerten können. So spielt es heute eine große Rolle, dass sich Design damit befasst, was was gut für den Menschen und die Umwelt ist. Jedes Produkt steht in einem jeweiligen Kontext und muss dementsprechend gestaltet werden. Derzeit erleben wir, dass ein Großteil unserer Produktwelt den Kontext unzureichend berücksichtigt hat und wir mit den daraus resultierenden negativen Folgen konfrontiert werden – Stichworte sind Umweltverschmutzung, Klimakrise, Vermüllung der Meere etc. Mit Beginn der industriellen Revolution wurden Produkte derart gestaltet, dass sie nach ihrem Gebrauch zu Müll wurden. Es wurde bei der Produktkonzeption hauptsächlich der Gebrauchszustand betrachtet, nicht aber, was nach der Nutzung mit dem Produkt passiert. Der Fortschrittsglaube und die Annahme, dass Ressourcen unerschöpflich sind, akzeptierte, dass Produkte nach ihrer Nutzung entsorgt wurden. Heute sind die Kriterien anders.
Wie wichtig ist das Design für die Funktionalität eines Produkts?
Die Funktionalität ist auf viele Bereiche anzuwenden: „Funktionieren“ mechanische Abläufe, Ergonomie, Designsprache, Reparierbarkeit oder Kreislauffähigkeit? Es existieren umfangreiche Gestaltungsregeln und -empfehlungen, die sich nicht nur auf Konstruktionen, Fertigungsverfahren und Werkstoffe beziehen, sondern auch auf die vielseitigen Anforderungen, die an ein Produkt gestellt werden können. Diese können komplexe Ausmaße annehmen. Andererseits rufen widersprüchliche Anforderungen Zielkonflikte hervor, die Kompromisse bei der Lösungsfindung erforderlich machen, beispielsweise wenn ein Bauteil maximal leicht bei höchster Festigkeit sein soll. Zudem können nicht alle Anforderungen im gleichen Umfang erfüllt werden, sondern müssen am besten durch nachvollziehbar begründete Bewertungen priorisiert werden können. Durch geeignete Methoden und Bewertungsverfahren gilt es, diese Zielkonflikte und die Komplexität aufzulösen. In der Praxis spricht man vom „anforderungsgerechten Gestalten“, im wissenschaftlichen Umfeld vereint man die vielseitigen Aspekte unter dem Begriff „Design for X“, kurz DFX. Dabei steht das X stellvertretend für äußerst vielfältige Anforderungen, wie bei-spielsweise Sicherheit, Fertigung, Montage, Instandhaltung, Recycling, Stabilität, Witterungsbeständigkeit, Arbeitssicherheit und viele mehr. Somit ist die Funktionalität nicht vom Design zu trennen.
Welche Rolle spielt Design in der digitalen Welt?
Design spielt nicht nur in der Gestaltung von physischen, „handfesten“ Produkten, sondern auch von immateriellen, digitalen Produkten eine wesentliche Rolle. Bei beiden ist die Schnittstelle „Mensch-Produkt“ entscheidend für den Gestaltungsprozess. Bei beiden geht es darum, dass die Interaktion mit den Produkten für die jeweilige Zielgruppe gelingt.
Was sind die wichtigsten Regeln, die sie Ihren Studierenden mit auf den Weg ins Berufsleben geben?
Sie sollten neugierig sein, warum die Dinge sind, wie sie sind. Und sie sollten die richtigen Fragen stellen, um zu verstehen, wie sie sein sollten. Viele Dinge um uns herum müssen komplett neu gedacht und gestaltet werden, um eine lebenswerte und nachhaltige Zukunft zu garantieren. Und gute Dinge kann man nur mit Überzeugung und Leidenschaft voranbringen. Mit der Leidenschaft entfaltet sich die Energie, die Dinge verändern.
Text: Daniel Boss