Maschinenbau - Zukunftsdenker

Voll digitalisierte Herstellungsverfahren, maschinelles Lernen und Künstliche Intelligenz sind bei Schumacher Precision Tools längst etabliert. Die hauseigene Denkfabrik soll bald auch die gesamte Maschinenbau-Branche zukunftsfit machen.

In der Schumacher Precision Tools GmbH in Remscheid entstehen Hochleistungs-Zerspanungswerkzeuge in mehreren zehntausend Varianten. Über die übliche Historie des 1918 gegründeten Unternehmens im Bezirk Reinshagen mag der Geschäftsführende Gesellschafter Bernd Schniering allerdings nicht viele Worte verlieren. „Dass wir in mehr als 100 Jahren neue Werkzeuge entwickelt, hochleistungsfähige Maschinen angeschafft und uns räumlich vergrößert haben, ist selbstverständlich“, sagt der Ingenieur. Worüber er viel lieber spricht: die Zukunft der Branche. Die hat für sein Unternehmen längst begonnen. Mit einer Kostenrechnung, wenn man so will.

Schniering, der seit mehr als 30 Jahren wissenschaftlich mit der RWTH Aachen, der Technischen Universität Dortmund und der Universität Stuttgart zusammenarbeitet, stellte in den 1980er Jahren fest, dass sich in seinem sonderfertigungslastigen Betrieb die Bestellmengen pro Auftrag alle zehn Jahre halbierten. Im selben Intervall stiegen jedoch die Variantenzahlen auf das Achtfache. „Eine einzige Variante eines Präzisionswerkzeugs hat heute 200 bis 250 beschreibende Parameter – eine extrem umfassende Ingenieurleistung.“ Die muss bezahlt werden, gleichzeitig im Verhältnis zum Gewinn stehen. Schniering stellte etwas fest, das neben seinem Betrieb viele weitere mittelständische Werkzeughersteller der Region betraf: „Es gab kein betriebswirtschaftliches Controlling-Instrument. Man wusste nicht, wieviel Geld man mit einem Produkt ausgibt oder verdient.“ Mithilfe von Wirtschaftsprüfern erstellte Schniering ein Konzept, auf dessen Basis seitdem rund 20 Forschungsprojekte in universitärer Kooperation umgesetzt wurden. „Wir wollten nicht nur die eigene Produktion optimieren, sondern allgemeingültige Modelle für industrielle KMU entwickeln.“

Mit Industrie 4.0 ging es bei Schumacher Precision Tools also Ende der 80er los. „Damals hieß das Computer Integrated Manufacturing“, sagt Schniering. 1995 war das erste Produkt digitalisiert. Etwa zwei Dekaden später testete man mit Festkörpersimulationen die Funktionalität von 3D-Modellen, noch vor der maschinellen Entwicklung. 2003 kam erstmals Künstliche Intelligenz zum Einsatz. „Wir realisierten Deep Learning mit der RWTH Aachen, konnten zum Beispiel für unsere Maschinen den Zeitpunkt vorhersagen, wann etwa ihre Metall-Schneidplatten durch Verschleiß kaputtgehen würden, und sie vorher wechseln.“ 3D-Druck beherrscht man seit 2018. Seine web-basierten Smart Services realisiert das Unternehmen mit einer eigens entwickelten Strategie, innerhalb derer sich in Echtzeit alle Prozesse von Marketing und Auftragseingang über Modellierung bis hin zur Einsatzbegleitung des Produkts beim Kunden abwickeln – sogenannte Mehrwertdienste über das Primärprodukt hinaus. Alles ist digital vernetzt, es gibt keinen menschlichen Handschlag in der Kette – und keine Redundanz. Das zahlt auch langfristig auf die Unternehmensziele ein, darunter Kostensenkung, Ressourcenschonung in allen Durchlaufprozessen, weniger Stillstandzeiten, Arbeitsplatzsicherung und weitere Sozialkomponenten für die derzeit knapp 50 Mitarbeitenden sowie volle Flexibilität und umfassender Kundenservice.

Weil er sich seit jeher für Wissenstransfer einsetzt, gründete Schniering eine wissenschaftlich unabhängige Denkfabrik am Standort: die Gesellschaft für angewandte Prozesslenkung. Im Rahmen der GAP agiert Schumacher Precision Tools als Pilot-Hersteller für die Entwicklung von Lenkungssystemen im Maschinenbau. Denn so etwas müsse aus der Praxis kommen, nicht aus der Theorie, so Schniering, der den Praxisbezug seit Langem nutzt, Diplom-, Master- und Doktorarbeiten an den verschiedenen Hochschulen zu begleiten. „Die GAP ist ein Herzensprojekt. Wir wollen einen Leuchtturmstandort für Digitalisierung aufbauen – zum Nutzen unserer Traditionsindustrie.“ Die Umsetzung hat in diesem Jahr begonnen.

Text: Tonia Sorrentino

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